Kapitel 16

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„Wir brauchen noch mehr Stühle."

Ich sah mich noch einmal in dem Raum um und zählte die Stühle, die wir bereits aufgestellt hatten. Achtundzwanzig – wir brauchten also noch sieben weitere. Dass wir für diese Auktion tatsächlich fünfunddreißig Gäste beziehungsweise Teilnehmer erwarteten, schockierte mich. Die waren sicher nicht alle Bordellbesitzer, denn so viele Puffs gab es hier doch bestimmt nicht einmal. Oder? Gut, ich kannte die genaue Anzahl nicht, aber vermutlich waren es zwar viele, doch nicht so viele. Was bedeutete, dass noch andere Leute kamen, Privatleute, die genug Geld hatten, um sich verschleppte junge Frauen zu kaufen, ausschließlich zu ihrem persönlichen Vergnügen. Gott. Das ekelte mich wirklich an.

Reiß dich zusammen. Im Moment reichte ein tiefes Durchatmen noch, um mich wieder zu beruhigen, aber das lag wohl daran, dass noch keine Gäste da waren. Im Augenblick waren nur Matt, Paul und ich da.

Und seit zwanzig Minuten auch zwei nervöse Caterer, welche die spätere Versorgung der Gäste mit kleinen Häppchen und Sekt vorbereiteten und dafür bezahlt wurden, Stillschweigen über diese illegale Veranstaltung zu bewahren. Als ich einen von ihnen gefragt hatte, ob er oder sein Kollege noch irgendetwas brauchte, war er vor Schreck zusammengezuckt und hatte bei seiner leicht gestammelten Antwort immer wieder ängstlich zu meinem Revolver gelinst. Mir war nicht klar gewesen, dass ich mittlerweile so einen einschüchternden Eindruck auf Außenstehende machte. Einerseits war das wohl ein Fortschritt – ich wurde Ethan ähnlicher und immer besser darin, meine Rolle zu spielen. Andererseits war es auch erschreckend und nichts, was mir sonderlich gefiel.

„Im Keller sollten noch welche sein", sagte Matt plötzlich und ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, wovon er sprach. Ach ja, die fehlenden Stühle. Ich wandte mich zu ihm und hob die Augenbrauen. „Ich kann mal danach suchen", bot er daraufhin an.

Ich nickte. „Gute Idee."

Er machte sich sofort auf den Weg und ich atmete erleichtert auf. Trotz meines Ausrutschers letzte Nacht befolgte er weiterhin alle meine Anweisungen und ließ sich zumindest keinen Argwohn anmerken – falls er denn welchen entwickelt hatte. Rückblickend war es auf jeden Fall ein Ausrutscher gewesen, das Mädchen zu beschützen. Einer, den ich zwar nicht bereuen wollte, aber vermutlich bereuen sollte. Denn zumindest Paul sah mich seitdem immer wieder ein wenig misstrauisch an. Aus diesem Grund hatte ich auch ihn und nicht Matt nach unten geschickt, um dafür zu sorgen, dass sich unsere Ware für die Auktion umzog, da ich es für das Beste hielt, erst einmal Abstand zu ihm zu halten, um ihm nicht noch mehr Gründe zu liefern, mich für verdächtig zu halten. Wie gefährlich Paul mir werden könnte, wenn er schließlich doch zu der Überzeugung gelangte, dass ich nicht Ethan war, wusste ich nicht, aber das wollte ich auch gar nicht herausfinden.

Noch einmal ließ ich den Blick durch den Raum schweifen. Vor den Stuhlreihen im größten Raum des Hauses, das wir für heute Abend gemietet hatten, hatten Matt und Paul vorhin ein kleines Podium aufgebaut, auf dem ich nachher stehen würde, um mithilfe des ebenfalls schon bereit gestellten Mikrophons die Auktion zu leiten.

Dieser Teil des Abends machte mich noch nervöser als der Gedanke an die Gespräche, die ich davor führen musste, immerhin hatte ich so etwas erstens noch nie gemacht und zweitens war ich generell kein Fan davon, auf einer Bühne zu stehen und zu vielen Leuten zu sprechen. Gut, es würden nur fünfunddreißig Gäste sein, als würde ich insgesamt neununddreißig Zuhörer haben. Trotzdem bekam ich bereits jetzt schweißnasse Hände bei der Vorstellung, dort auf diesem Podium zu stehen und die jungen Frauen anzupreisen und zu versteigern, die nacheinander von Matt und Paul zu mir gebracht werden würden. Ich wollte das nicht – aber ich wusste, dass ich nicht darum herum kommen würde. Also musste ich mich damit abfinden. Agent West hatte mir in unserem Telefonat heute Vormittag alles erklärt, was ich über die Vorgehensweise wissen musste. Ich war also so gut wie unter den Umständen eben möglich vorbereitet.

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