Eine andere Welt

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Sie ritten seit fast zwei Tagen durch die Wälder Aranils und Anais, die vorher noch nie ein Pferd bestiegen hatte, war mittlerweile daran gewöhnt. Die gleichförmige schaukelnde Bewegung des Tieres machte sie ruhig. Und wären nicht die schwer bewaffneten Krieger gewesen, die vor und hinter ihr ritten und sie auch flankierten, so hätte Anais den Ritt durch ihren Wald genossen.

Ein Stück weit vor ihr ritt Merandil, ebenfalls umringt von Kriegern und hinter ihr Elomir, dem man auf Merandils Bitten wenigstens den Knebel abgenommen hatte.

Elomir hatte Merandil in den Stunden der Nacht, da sie gefesselt auf den Aufbruch gewartet hatten, versteckte Zeichen gegeben und ihn mit Blicken zur Flucht überreden wollen. Aber Merandil hatte kaum merklich den Kopf geschüttelt und seinem Freund signalisiert, dass es zwecklos wäre. Irgendwann war Elomir aufgegangen, dass er Recht hatte. Drei kampfunerprobte Gefesselte gegen zwanzig mit Pfeil und Bogen, Kurzschwertern und Dolchen bewaffneten, erfahrenen Krieger...das war Wahnsinn.

Auch jetzt ließen die Gardisten die Drei keinen Moment aus den Augen. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen, ging die Reise nur langsam voran und der Befehlshaber, den die Krieger mit Baradir ansprachen, fluchte leise darüber, dass sie so wohl Wochen brauchen würden, um nach Shanduril zu gelangen.

Merandil nutzte diese Gefühlsregung und sprach ihn untertänig an:

„Mein Herr Baradir, wir werden nicht fliehen, wenn Ihr uns die Fesseln abnehmt. Es zieht mich sogar zu Fürst Mandelion, denn ich trage die Bürde dunkler Vorahnungen schon seit einiger Zeit und will ergründen, was es damit auf sich hat. Auch für Anais und Elomir verbürge ich mich. Sie werden keine Fluchtversuche unternehmen und Euch zum Hofe des Fürsten folgen."

Baradir, der ein Stück vor Merandil an der Spitze des Zuges ritt, ließ sein Pferd zurückfallen bis er auf einer Höhe mit ihm war. Er musterte ihn misstrauisch.

„Wie kann ich mir da sicher sein?"

„Ihr seid zwanzig der besten Krieger, ausgestattet mit jedweden Waffen. Wir sind drei Unbewaffnete, die noch nie kämpfen mussten. Elomir und ich sind Handwerkskünstler, Anais ist eine spirituelle Seele, verwachsen mit dem Wald und friedliebender als irgendjemand sonst. Was sollten wir gegen euch ausrichten?", sagte Merandil entwaffnend.  

Baradirs Gesichtsausdruck wurde milder und schließlich nickte er.  

„Ich behalte euch im Auge. Wenn ich auch nur das kleinste Anzeichen von Widerstand sehe, lasse ich euch wieder fesseln", erwiderte er.

Dann rief er im Befehlston:

„Nehmt ihnen die Fesseln ab, damit wir schneller voran kommen! Aber lasst sie nicht aus den Augen!"

Zögernd lenkten die Reiter an den Flanken Anais' und Elomirs ihre Pferde dichter an sie heran und durchtrennten die Fesseln. Merandils Fesseln löste Baradir persönlich. Dabei sah er ihm tief in die Augen und ermahnte ihn:

„Keine Tricks, verstanden?"

Merandil nickte und massierte sich die schmerzenden Handgelenke, die tiefe Einschnitte aufwiesen, so eng hatte man die Lederriemen darum geschlungen.

„Ich danke Euch."

Er deutete eine Verbeugung an und nahm die Zügel seines Schimmels auf. Anais war stolz auf ihren Gatten. Er war ein hervorragender Diplomat.  

Nun ging es schneller voran. Sie trabten los und sahen nach etwa zwei Stunden den Waldrand. Anais atmete tief durch. Widersprüchliche Gefühle kämpften in ihr. Sie hatte ihren Wald noch nie verlassen und spürte, wie sie sich immer weiter von der Quelle ihrer Magie entfernte. Das machte sie unruhig. Aber sie war auch gespannt auf die Welt, die jenseits der ihren lag. Da sie keine Wahl hatte, schob sie den Gedanken an Daheim weit von sich und öffnete ihren Geist für alles, was nun kommen würde.

Schattengrenze - ein Elfenroman über Licht und SchattenWhere stories live. Discover now