Kapitel 10

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„Ich will aussteigen."

Ich konnte deutlich hören, wie Agent West am anderen Ende der Leitung seufzte. Und mir wurde klar, dass er versuchen würde, mir das auszureden. Vielleicht mit Erfolg – immerhin war es ihm schon einmal gelungen, mich von etwas zu überzeugen, was ich ursprünglich nicht hatte tun wollen. Aber dieses Mal nicht. „West, es ist zu gefährlich."

„Carter", seufzte Agent West, leicht frustriert. „Was ist denn passiert?"

Was passiert war? Er hatte mich in das Leben meines toten Bruders hineingedrängt und mich in eine Sache hineingezogen, die für mich lebensgefährlich werden konnte! Lebensbeendend. Wenn ich aufflog. Und das würde ich, sehr bald. Verflucht, ich hatte nicht einmal ein paar Stunden durchgehalten, ohne mich verdächtig zu machen! „Ich kann das nicht!" Rasch senkte ich meine gerade lauter gewordene Stimme wieder. Ich war zwar allein in Ethans Wohnung und im Club im Erdgeschoss lief Musik, aber das war kein Grund, unvorsichtig zu sein. „Ich kann das nicht und das habe ich sehr eindeutig gemerkt, das ist passiert."

Einen Moment herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. „Wenn du aufgeflogen wärst, würdest du jetzt nicht mit mir telefonieren", stellte Agent West schließlich sachlich fest. Und damit hatte er Recht, noch war ich nicht aufgeflogen.

„Aber das wird bald passieren", entgegnete ich. „Ich denke, zumindest Matt hat..."

„Verdacht geschöpft?", unterbrach mich Agent West schnell – bevor ich die Worte aussprechen konnte, die mich eindeutig verraten würden, sollte jemand dieses Gespräch belauschen. Nervös sah ich mich in der Wohnung um, konnte jedoch niemanden entdecken. Auf irgendwelche leisen Geräusche eines eventuellen Mithörers zu lauschen, wäre bei der Musik, die von unten kam, sinnlos. „Carter, das heißt nicht, dass du jetzt aufgeben solltest." Ich wollte gerade widersprechen, als mich seine nächsten Worte auch schon für einen Moment sprachlos werden ließen: „Das heißt nur, dass du vorsichtiger sein und dich mehr anstrengen musst."

Ich blinzelte. Das war doch nicht sein Ernst, oder? „West, ich glaube, Sie verstehen mich nicht: Ich kann das einfach nicht! Ich bin nicht dafür gemacht, ein..."

„Du bist sein Zwilling", fiel Agent West mir erneut ins Wort. „Du bist perfekt geeignet." Etwas leiser fügte er hinzu: „Na ja, fast perfekt." Fast? Selbst wenn, wäre das nicht genug, um das hier zu schaffen. Wenn ich nicht ausstieg, würde ich auffliegen. Zweifellos.

„Ich muss aussteigen", sagte ich, nun nachdrücklicher. Der Gedanke, auf irgendeine Weise eine Art Held zu werden und Menschenleben zu retten, der Gedanke, den Agent West bewusst in mich eingepflanzt hatte, mit dem er mich rumgekriegt hatte, war immer noch in meinem Kopf, aber weniger präsent als in diesem Vernehmungsraum. Der Gedanke, dass ich einige Menschenleben zum Besseren wenden konnte, dass ich ein paar retten konnte, dass ich... Verdammt. Ich sollte nicht darüber nachdenken, was mit den Frauen, die Lagarto mir übermorgen liefern wollte, passieren würde, sollte ich hinschmeißen.

Denk lieber daran, was mit dir passiert, wenn du nicht hinschmeißt. Okay, nein. Das wollte ich mir eigentlich auch nicht vorstellen.

„Hören Sie zu, ich..."

„Ethan?" Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich eine Stimme hörte, die nicht aus dem Handy in meiner Hand kam. Scheiße. Ich drehte mich um – hinter mir stand Matt. Wie lange stand er dort schon? Wie viel hatte er gehört? Wusste er... Angestrengt versuchte ich, meine aufsteigende Panik zu unterdrücken und forderte ihn mit einer Kopfbewegung und gehobenen Brauen dazu auf, zu erklären, was er hier zu suchen hatte. Zumindest solange er mir antwortete, konnte er wohl nicht darüber nachdenken, was er gehört hatte und mit wem ich hier telefonierte. „Unten warten ein paar Leute auf dich", meinte Matt schließlich nach einem Räuspern. „Die wollen dich sprechen."

Becoming HimWhere stories live. Discover now