Kapitel 9

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Als ich aus dem Auto stieg, fühlte ich mich, als wäre ich in einem Film gelandet. Einem sehr schlechten Gangsterfilm. Oder einer erbärmlich finanzierten Krimiproduktion.

Natürlich fand das Treffen mit dem Schmuggler in einer verlassenen Lagerhalle auf einer scheinbar seit einiger Zeit geschlossenen Industrieanlage statt, selbstverständlich musste es ein so klischeehafter Ort sein. Das war einerseits zum Lachen. Andererseits konnte ich es wohl auch als beruhigend empfinden, dass die Gangsterwelt bis jetzt zumindest tatsächlich genauso aussah wie ich sie schon aus dem Fernsehen kannte. Wenn es dabei blieb, dann war ich vielleicht doch besser vorbereitet als gedacht.

Das glaubst du nicht wirklich, oder, Lucas? Nein, so naiv war ich nicht. Aber hoffen konnte ich ja – solange ich mich weiter konzentrierte. Ich war jetzt nicht Lucas, ich war Ethan. Sei ein Gangsterboss.

„Carter." Ich drehte mich um und nahm schnell die Hand von dem Revolver, nach dem ich unbewusst gegriffen hatte. „Dachte schon, du wärst tot." Ein Mann kam auf mich zu, dünn, mittelgroß, mit lässig in den Jackentaschen vergrabenen Händen, kurzen dunklen Haaren und ebenso dunklen, schmalen Augen. Seine Lippen waren zu einem dünnen Lächeln verzogen, das seine Augen nicht erreichte. Also kein Freund. Nur ein Geschäftspartner. Gut – denn irgendwie machte dieser Typ mich nervös. Dieses Lächeln, die zwei Muskelpakete in seinem Rücken und die Schusswaffe an seinem Gürtel, mit der er sicher besser umgehen konnte als ich mit Ethans Revolver, machten mich nervös.

Reiß dich zusammen. Richtig. Ich musste mich wieder konzentrieren und etwas erwidern. Dachte schon, du wärst tot. Was sollte ich darauf antworten? Worauf bezog er sich? Wusste er, dass Ethan tot und ich ein Betrüger war? Oder wollte er damit nur andeuten, dass er, genau wie Matt, einfach nur gehört hatte, dass in meiner Wohnung ein Schuss gefallen war?

Ich konnte nur hoffen, dass es Letzteres war. „Tja, wie du siehst, lebe ich noch", erwiderte ich also möglichst gelassen und erinnerte mich daran, dass ich nicht alleine war, dass neben mir jemand stand, der irgendwie mit meinem Bruder befreundet gewesen war und mich deshalb beschützen würde. Vorausgesetzt, er erfuhr nicht, dass ich in Wirklichkeit gar nicht Ethan war, sondern nur hier war, um sie alle an Agent West und seine Leute zu verraten, sobald ich genügend Informationen gesammelt hatte.

Ich schob meine Hände in die Hosentaschen, weil ich nicht wusste, wohin damit, und ich nicht so wirken durfte, als fühlte ich mich unwohl. Außerdem spiegelte ich damit in gewisser Weise die Haltung der Echse – und gespiegelte Körpersprache weckte doch Sympathie, oder?

„Sehr erfreulich", bemerkte Lagarto und log dabei wohl nicht, denn immerhin war ich eine Geldquelle für ihn. Agent West hatte mir auch im Schnelldurchgang das Wichtigste über meine neuen Geschäfte erklärt, unter anderem, wie hoch die Preise üblicherweise waren. Kein Wunder, dass auch Lagartos Auto, das einige Meter entfernt geparkt war, alles andere als günstig aussah.

„Also, was gibt es?", fragte ich. Aus unserem Chatverlauf ging hervor, dass er dieses Treffen heute arrangiert hatte, also war es wahrscheinlich nicht gefährlich, zuzugeben, dass ich nicht genau wusste, was er von mir wollte. Außerdem wollte ich dieses Treffen schnellstmöglich beenden, weil ich so wenig Zeit wie möglich mit diesem Typen verbringen wollte. Wie war er zu seinem Namen gekommen? Die Echse. Klang nicht so, als hätte derjenige, der ihn ihm verpasst hatte, besonders gemocht. Verständlich. Mir war er jetzt schon unsympathisch.

Und er verlor noch mehr Sympathiepunkte, als er erklärte, worum es ihm ging: „Es gibt wieder eine neue Ladung." Ich tat wirklich alles, um mir nicht anzumerken zu lassen, dass mir schlecht wurde, aber eine leicht ungesunde Änderung meiner Gesichtsfarbe konnte ich wohl nicht verhindern, denn für einen Moment wirkte Lagarto irritiert. Aber dann sprach er zu meiner großen Erleichterung weiter und schien diesen kurzen Moment des Verdachts schon wieder vergessen zu haben: „Ich habe mir sagen lassen, dass es sich um wirklich gute Ware handelt."

Becoming HimWo Geschichten leben. Entdecke jetzt