Der Hinterhalt

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Ein kalter Regen hatte eingesetzt, der alles in ein düsteres Grau tauchte. Merandil war genauso verstört wie Anais und entsetzt, wie schnell ihr ganzes Gefolge, mit Ausnahme von Baradir, sich gegenseitig dahingemetzelt und wie hilflos er dem gegenübergestanden hatte. Aber er wollte sich nichts anmerken lassen, um Anais nicht noch mehr zu verunsichern. Er würde nicht kapitulieren.

Baradir sah ihn durchdringend an und sagte schließlich:

„Leg eine Rüstung an, Merandil und nimm dir ein Schwert. Ich denke nicht, dass wir von der Dunkelheit unerkannt blieben, denn sonst wäre dieser Boden jetzt nicht voller Leichen. Es spielt also keine Rolle mehr, wie ihr der Düsternis entgegentretet, so lange ihr es nur tut. Ich weiß nicht, ob mein Geist stark bleiben wird und sich bis zum Ende der Stimmen erwehren kann. Sollte ich zu einem Werkzeug des Bösen werden, so wie unsere Freunde hier, dann möchte ich dich so gut wie möglich geschützt wissen."

An Anais gerichtet, forderte er auch sie auf:

„Bewaffne auch du dich. Ich hoffe du wirst Schwert und Schild nicht gegen mich führen müssen, aber wenn es dazu kommen sollte, so zögere nicht."

Sie wussten, dass er Recht hatte und auch wenn sich alles in ihnen dagegen sträubte, eine Waffe gegen Baradir zu erheben, taten sie wie ihnen geheißen. Merandil zog Daeron den Brustpanzer aus und legte ihn sich an. Dann nahm er seinen Helm von dessen Kopf und setzte ihn sich auf. Er löste den Schild aus Daerons steifen Händen, die ihn fest umklammerten und hob das Schwert auf, welches er fallen gelassen hatte, als Baradir seinen Hals durchbohrt hatte.

Er wirkte grimmig in der Rüstung und das war er auch, wütend auf das Monster, das sich anmaßte über Leben und Tod zu entscheiden und sich dabei feige verkroch und nur kraft seiner Gedanken siegte. Ob Schatten oder Dämon, Körper oder Geist, er würde einen Weg finden, es ein für alle Mal zu verbannen, oder besser noch, vom Angesicht der Erde zu tilgen.

Anais nahm sich Schild und Schwert Herendirs und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen.

„Lasst uns weitergehen. Ich spüre, dass wir dem Ziel ganz nah sind", sagte sie mit fester Stimme.


Kaum waren sie aufgebrochen, da raschelte es leise im Gebüsch hinter ihnen. Jemand schlich ihnen nach, eifrig darauf bedacht, nicht gesehen zu werden. Die Gestalt huschte über das kleine Schlachtfeld und folgte den Dreien in sicherem Abstand. Sie verschmolz mit den Schatten der dunklen Bäume und einzig der ab und an kurz aufblitzende Stahl der blanken Klinge, verriet ihre Anwesenheit. Doch Merandil, Anais und Baradir schritten weit aus und schauten nicht zurück.


Der dunkle Herr konzentrierte all seine Gedanken auf die drei Elfen, die dem Berg entgegen strebten. Jetzt, da das Gefolge fast gänzlich aus dem Weg geräumt war, musste er nur noch einen letzten Akt folgen lassen. Für diesen musste er in Baradirs Geist eindringen, der stark war, vorbereitet auf das, was kommen könnte und zusätzlich geschützt durch den Zauber Anais'.

Er bot all seine Kraft auf, stemmte seine Gedanken gegen den unsichtbaren Wall, der Baradirs Geist vor ihm abschirmte und verfluchte, wie so oft, dass er nur diese durch Morlith' Grenze dringen lassen konnte, nicht aber seinen Körper. Doch das würde sich bald ändern.

Quälend langsam bahnte er sich einen Weg durch den magischen Schild und fand endlich einen winzigen Spalt, durch den er eindringen konnte. Da war ein Fünkchen Zweifel in Baradir, ein leises Misstrauen gegenüber Merandil. Der Dunkle lachte leise auf.

'Wenn du wüsstest, wie nah du der Wahrheit bist', dachte er hämisch.

Und genau dort packte er den Krieger und schürte dessen Angst. Er flüsterte einschmeichelnd:

Schattengrenze - ein Elfenroman über Licht und SchattenWhere stories live. Discover now