Die Wahrsagerin

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Mein Kompass zitterte in meiner Hand, weil ich nicht ruhig bleiben konnte. Die Aufregung hatte meinen gesamten Körper eingenommen und ich hatte Mühe, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen. Schließlich war ich auf dem Weg zu Madame Lolett, einer Wahrsagerin, die hier irgendwo im Wald leben sollte. Ich war noch nie bei einer Wahrsagerin gewesen, was mich noch aufgeregter machte. Wenn ich Glück hatte, würde ich in den nächsten Tagen wieder zu Hause in der Menschenwelt sein.

Vor mir stand ein altes Holzhaus. Das musste es sein! Vielleicht wohnte die Wahrsagerin ja hier. Zitternd ging ich zur Tür und klopfte vorsichtig an. Als sich minutenlang nichts regte, klopfte ich nochmal, diesmal lauter. Mittlerweile bezweifelte ich, dass hier überhaupt jemand wohnte. Enttäuscht ließ ich meine Hand sinken und drehte mich um, um wieder zu gehen. Doch da stand eine alte Frau und starrte mir direkt ins Gesicht. Erschrocken verharrte ich in meiner Position. Wer war diese Frau? Was wollte sie von mir?

,,Hallo?" Plötzlich wedelte die Frau mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. ,,Jetzt komm, oder willst du hier Wurzeln schlagen? Ich wusste doch, dass du kommst. Hopp hopp, der Tee wird kalt!" Kurz entschlossen packte die Frau meine Hand und zog mich einfach mit sich.

,,Sie sind Madame Lolett, nicht wahr?", fragte ich die Alte, die gerade Tee in zwei Tassen eingoss. ,,Ganz richtig", sagte sie, ,,Ich habe dich erwartet, Alana." ,,Sie wissen meinen richtigen Namen!", platzte ich heraus, doch Madame Lolett winkte nur ab. ,,Was wäre ich für eine lausige Wahrsagerin, wenn ich deinen Namen nicht wüsste? Aber spar dir deine ganzen Fragen. Ich weiß schon, warum du hier bist." Mit diesen Worten stellte sie die Teekanne ab und huschte zu einem der vielen Bücherregalen, die sich aneinanderreihten. Dabei murmelte sie seltsame Worte, die ich nicht so ganz verstand. ,,Ciorcal na dtóirsí-ich hab's!" Nun schob sie ihre Ärmel zurück und griff nach einem dicken Buch. Mit einem Knall landete es auf dem Tisch. Die alte Wahrsagerin blätterte Seite um Seite um, bis sie etwas fand, was sie sichtlich zufriedenstellte. ,,Alana, hör mir nun genau zu, es ist wirklich wichtig", begann sie, ,,Ich werde dir jetzt erklären, wie du ein Portal zur Menschenwelt öffnen kannst. Um Mitternacht gehst du in den Wald und entfachst zwölf Fackeln, die du dann kreisförmig um dich herum legst. Dann sagst du folgendes: Lig dom dul abhaile . Das sagst du genau sieben mal. Verstanden? Wenn du alles richtig machst, wirst du schon am nächsten Tag zu Hause sein." Ich nickte nur Lig dom dul abhaile konnte ich mir bestimmt merken.

Als ich mich dankend verabschiedet hatte, hatte ich mir schon längst vorgenommen, morgen dieses Ritual auszuführen. Ich würde endlich nach Hause kommen.

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