Kapitel 11

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Fünf Übelkeitsattacken, unzählige Schweißausbrüche und die Gewissheit, dass ich später Kopfschmerzen haben würde – das trug ich von der Nacht mit Nolan und Young davon. Ich war erleichterter als nach meiner letzten mündlichen Prüfung mit Professor Mallory, als die beiden sich endlich verabschiedeten und ich Nolan hinaus zu seinem Auto begleiten konnte, während Young mit der rothaarigen Stripperin, die ihm so gefallen hatte, durch den Hinterausgang in die Nacht torkelte.

Endlich vorbei. Vorbei waren allerdings genau genommen erst einmal nur meine Zeit mit Nolan und Young und die Gespräche mit ihnen. Die Gespräche, bei denen ich entweder nicht ganz mitgekommen war, weil es um private Informationen ging, die ich nicht hatte, oder bei denen ich nur zu genau verstanden hatte, worum es ging, aber nichts dazu hatte beitragen wollen, weil mir schon vom Zuhören schlecht geworden war. Ja, das war jetzt vorbei.

Aber es gab immer noch den Club, den ich für heute schließen musste, und die Angestellten, die ich nach Hause schicken musste. Wobei das eigentlich etwas Positives war – mein Kopf begann bereits, zu schmerzen, obwohl ich nicht wirklich betrunken war. Ich vertrug bloß eigentlich überhaupt keinen Alkohol und die Musik war mir auf Dauer dann doch auch zu laut geworden. Ich hielt die notwendigen Konversationen mit Ethans Mitarbeitern also kurz.

Zum Glück waren die meisten von ihnen ebenfalls müde und wollten nach Hause. Der DJ verabschiedete sich als Erster mit einem über die Schulter in den Raum gerufenen „Bis heute Abend!". Danach gingen Matt und der andere Türsteher, Paul. Matt fragte zwar noch, ob er noch irgendetwas tun sollte, aber ich verneinte und schickte ihn heim – gegen Zwölf würden die Putzkräfte kommen und aufräumen und putzen; mehr, als ihnen die Arbeit abzunehmen, für die sie bezahlt wurden, könnte er, soweit ich wusste, auch nicht tun. Aber vor allem sollte er wie alle anderen verschwinden, damit ich mich ebenfalls aus dem Staub machen konnte, am besten noch bevor die Putzkräfte hier aufkreuzten. Ein paar Stripperinnen wollten noch ihre nächsten Auftritte mit mir besprechen, aber ich vertagte diese Planung auf morgen – wo mich das Ganze nichts mehr angehen würde.

Letztlich blieb außer mir nur noch die Barkeeperin übrig.

„Wollen Sie nicht auch nach Hause, Miss Green?" Ethans Chatverlauf mit ihr war sehr kurz und eher förmlich gehalten, deshalb benutzte ich lieber ihren Nachnamen. Alle anderen hatte ich mit Vornamen angesprochen, weil sie auch schon alle eine ganze Weile hier arbeiteten, aber sie war die neueste Mitarbeiterin und erst seit einer Woche hier. „Der Rest ist schon längst weg."

Sie zuckte mit den Achseln und griff nach dem nächsten benutzen Glas. „Ich muss noch diese paar Gläser spülen, dann bin ich weg." Sie entschuldigte sich mit einem halben Lächeln. „Tut mir leid, ich bin wohl ein bisschen hinterher." Seufzend begann sie, das Glas in ihrer Hand zu reinigen. „Ich muss mich hier erst noch eingewöhnen."

„Natürlich", meinte ich verständnisvoll. Ich müsste mich hier auch erst eingewöhnen. Wenn ich denn noch viel länger bleiben würde. Was ich nicht tun würde. Aber eines konnte ich ja noch tun. „Ich helfe Ihnen." Ich trat zu ihr hinter die Bar und schnappte mir ein Geschirrtuch. „Das Abtrocknen übernehme ich." Ob Ethan so etwas auch tun würde, wusste ich nicht, aber wahrscheinlich eher nicht. Doch das war auch egal, da Green ihn noch nicht gut genug kennen konnte, um sich darüber zu wundern.

Gut, sie wirkte ein bisschen überrascht, aber nicht so, als hielte sie mich in irgendeiner Weise für verdächtig. „Oh, danke", sagte sie bloß und reichte mir das Glas, das sie eben gespült hatte. „Aber das ist doch nicht nötig." Sie griff nach dem nächsten Glas.

