POSTKARTE 13: Sommermüdigkeit

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In den Supermarkt zu gehen war eine gute Idee

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In den Supermarkt zu gehen war eine gute Idee. Weil in Supermärkten die Zeit anders vergeht als normalerweise. Irgendwie langsamer. Das ist positiv, weil ich mehr Zeit mit Yule haben will. Jeden Augenblick, den ich kriegen kann.

Und weil auf Parkplätzen die Zeit erst recht stillzustehen scheint, sitzen Yule und ich jetzt nebeneinander im geöffneten Kofferraum und essen ein Eis. Obwohl es noch nicht einmal Mittag ist. Aber wenn die Zeit ohnehin stillsteht, dann spielt auch das keine Rolle mehr.

Ich lasse meine Füsse baumeln und mein Blick schweift über den Parkplatz und all die grossen Pickups, die hier stehen, und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, was für ein Leben diese Leute wohl führen mögen.

Manchmal neige ich dazu, mich selbst als Zentrum der Welt zu betrachten. Weil ich mir manchmal nicht bewusst bin, dass die Menschen um mich herum nicht bloss Statisten in meinem Leben sind. Keine Nebenrollen besetzen, sondern die Hauptrolle in ihrem eigenen Leben spielen.

Und dann wird mir wieder bewusst, dass sie alle eine Familie haben, alle ein Leben führen. Ein Leben, von dem ich nie erfahren werde, weil sie hier, jetzt in diesem Augenblick in meinem Leben eben doch nur Statisten sind.

Ich glaube, es gibt ein Wort dafür. Ich habe es mal gelesen, aber es fällt mir nicht mehr ein. Ich habe nie viel über Worte nachgedacht. Bis ich Yule getroffen habe. Und jetzt scheinen Worte alles zu sein, womit ich mich beschäftige.

Es sind merkwürdig tiefgründige Gedanken für einen Mittwochmorgen, den wir hier auf dem Parkplatz sitzend verbringen, aber seit ich all meine Zeit Yule schenke, ist mir klargeworden, dass Tiefgründigkeit keinen Anlass braucht.

Das Meer erklärt schliesslich auch niemandem, weshalb sein Grund plötzlich abfällt, man den Boden unter den Füssen verliert und sich unter einem die unendliche Tiefe auftut.

»Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass es purer Zufall ist, dass uns all diese Menschen in genau diesem Augenblick über den Weg laufen?«, frage ich.

Auf dem Parkplatz geht kein Wind, die Luft ist still und warm, wie es sich für einen Sommertag gehört. Aber es ist nicht heiss. Ist es hier nie. Dafür sind wir noch zu nah am Meer.

Vielleicht fahren wir heute landeinwärts. Und vielleicht wird es dann wärmer. Wer weiss das schon.

Ich ziehe ein Bein an, das andere baumelt noch immer über den Rand des Kofferraums hinaus.

»Dass uns nur dieser einzige Knotenpunkt hier verbindet und dass wir danach einfach weiter unser Leben leben? Wahrscheinlich ohne uns jemals an diese Menschen zu erinnern? Dass sie alle ihr eigenes Leben führen?«

»Ja.« Yule nickt langsam und sticht mit dem Löffel in sein noch hartes Eis. Vanillegeschmack.

»Das nennt man Sonder.«

Sonder. Das Wort, nach dem ich gesucht habe. Es ist ein schönes Wort. So besonders. Ich nehme mir vor, es aufzuschreiben. Auf meine nächste Postkarte. Oder in ein Tagebuch. Ein Tagebuch, das ich zwar noch nicht besitze, mir aber definitiv zulegen werde.

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