Tage im Licht

189 15 67
                                    

Am nächsten Morgen wachte Merandil erfrischt auf und fühlte sich wie neu geboren. Was wohl auch daran lag, dass das Erste was er erblickte, die strahlenden Augen Anais' waren.

„Guten Morgen. Wie fühlst du dich?", fragte sie mit ihrer süßen Stimme.

„Ganz wunderbar", sagte er und räkelte sich genüsslich.

Er überlegte, ob er sie zu sich ziehen sollte und...

„Gut, dann zeige ich dir jetzt mein Buffet von Mutter Natur und nachdem du dich gestärkt hast, schlage ich vor, fangen wir mit der Arbeit an", sagte sie beschwingt und war mit einem Satz draußen.

Merandil seufzte. Na gut, dann vielleicht später. Er folgte ihr ins Freie und sie schlugen einen kleinen Pfad nach Süden ein, der gesäumt war von Glockenblumen und Lilien, wie Merandil sie noch nie gesehen hatte. Alles hier war irgendwie farbenfroher, lebendiger und urwüchsiger als er es von zu Hause kannte.

„Du sahst sehr friedlich aus heute Nacht", erzählte Anais.

„So habe ich mich auch gefühlt. Hast du irgendeinen Zauber angewandt, um mich erst einmal zur Ruhe kommen zu lassen?", fragte Merandil sie neugierig.

„Nein. Ich habe lediglich an deiner Seite gewacht und dich beobachtet."

„Nun, vielleicht ist das schon genug Zauber, um meine dunklen Träume zu vertreiben", erwiderte er breit grinsend.

Anais stupste ihn leicht an und warf ihm einen gespielt tadelnden Blick zu.

„Selbst wenn, wir müssen trotzdem tiefer gehen und ergründen woher sie rühren", sagte Anais.

Sie waren einige Minuten gelaufen, da mündete der Pfad auf eine Lichtung, die einem Paradiesgarten glich. Alle nur erdenklichen Obstbäume, Beerensträucher, Kolonien von aromatisch duftenden Pilzen und eine sprudelnde Quelle luden zum Speisen ein.

„Hast du eine Vorliebe?", fragte Anais, die diesen Anblick bereits gewöhnt war.

Merandil jedoch schaute sich überfordert um. Sie stürzte ihn von einer Überraschung in die nächste.

„Wie hast du es nur geschafft, dass so viele verschiedene Obstbäume auf einer Lichtung zusammen gedeihen und gleichzeitig Früchte tragen?", fragte er erstaunt.

„Das war ich nicht. Seit ich zurückdenken kann, kenne ich die Lichtung so. Ich sagte doch, wir gehen zu Mutter Naturs Buffet."

Sie zuckte die Achseln und kniete sich unter einen schattigen Birnenbaum. Dann begann sie zu graben und beförderte eine blass rötliche Wurzel ans Tageslicht.

„Probiere die mal, eine Royáwurzel! Die ist süß und würzig zugleich und macht richtig satt."

Sie brach die Wurzel in zwei Hälften und gab ihm eine davon. Er schnupperte daran und biss mit Appetit hinein.

„Die ist wirklich gut", sagte er, genüsslich kauend.

Anais lächelte ihm zu.

„Nicht wahr?"

Danach pflückten sie noch ein paar vollreife Beeren und schöpften Wasser aus der Quelle. Merandil argwöhnte mit dem ersten Schluck, in Erinnerung an den vorherigen Morgen, aber das Wasser war frisch und köstlich.

Nach dem Mahl klatschte Anais in die Hände und verkündete:

„Jetzt lass uns damit beginnen, nach den Ursprüngen deiner Träume zu suchen! Eine ruhige Nacht wird dich sicher nicht geheilt haben."

Merandil nickte und schaute sie erwartungsvoll an, als ob sie mit irgendeinem Zauber seinen Kopf öffnen würde und das böse Gedankengut daraus extrahieren könnte. Doch nichts dergleichen geschah.

Schattengrenze - ein Elfenroman über Licht und SchattenWhere stories live. Discover now