8

1.2K 43 3
                                    

Seit gestern ging es mir beschissen. Und zwar so richtig beschissen.
Ich hatte das schlechteste Gewissen, was man nur haben kann. Ich habe kein Recht dazu gehabt, mir das anzuhören. Aber was hätte ich machen sollen? Ich hätte schließlich nicht einfach raus gehen können. Oder doch?

Gedankenverloren lag ich in meinem Bett, wartete, dass das Essen fertig wird. Es gab Nudeln. Langweilig.

Kenneth und Melli haben mich gestern den ganzen restlichen Tag ausgefragt. Ich hab ihnen  jedoch nichts genaueres erzählt. Nur, dass Xavier noch da war, und ein Telefonat hatte. Mehr haben sie nicht aus mir raus quetschen können. Das wäre unfair gegenüber Xavier gewesen. Mal abgesehen davon, dass es sowieso nicht fair ist, dass ich seit gestern Geheimnisse von ihm weiß, die vermutlich kaum jemand sonst kennt, ohne dass er überhaupt die geringste Ahnung von meinem Wissen hat.

Ob Xavier die Hilfe möchte? Ich weiß es nicht.
Ob ich mit ihm reden sollte? Ich weiß es nicht.
Ob ich den Mumm dazu hab? Ich weiß es nicht.

Das Einzige, was ich weiß ist, dass ich ihm helfen will.

Früher, als das mit meinem Dad passierte, waren Melli und Felix für Kenneth und mich da. Sie haben uns geholfen und uns getröstet, wenn es uns schlecht ging. Es war eine harte Zeit, ja, aber unsere Freunde haben es mir und meinem Bruder ein wenig erleichtert. Und dafür bin ich den beiden mehr als nur dankbar.

Nachdem wir die Probleme mit unserem Dad überstanden hatten, habe ich mir eins geschworen: Wenn irgendjemand, den ich kenne, je solche Probleme haben sollte, wie ich sie hatte, werde ich für ihn da sein. Egal ob ich die Person hasse oder liebe. Denn sowas würde jeder in solch einer Situation brauchen.

Nur die Frage ist, wie. Ich weiß nicht, ob ich mit ihm darüber reden sollte. Er würde mich vermutlich für einen kranken Stalker halten. Vielleicht bin ich das ja auch... Ich hätte ja auch einfach schnell und leise verschwinden können, als die Dusche anging.

Völlig in meinen Gedanken versunken, hörte ich garnicht, wie mich meine Mutter mehrmals rief. Erst, als Kenneth mit den Worten:
„Es gibt Essen." in mein Zimmer platzte, merkte ich es. Schnell ging ich die Treppe runter, und in die Küche.

Meine Mum hatte den Tisch gedeckt, und Kenneth saß schon mampfend da, und aß eine riesige Portion Nudeln.
„Wie kann man nur so verfressen sein?", murmelte ich im Vorbeigehen, wuschelte ihm einmal durch die Haare, und setzte mich auf meinen Platz. Ich tat mir das Essen auf den Teller, und aß schweigend die Nudeln mit Bolognese. Normalerweise reden wir nicht sehr viel am Tisch. Doch dann fiel mir noch etwas ein.

„Mum, kennst du einen Mark Winkie?", fragte ich sie neugierig. Sie überlegte kurz und antwortete dann:
„Ja, wir sind zusammen auf die Highschool gegangen. Waren sehr gute Freunde. Wieso?", fragte sie.
„Das ist Melli's Sportlehrer."
„Der blöde, strenge von dem du mir erzählt hast?"
„Ja, genau der!", meinte ich, bevor ich mir ein Glas Wasser nahm, und trank.
„Kann ich mir bei ihm garnicht vorstellen. Früher war er der größte Clown, in ganz New York!", meinte sie während sie lächelnd den Kopf schüttelte.
„Naja, auf jeden Fall, will er mit dir ausgehen.", meinte ich. Kenneth und Mum verschluckten sich beide an ihrem Essen.
„Das meinst du doch nicht ernst, oder?", fragte Kenneth hustend.
„Ähm, doch? Er hat mir seine Telefonnummer gegeben, und meinte du sollst ihn bitte mal anrufen, Mum.", sagte ich.
„Aber doch nicht Herr Winkie! Der Hausdrache unserer Schule!", rief er aufgebracht.
„Hört auf zu zanken. Schlussendlich ist es immer noch meine Entscheidung. Ich werde ihn mal anrufen, und schauen, ob er nett ist. Wir werden sehen, was daraus wird."
Kenneth stand auf, lief zornig hoch in sein Zimmer, und knallte die Tür zu.

