Kapitel 26

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Ich starrte auf die Pistole in seinen Händen. Oder besser gesagt in die Mündung des Laufs der Waffe, welche direkt auf mein Gesicht gerichtet war. Wenn Goodwin abdrückte, dann war ich tot. Sofern meine laienhafte Einschätzung meiner Chancen, mit einer Kugel zwischen den Augen zu überleben, stimmte. Wovon ich stark genug ausging, um lieber nicht ausprobieren zu wollen, ob ich Recht hatte oder nicht.

Okay.

„Halt!" Goodwin verzog die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln. „Warten Sie!" Er hielt meine Worte ganz offensichtlich für einen ziemlich verzweifelten Versuch, ihn aufzuhalten. Das war auch so – aber diese Bitte hatte nicht das Hauptziel, ihn davon abzubringen, mich zu erschießen. Nein, sie sollte mir nur genügend Zeit verschaffen, damit ich mir etwas Besseres einfallen lassen konnte, um genau das in den nächsten Schritten zu erreichen.

Ich könnte um mein Leben betteln und ihn anflehen, mich zu verschonen, aber das würde ihn sicher nur belustigen und nichts an seinen Absichten ändern. Nein, ich brauchte einen anderen Plan. Irgendeinen! Meine zweite Idee war, ihm zu drohen. Aber angesichts meiner Lage – barfuß, durchnässt und zitternd in einem mir unbekannten Kellerraum an einen Stuhl gefesselt – wäre eine Drohung wohl wenig überzeugend. Womit sollte ich ihm denn drohen? Dass er es bereuen würde, mich getötet zu haben? Dass West ihn sowieso schnappen würde? Und wenn nicht West, dann eben irgendein anderer FBI-Agent? Ein anderer FBI-Agent, der vielleicht einen anderen Undercover-Ermittler hatte.

„Es wird Ihnen nichts nützen, mich zu töten." Falls es noch andere gab, die auf Goodwin oder seine Geschäftspartner angesetzt waren, wusste ich zumindest nichts davon. Aber Goodwin genauso wenig. Und vielleicht schaffte ich es ein zweites Mal, ihn zu verunsichern. Darüber, worauf das dieses Mal hinauslaufen würde, dachte ich lieber gar nicht nach. Hauptsache er nahm endlich diese Pistole herunter.

„Ach nein?", fragte Goodwin amüsiert. Er machte keine Anstalten, den Arm zu senken. „Ich denke doch. Wenn ich dich und deinen Agent töte und die Beweismittel, die ihr vermutlich gesammelt habt, vernichte, dann habe ich das Problem gelöst. Oder etwa nicht?"

Obwohl es mir schwer fiel, in meiner momentanen Situation selbstbewusst zu wirken, zwang ich mich, Goodwin über die Pistole hinweg direkt in die Augen zu sehen. Das Kinn zu heben. Und ein hochmütiges, abfälliges Lächeln aufzusetzen. „Denken Sie etwa, ich bin der Einzige, der verdeckt gegen Sie und Ihre Leute ermittelt?" Ich schnaubte verächtlich. „Nein. Ihr kleines Netzwerk ist schon längst infiltriert." Zufrieden bemerkte ich die in ihm aufsteigenden Zweifel. Wie vorhin schon schien er geneigt, mir zu glauben, allein schon deshalb, weil meine Lüge gerade glaubwürdig genug war, dass die plausible Möglichkeit bestand, dass sie wahr war. Goodwins Netzwerk war relativ groß und eindeutig kriminell, vielleicht gab es sogar tatsächlich außer mir noch andere, die verdeckt gegen ihn ermittelten. Durch diesen kleinen Erfolg noch etwas mutiger geworden fügte ich hinzu: „Wenn Sie mich töten, zögern Sie damit Ihre Verhaftung nur hinaus, aber verhindern können Sie sie nicht."

Noch immer senkte Goodwin die Waffe nicht. Aber er schien nicht mehr ganz so sehr von der Idee überzeugt zu sein, mich zu erschießen. Er zögerte tatsächlich und dachte darüber nach, was ich gesagt hatte. Darüber, was das jetzt für sein weiteres Vorgehen bedeuten könnte.

Damit ließ er sich so viel Zeit, dass Paul hinter ihm langsam ungeduldig wurde. „Ich finde, wir sollten ihn trotzdem erschießen", knurrte er, offensichtlich sehr unzufrieden damit, dass ich immer noch atmete. Matt, der nicht ganz so versessen darauf zu sein schien, mich sterben zu sehen, warf ihm unter leicht zusammengezogenen Brauen einen kurzen Blick zu.

„Nein." Sofort schoss mein Blick wieder zurück Goodwin. Nein? Quälend langsam nahm er die Pistole herunter. Aber er nahm sie herunter, er zielte nicht mehr auf mich – und das war fürs Erste das Wichtigste. Erleichtert atmete ich auf. Gott sei Dank. Ich würde also doch nicht sterben. Zumindest nicht jetzt sofort. Ja. Denn offensichtlich war Goodwin noch nicht fertig: „Noch nicht." Natürlich. Natürlich hatte er seinen Plan, mich zu töten, nur aufgeschoben. Aber immerhin: Ich hatte Zeit gewonnen. Zeit, um irgendwie hier herauszukommen.

Becoming HimWhere stories live. Discover now