„Tja." Ich zuckte mit den Schultern und begann schweigend mit dem Abtrocknen. Währenddessen betrachtete ich sie. Sie wirkte südländisch und trug ihre schulterlangen, dunklen Locken offen. Normalerweise hielt ich nichts von grellen Farben, aber ihr stand das ärmellose kanariengelbe Oberteil aus einem leichten, luftigen Stoff ausgesprochen gut. In Kombination mit der eng anliegenden, schwarzen Lederhose sah sie sehr attraktiv aus. Was vielleicht auch auf ihr hübsches Gesicht zurückzuführen war. Auf die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und die warmen, dunklen Augen, die...

Verzweifelt versuchte ich, nicht zu erröten, als ich bemerkte, dass sie mitbekommen hatte, wie ich sie musterte, und mich amüsiert anlächelte. Genau aus diesem Grund hielt ich mich in der Regel von hübschen Frauen fern – um nicht in die peinliche Situation geraten, irgendwie davon ablenken zu müssen, dass ich sie gemustert hatte. „Ihre Schuhe", sagte ich schnell und wies auf ihre High Heels. „Die sind ja mörderisch."

Green schmunzelte. „Das war eine Ihrer Jobanforderungen, Mr Carter", bemerkte sie belustigt und hielt mir das nächste Glas hin. Ich trocknete rasch noch das andere fertig ab und räumte es weg, bevor ich das Glas entgegennahm.

„Oh", meinte ich und verfluchte mich schon wieder selbst. „Natürlich." Als ob irgendjemand freiwillig diese Fünfzehn-Zentimeter-Absätze tragen würde. Ich räusperte mich verlegen. „Sie sehen sehr... heiß darin aus." Heiß war das einzige Wort, das Ethan benutzen könnte, um sie zu beschreiben, welches ich ebenfalls in den Mund nehmen konnte, ohne rot zu werden. Okay: Ohne allzu rot zu werden.

Green grinste. „Dann bedanke ich mich mal für dieses Kompliment."

Ich lächelte zurück, obwohl ich mich gerade wie der letzte Idiot fühlte. Als wäre ich immer noch der picklige Teenager aus der Junior High, der stotternd versuchte, Annie aus der Theater-Gruppe anzusprechen. Der war ich nicht mehr! Und trotzdem war ich gerade ziemlich überfordert mit der Situation. Dabei spülten wir nur Gläser ab. Und unterhielten uns über Greens Attraktivität. Das war doch eigentlich normal, viele Männer machten solche Komplimente. Ethan hatte auch schon immer gerne und häufig welche verteilt. Aber ich war kein Frauenheld wie mein Bruder. Und in diesem Moment wurde mir auch ziemlich klar, warum nicht.

Wir arbeiteten schweigend weiter und als das letzte Glas gespült, abgetrocknet und verstaut war, lächelte Green mich noch einmal an. Es war ein sehr süßes Lächeln. Und bevor ich in irgendeiner Weise reagieren konnte, hatte sie mir einen sachten Kuss auf die Wange gedrückt. Ihr Lächeln wurde zu einem verschmitzten Grinsen. „Als kleines Dankeschön für Ihre Hilfe", meinte sie. „Mr Carter."

Während sie mir den Rücken zuwandte, um ins Mitarbeiterzimmer zu gehen und ihre Tasche zu holen, versuchte ich, meine Gesichtsfarbe wieder in den Normalbereich zu bekommen. „Kein Ding", erwiderte ich, als ich meiner Stimme zutraute, nicht zu zittern. Cool zu klingen. Nach einem Gangsterboss. Ein letztes Mal.

Green ging mit ihrer Tasche in der Hand und diesem wundervollen Lächeln auf den Lippen an mir vorbei zum Ausgang des Clubs. „Dann bis heute Abend, Boss", rief sie über die Schulter und war aus der Tür.

Ich schaute noch eine Weile die Tür an, die hinter ihr zugefallen war. Heute Abend würde ich nicht mehr hier sein.

Ich seufzte tief. Es war ein Jammer, dass ich sie vermutlich nicht wieder sehen würde.

Becoming HimWo Geschichten leben. Entdecke jetzt