Kapitel 17

359 22 2
                                    

„Hey, Carter."

Ich schloss die Augen. Einen Moment lang, einen wundervollen, aber leider viel zu kurzen Augenblick lang, hatte ich erleichtert darüber sein können, Nolan und Young endlich mit der Ausrede, mir noch etwas zu trinken holen zu wollen, entkommen zu sein. Sie hatten mich direkt nachdem sie gekommen waren in Beschlag genommen und mich neugierig nach den Frauen ausgefragt, die heute versteigert werden würden. Weil ich wirklich keine Lust gehabt hatte, mich mit den beiden zu unterhalten, vor allem nicht mit Young, nicht nach dem Telefonat mit der völlig aufgelösten Lacey, hatte ich nur knappe Angaben gemacht und mich mit einem lockeren „Lasst euch überraschen – wo bliebe sonst der Spaß?" herausgeredet.

Und kaum, dass ich die beiden endlich losgeworden war, wurde ich schon vom nächsten Ekel angesprochen. Na toll.

Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen und drehte mich um, betend, dass dieser Mann zu denen gehörte, zu dem auf Ethans Handy ein Name und ein Kontaktfoto eingespeichert waren. Andernfalls musste ich stark improvisieren. „Hey." Zum Glück erkannte ich ihn nach fünf Sekunden Musterung. „Morris." Vor mir stand John Morris, Privatmann, aber offenbar vertraut mit den Bordellbesitzern hier, zumindest seiner kameradschaftlichen Interaktion mit ihnen nach zu schließen, welche ich vorhin aus einiger Entfernung beobachtet hatte. Wie die meisten hier trug er einen dunklen Anzug, wirkte aber dadurch leger, dass er keine Krawatte umgebunden hatte und dass die zwei obersten Knöpfe seines Hemds offen waren.

Morris grüßte mich mit einem Handschlag, auf den ich für mich selbst überraschend ganz geschickt reagierte – jedenfalls geschickter als bei den peinlichen Gelegenheiten, zu denen Lucy versucht hatte, sich so von mir zu verabschieden. Ich wurde langsam besser. Darin, dich normal zu verhalten? Das hier ist doch noch der simple Teil. Trotzdem war es ein gutes und beruhigendes Zeichen, dass ich nicht schon bei der Begrüßung versagte.

„Nette kleine Veranstaltung, die du hier organisiert hast", meinte Morris und warf sich die Traube von seinem Mini-Käse-Spieß in den Mund, während er den Blick durch den Raum schweifen ließ, in dem alle in kleinen, losen Grüppchen zusammenstanden und sich unterhielten, dabei aber immer wieder erwartungsvoll wahlweise zum leeren Podest oder zu mir sahen. Natürlich war der Smalltalk vor dem Hauptteil des Abends sicher auch wichtig, um neue Kontakte zu knüpfen oder bestehende zu pflegen, aber letztlich war es doch kein Geheimnis, warum all diese Männer heute hier waren und worauf sie alle warteten. Lange sollte ich den Beginn der Auktion wohl nicht mehr hinauszögern.

„Mal wieder die üblichen Verdächtigen." Morris' Stimme lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zurück zu ihm. Gerade schob er sich auch das Stück Käse in den Mund – auf eine unangenehm erotisch angehauchte Art. Gott, wie notgeil musste dieser Typ sein, dass er aus einer einfachen Nahrungsaufnahme etwas Sexuelles machte? Dass er hier war, um sich eine Frau zu kaufen? Ich presste die Zähne zusammen, um zu verhindern, dass irgendetwas in meinem Gesicht verräterisch zuckte, denn ich durfte ihm auf keinen Fall zeigen, wie sehr er mich anwiderte. „Aber einer fehlt doch, oder?"

„Ach ja?" Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Wen meinte er? Wer fehlte? Ich kannte nicht die Namen von allen, die abgesagt hatten. Und selbst wenn, hätte ich nicht einschätzen können, wer von ihnen so wichtig war, dass jemandem seine Abwesenheit so sehr auffiel, dass ich darauf angesprochen wurde. „Wen vermisst du denn?"

„Den Boss", erwiderte Morris und warf den Zahnstocher seines Käsespießes in den nächstgelegenen Mülleimer. „Hat er heute keine Zeit?" Er wandte sich wieder voll und ganz mir zu, mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen. „Oder bist du etwa in Ungnade gefallen, Ethan?"

Ich war verwirrt, planlos, was ich jetzt tun sollte, was ich antworten sollte, wer dieser Boss war, von dem er sprach, und blinzelte ihn einfach nur an – ein bisschen zu lange. Denn Morris entging meine allzu offensichtliche Verwirrung nicht und er zog leicht die Augenbrauen zusammen. Verflucht, Lucas! Ich war gerade dabei, es zu vermasseln, es richtig zu versauen. Verdammt, ich musste mich zusammenreißen! Und hoffen, dass ich doch noch irgendwie die Kurve kriegen konnte. „Nein, er hat einfach keine Zeit", antwortete ich knapp, um meiner Stimme nicht die Zeit zu lassen, zu zittern, und betete, dass Morris den Grund für die bündige Antwort in meiner Verärgerung über seinen kleinen Seitenhieb sah.

Becoming HimWhere stories live. Discover now