POSTKARTE 6: Mit dem Herzen hören

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Es gibt an der Pazifikküste so viele Lookout Spots, dass man bei den allermeisten das Glück hat, nicht von Unmengen Touristen umgeben zu sein

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Es gibt an der Pazifikküste so viele Lookout Spots, dass man bei den allermeisten das Glück hat, nicht von Unmengen Touristen umgeben zu sein. Es gibt hier ohnehin nur sehr wenige Touristen - aus Europa auf jeden Fall. Für die meisten ist Kalifornien oder Florida wohl interessanter.

Besser für uns - eine Reise ist erst dann interessant, wenn man sich fühlt, als hätte man einen Ort entdeckt, von dem noch keiner weiss.

Lohnt sich erst, wenn ein Geheimnis mit der Landkarte hat, das man mit niemandem sonst teilt.

Ist erst dann vollkommen, wenn man sich klein vorkommt auf einer Welt, die wie verlassen, unberührt scheint.

Und so sind wir auch jetzt fast allein, als wir aus dem Auto steigen, um nach vorne bis zum Zaun zu gehen, um den Pazifik in seiner vollen Pracht von oben zu bestaunen.

Der Ozean mit den zerklüfteten Klippen, der aufgewühlten Oberfläche und dem eiskalten Wasser hat mich schon immer fasziniert. Wie kann etwas so rau und tosend und und dennoch so still und majestätisch sein?

»Warst du schon mal am Atlantik?«, fragt Yule.

Der Wind zerrt an meinen Haaren und anstatt sie mir aus dem Gesicht zu blasen und einen dramatischen Effekt zu erzeugen, wie es in den Filmen immer der Fall ist, kommt die Bise von hinten, sodass ich meine wilden Strähnen alle in den Augen habe.

Ich greife nach dem dunkelblau geblümten Scrunchie an meinem Handgelenk und binde mir kurzerhand die Haare zu einem unordentlichen Dutt. Schlimmer als der Vogelscheuchen-Look kann das Vogelnest auch nicht sein.

»Nein«, sage ich. »Du?«

Die Ostküste kenne ich nur aus Filmen und manchmal scheint sie mir so weit entfernt, dass ich mir erstmal wieder bewusst machen muss, dass unser Land tatsächlich auch an den Atlantik grenzt und nicht bloss an den Pazifik.

»Ich schon. Einmal«, sagt Yule und lehnt sich gegen die Absperrung, die uns daran hindert, weiter an den Rand der Klippe zu gehen. »Er sieht anders aus als der Pazifik.«

»Wie anders?«

»Er ist kälter.«

... Aha.

Yule ist manchmal einfach so -

Mir fehlt der Ausdruck, um Yules Art in Worte zu fassen.
Trotz den manchmal eher... aussergewöhnlichen Bemerkungen bin ich nach wie vor fasziniert von ihm. Und die Faszination wächst mit jedem Moment, den wir teilen.

Und dabei hilft es auch nicht unbedingt, dass mir bestimmte Aspekte seines Erscheinungsbilds immer bewusster auffallen.

Auch an Yules dunklem, fast schwarzem Haar zerrt der Wind, allerdings scheint es ihn weniger zu stören als mich. Seine Augenbrauen hat er wie fast immer konzentriert zusammengezogen, während er auf das aufgewühlte, unruhige Wasser hinunter starrt und aussieht, als würde er darin lesen. Als hätte die Gischt eine Sprache, die er versteht, die er spricht.

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