Er hatte schon immer diesen Großen-Bruder-Beschützer-Instinkt, auch wenn er nur ein paar Minuten älter ist, als ich. Aber seit der Sache mit Dad, will er niemanden mehr an uns ranlassen. Weder an Mum, noch an mich. Solange wir uns normal gegenüber den männlichen Wesen verhalten, ist noch alles okay, aber sobald er merkt, dass es intime Momente gibt, oder die Chance besteht, dass wir einen Schritt weiter als nur Freundschaft gehen würden, ist er gleich auf hundertachtzig. So wie jetzt.

„Amber?"
„Ja?" Ich hob den Kopf.
„Geh ihn bitte beruhigen. Du weißt doch, wie er ist. Wenn ich jetzt zu ihm gehe, wird er sich nur noch mehr aufregen.", meinte meine Mutter seufzend. Ich nickte.
„Tut mir leid, Mum. Ich will nur, dass du glücklich bist. Selbst, wenn es sich dabei um den Hausdrachen der Schule handelt. Ich glaube bei dir ist er vielleicht anders. Kenneth braucht nur Zeit, um das zu verstehen."
„Danke, Am.", meinte Mum und schloss mich in ihre Arme.

Als wir uns wieder voneinander lösten, schaute sie mich lächeln an und wippte mit dem Kopf in Richtung Treppe, als Zeichen, dass ich jetzt zu meinem Bruder gehen sollte. Ich nickte nur, und ging.

Sobald ich in Kenneth's Zimmer war, sah ich ihn, wie er fast schon leblos an die Decke starrte.
„Wenn Mum dich geschickt hat, kannst du gleich verschwinden.", sagte er monoton.
„Ich wäre auch so hergekommen. Ich dachte du wüsstest das.", antwortete ich seufzend, und legte mich auf sein Bett.
„Meinst du das, das was wird?", fragte er mich leise. Ich überlegte ein paar Sekunden und antwortete dann:
„ Ich weiß es nicht. Aber wäre das denn so schlimm?", fragte ich ihn.
Er zuckte bloß mit den Schultern.

„Ich hab einfach Angst, das das nochmal passiert.", meinte er schließlich.
„Das hab ich auch, Kenneth. Aber sieh es doch mal aus Mum's Perspektive. Sie will Dad einfach vergessen, und wieder ein bisschen an Normalität gewinnen. In ein paar Jahren werden wir studieren, ziehen aus und werden nicht mehr jeden Tag mit ihr verbringen können. Sie wäre ganz allein. Ist es dann nicht schön, noch jemanden zu haben, der einen aufrichtig liebt und für einende sein kann, wenn der Rest der Familie es nicht tun kann?", fragte ich meinen Bruder.
Man sah Kenneth an, dass er mit sich ringen musste. Schließlich gab er nach.

„Ich werde versuchen mich zu bessern. Ich kann aber nichts versprechen.", sagte er zögernd.
Ich nahm ihn in den Arm, und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Danke.", murmelte ich, während ich mich bei ihm einkuschelte.
„Hab dich lieb.", murmelte ich noch, bevor ich schon bald einschlief.
_____________________________
Hi! Wenn das so weiter geht, und ich jeden Tag zwei Kapitel schreibe, werden wir das Buch ja schon bald durch haben!
Ich freu mich über jeden Leser!

Sweet Lovin'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt