POSTKARTE 23: Angeknabberte Fingernägel

695 130 70
                                    

Wir verabschieden uns von Mary, sie lässt uns nicht gehen, ehe Yule ihr versprochen hat, dass er sie ganz bald wieder besuchen kommt, dass er sie nicht mehr so lange warten lassen wird, nicht mehr so lange wie dieses Mal

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Wir verabschieden uns von Mary, sie lässt uns nicht gehen, ehe Yule ihr versprochen hat, dass er sie ganz bald wieder besuchen kommt, dass er sie nicht mehr so lange warten lassen wird, nicht mehr so lange wie dieses Mal.

»Und bring Phoenix wieder mit, damit ich was zu lachen hab in deiner Gegenwart, du Griesgram.«

Und dann umarmt sie uns, sie streicht mir über den Rücken, ganz leicht, wie bei der Begrüssung, ich fühle mich geborgen, aber vor allem fühle ich mich jetzt bereit zu gehen.

Weil ich weiss, dass ich wiederkommen kann.

Als ich in den Wagen steige, blicke ich noch einmal über die Schulter zurück.

Das Haus hat einen Gartenzaun, eine Veranda und Liegestühle im Schatten unter den Bäumen und obwohl ich mir geschworen habe, nie und niemals hinter dem Gartenzaun den Horizont zu vergessen, fühlt es sich hier, bei diesem Haus mit Gartenzaun und Liegestühlen, ganz genau richtig an, ganz kurz, nur für einen Augenblick, der sich so winzig anfühlt, als würde er gar nicht existieren, einfach mal den Horizont und alles zu vergessen.

Denn im Moment spielt das, was am Horizont ist, keine Rolle. Grade muss ich meinen Horizont nicht in die Ferne erweitern, denn die Erweiterung des Horizonts sitzt in der Nähe, ganz nah, so nah, dass der wirkliche Horizont irgendwie an Bedeutung verliert.

Und irgendwie ist dieser Gartenzaun hier dann doch ganz anders als der Gartenzaun meiner Mutter, denn er schliesst den Horizont nicht aus, nicht für immer, weil ich nicht für immer hierbleibe.

🌲

Wir fahren an Weinbergen vorbei, das Thermometer zeigt konstant hohe Temperaturen an, die Gräser am Strassenrand sind ausgetrocknet, die Landschaft ist braun, die Felder golden, irgendwann kommt in der Ferne der Columbia River in Sicht und wir folgen seinem Lauf.

Yule sagt die ganze Fahrt über kein Wort, kein einziges, er hängt seinen Gedanken nach, mal wieder, wie eigentlich fast immer.

Erst, als wir kurz anhalten, um eine Pause zu machen, etwas zu essen und uns den Fluss ein wenig genauer anzusehen, sagt er »Danke« und dann schiebt er noch ein »Phoenix« nach, meine Haut kribbelt ein bisschen, vielleicht, weil er so leise spricht.

Er sagt nicht, wofür er sich bedankt, muss er auch nicht, ich weiss es sowieso.

Ich lächle zu ihm auf, mache einen Schritt näher zu ihm und stosse ihn leicht mit der Schulter an. »Immer.«

Wir stehen nebeneinander, unsere Hände streifen sich leicht, wenn wir uns bewegen, weil ich nicht wieder einen Schritt zur Seite gemacht habe, Yule macht ebenso wenig Anstalten, das zu tun, also bleiben wir einfach eine Weile so stehen und sehen hinunter ins Tal, wo der Fluss in der Sonne glitzert.

Und irgendwann spricht Yule doch, vielleicht hat er grade irgendwo dort unten einen Stift gefunden.

»Weisst du, es ging gar nicht wirklich um das Schreiben«, sagt er.

POSTKARTENSOMMERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt