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Gedankenverloren starrte ich die Decke an. Mein Blick wanderte zu meinem blauen Wecker, der neben ein paar Zeitschriften auf dem Nachttisch links neben mir stand. Noch eine halbe Stunde, bis ich aufstehen und mich fertig machen musste. Dann würde ich ich um sieben Uhr los gehen und um halb acht in der Schule sein. Die Englischklausur begann um acht Uhr. Das hieß, dass ich noch genügend Zeit habe, um mir den Stoff nochmal anzuschauen.

Am liebsten war ich immer auf alles vorbereitet. Doch das half mir jetzt auch nicht mehr weiter. Ich hätte mehr lernen sollen! Oh Gott, das schaffe ich nie. Während ich gestern noch ganz entspannt war, hatte ich heute das Gefühl zu sterben. Diese Note war entscheidend für meine Zukunft. Ich sollte es lieber nicht versauen.

Ein lautes Poltern und die darauffolgenden Flüche rissen mich aus meinen Gedanken. Langsam setzte ich mich auf. Ich hörte eine Tür knarren. Mein Bruder Kenneth musste aufgestanden sein. Auf leisen Sohlen tapste ich durch mein Zimmer.

Mum hatte gestern wieder eine Nachtschicht und schläft nun, weswegen ich leise sein musste. Aber wie es schien, war Kenneth das ziemlich egal. Als ich die Tür öffnete sah ich ihn, während er ächzend zur Treppe humpelte. Nur in Boxershorts bekleidet stieß er eine Reihe von Flüchen aus und rieb sich fröstelnd über die nackten Oberarme. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen und belustigt zog ich die Augenbrauen hoch.

„Was ist denn mit dir passiert?", fragte ich, obwohl ich es mir schon denken konnte. Erschrocken zuckte er zusammen. „Ich hab mich gestoßen.", sprach er das Offensichtliche aus.
„War ja klar. Wie oft habe ich die jetzt schon gesagt, dass du das Regal nicht direkt neben das Bett stellen sollst? Es ist doch klar, dass du beim Aufstehen mit dem Fuß dagegen rammelst"

Kopfschüttelnd ging ich auf den Blödmann zu. Ein dümmliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Neckisch entgegnete er mir: „Ich höre nun mal nicht auf Zwerge!" Ja, mit meinen 1,67 bin ich wahrhaftig nicht die Größte, aber Zwerg ist wirklich übertrieben!

„Es kann eben nicht jeder so groß und fett, wie du sein!"

Empört riss er die haselnussbraunen Augen auf.

„Fett?! Ich bin doch nicht fett! Schau dir das hier an, guck mir in die Augen und sag mir, dass ich fett bin!", meinte er, während er auf seine ausgeprägten Bauchmuskeln deutet. „Das, liebe Amber nennt man Sixpack.", sagte er in einem arroganten Tonfall.

Mein Bruder sah zwar wirklich gut aus und allein seine Augen konnten Frauenherzen zum schmelzen bringen, jedoch war das noch lange kein Grund, sein Ego weiter zu pushen. Die Blicke der Mädchen sagten schon genug aus. Also entgegnete ich herausfordernd: „Ich würde es eher Sixspeck nennen." Schnaubend wandte er sich von mir ab und humpelte die Treppe hinunter.

„Mach mal ein bisschen schneller!" Genervt verdrehte ich die Augen.

„Mein Fuß tut weh!", jammerte er.
„Du bist so ein Weichei." murmelte ich im Vorbeigehen. Im Bad angekommen zog ich mir eine schwarze Jeans und einen grauen Strickpullover an. Ich schminkte mich dezent und die Haare flocht ich mir zu zwei französischen Zöpfen. Als ich fertig war, ging ich in die Küche, schnappte mir einen grünen Apfel aus dem Korb vom Küchentisch und marschierte mit meinem schwarzen Rucksack raus auf die Straße.

Kenneth stand schon an seinem hellblauen Van gelehnt da und schien auf mich zu warten. „Willst du bei mir mitfahren?", fragte er mich. „Nein, danke. Du weißt doch, dass ich lieber Laufe oder Fahrrad fahre, als mit deinem Auto." Ich lächelte ihn kurz an und wollte gerade weiter gehen, als er unbeirrt weiter sprach: „Ich verstehe es bei meinem hübschen, kleinen Van zwar wirklich nicht, aber egal. Wenn du nicht zu spät kommen willst, solltest du einsteigen. Schon mal auf die Uhr geguckt?"

Ich legte meine Stirn in Falten und zog das Handy aus der Hosentasche. „Fuck!", stieß ich hervor.
„Ich schreib in der ersten Stunde eine Arbeit!" Ich sprang förmlich ins Auto und knallte die Tür hinter mir zu. Als Kenneth dann auch endlich einstieg, meckerte ich ihn sofort an.

„Jetzt beeil dich doch mal, verdammt!"

Er verdrehte nur die Augen, drückte aber trotzdem auf's Gas. Die Häuser zogen an uns vorbei und nach fünf Minuten erreichten wir zum Glück schon die Schule.

Ohne ein Wort zu sagen, hetzte ich aus dem Auto in die Schule und kam gerade noch rechtzeitig im Raum an. Schnell setzte ich mich auf meinen Platz neben Melli und holte mein Federmäppchen aus meiner Tasche. Völlig aus der Puste fiel mir  garnicht auf, wie viele Schüler aus dem Kurs mich ansahen. Erst als Melli mich mit dem Ellenbogen in die Seite stieß, bemerkte ich es. Unter den Blicken der anderen wurde ich rot und wandte mich schließlich meiner besten Freundin zu. „Wo warst du", fragte sie mich neugierig. „Ich hab die Zeit vergessen.", antwortete ich ausweichend und richtete meinen Blick nach vorn.

Meine Lehrerin, Frau Heschel kam gerade mit ihrer riesigen Aktentasche herein stolziert. Langsam wurde ich nervös. Meine Hände wurden schwitzig und ich hatte das Gefühl, die Temperatur wäre um fünf Grad gestiegen.

Als wir die Englischklausur ausgeteilt bekamen, atmete ich erleichtert auf. Alles Aufgaben, die ich beantworten konnte. Kein Grund zur Sorge. Schnell meinen Namen drauf gekritzelt, und schon begann ich. Aufgabe für Aufgabe, Lösung für Lösung. Ich füllte alles aus und nach drei Stunden mühsamer Arbeit gab ich die vielen Blätter guten Gewissens ab.
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Ich hoffe es hat euch gefallen. Dieses Kapitel ist ein bisschen kürzer als das letzte, aber ich denke, dass das kein Problem ist. Das nächste Kapitel wird vermutlich morgen online kommen. 😊

Sweet Lovin'Where stories live. Discover now