Die Schatten

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Die Dunkelheit jenseits der Grenzen von Melith war in Aufruhr. Sie schwirrte durcheinander und formierte sich immer wieder neu, wie ein schattenhafter Schwarm undefinierbarer Art. Stofflos, wie rastlose Gedanken, ein verschleiertes Wesen, das aus Milliarden bestand, die einen matten kalten Schein umlagerten, aus dem sie sich speisten. Und dieser regte sich und erhob sich über die dunklen Schwaden und sandte Bilder aus, welche die Dunkelheit durchdrangen und sie in Schwingung versetzten.

Eine boshafte Stimme schwebte über allem und schürte den Aufruhr, der entflammt war.

„Es ist vollbracht. Die Verbindung ist stark und das Licht uns ein Verbündeter, wehrlos und uns völlig untergeben, ohne dass sie es ahnen. Sie werden ihn wie ein Lamm zur Opferbank führen und dabei nicht einmal bemerken, dass er ihr Henker sein wird. So rein, so unschuldig und voller Tugenden...so anrührend", spie die Stimme die Worte hervor und verfiel dann in ein hysterisches Gelächter. „Anduriel, ich wünschte du könntest sehen, was du geschaffen hast. Du würdest an deinen Tugenden ersticken. Doch ich danke dir...dein Plan war geradezu genial und bedurfte nur noch meiner kleinen Änderungen."

Aus der formlosen Dunkelheit bildeten sich langsam Schattenschemen, die den Schein in ihrer Mitte wie hungrige Raubtiere umkreisten.

„Nicht mehr lange und wir werden einen Sturm entfesseln", zischte die Stimme, „aber geduldet euch noch ein wenig. Die Rache wird umso köstlicher sein, wenn sie das Lichtpack quälend ungewiss trifft und es langsam in den Wahnsinn treibt. Warum alles mit einem Schlag vernichten, wenn man lange seinen Spaß daran haben kann?"

Die Schatten bäumten sich auf, doch sie fügten sich der Macht der Stimme und zügelten ihre unbändige Wut.

„Ich sehe ihr gewinnt an Kraft, meine Kinder. Lange habt ihr geschlafen und gestaltlos in der Dunkelheit ausgeharrt. Doch der Tag ist nah, da meine dunkle Macht wieder stark genug sein wird, um euch eure Gestalt vollends zurück zu geben und euch zu entfesseln, auf dass wir auf Vergeltung sinnen und das 'Gleichgewicht' zu unseren Gunsten neigen."

Die Stimme spuckte das Wort voller Verachtung aus.

„Die Zeit ist reif, das entscheidende Gewicht auf unserer Seite der Waagschale hinzuzufügen."

Durch die Schatten lief ein Raunen, während der Schein in ihrer Mitte langsam stärker aufglomm. Aber er wurde nicht heller, sondern durchdrang die Dunkelheit wie ein geisterhafter Nebel, der hier und dort Formen aus der düsteren Masse schnitt und ihnen Leben einhauchte. So wurden einige Schemen deutlicher und bekamen klauenhafte unstete Gliedmaßen, die sich ständig in Form und Größe veränderten. Leere Augenhöhlen füllten sich langsam mit dem nebligen Schein, aus dem die Kreaturen geboren wurden. Ein Stöhnen erhob sich über allem und der Nebel konzentrierte sich auf den matten Schein und strebte ihm zu.

Aus der dunkelgrauen Masse erwuchs eine Gestalt, so mächtig an Größe, dass sie den gesamten Raum einzunehmen schien. Sie strahlte eine Gluthitze aus, pulsierend wie Lava. Die Schattengestalten kreischten auf und umschwirrten den glimmenden Koloss, wie Motten das Licht.

„Geht durch die Quelle und überbringt die Botschaft in allen Teilen des Lichtreiches. Die Dunkelheit kehrt zurück", donnerte die Stimme nun aus dem gewaltigen Körper. „Zeigt ihnen einen Ausweg, nennt ihnen das Opfer und bringt es zur Vollendung", ertönte die Stimme fast schmeichelnd, nur um dann wieder düster hinzuzufügen:

„Am Anfang war die Dunkelheit, dann kam das Licht und mit dem Zusammentreffen der Beiden entstanden die Schatten. Doch das Licht fürchtete und verbannte sie. Diese Narren! Am Ende wird sich der Kreis wieder schließen und die Dunkelheit wird herrschen, wie am Anbeginn der Zeit."

Die Schattenkreaturen waren unruhig wie Bluthunde, die von der Kette gelassen werden wollten.

„Seid meine Augen in der anderen Welt und lasst sie spüren, was kommen wird. Dann kehrt zurück zu mir, eurem dunklen Herrn!"

Mit einer einzigen Geste entfesselte er die Schatten und sandte sie in Richtung einer schwarzen Quelle, die aus dem Felsen einer tiefen Höhle entsprang, deren Ausmaße sich nur erahnen ließen. Das schwarze Wasser brodelte und zischte, als die Schatten darin eintauchten.

Schattengrenze - ein Elfenroman über Licht und SchattenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin