Der Pfad der Intrigen

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Nachdem Fürst Mandelion die Versammlung aufgelöst und alle ihren Aufgaben zugeführt hatte, machten sich Merandil und Anais auf den Weg zu Elomirs Haus. Sie hatten ihn während ihrer Lektionen nicht ein einziges Mal gesehen, weil sie jeden Tag noch vor Sonnenaufgang aufgestanden waren und sich erst weit nach Einbruch der Dunkelheit wieder völlig erschöpft nach Hause geschleppt hatten. Nun aber drängte es sie, Elomir zu sehen und ihm alles zu erzählen, was in den vergangenen Wochen passiert war.

Ihr Freund empfing sie mit einer Umarmung, welche sie zu ersticken drohte und den Worten:

„Verdammt nochmal, ihr verfluchten Möchtegernmagier habt mich hier ewig schmoren lassen. Ich dachte schon, sie hätten euch in einer Nacht und Nebel Aktion verschnürt zum Inrith geschickt und euch dort auf einem Opfertisch für das Schattengesindel hübsch drapiert."

Er legte jedem von ihnen einen Arm um die Schulter und zog sie ins Haus.

„Erzählt! Was ist passiert?", forderte er sie ungeduldig auf.

Anais und Merandil berichteten abwechselnd von ihren Lehreinheiten und den unglaublichen Fortschritten, die sie gemacht hatten. Als Anais schilderte, wie der enorme Magiestrahl aus Merandils Händen geschossen war, während sie nur einen kleinen Lichtmagieball erschaffen hatte, unterbrach Elomir sie überrascht.

„Reden wir von demselben Elf? Merandil, dem künstlerischen Eigenbrötler, der noch vor ein paar Tagen gejammert hat, dass er gar nichts Magisches in sich fühlt?"

Merandil nickte stumm und bescheiden. Er wusste jetzt zwar, zu was er im Stande war, aber geheuer war es ihm immer noch nicht. Im Grunde seines Herzens wünschte er sich zurück in den Wald von Aranil, zurück zu der Baustelle ihres Hauses, zurück zu den Plänen, die Anais und er geschmiedet hatten. Er war sich seiner Verantwortung sehr wohl bewusst und würde nicht davonlaufen, doch eigentlich sehnte er sich danach, wieder unbeschwert und frei an Anais' Seite zu sein und das Leben mit ihr zu genießen.

Sie endeten ihre Erzählung mit den Plänen Fürst Mandelions, in drei Tagen aufzubrechen.

Elomir rieb sich die Hände und frohlockte:

„Gut, dann geht es endlich los. Ich kann es kaum noch erwarten."

Merandil sah seinen Freund ernst an.

„Elomir, du wirst nicht mitkommen. Du wirst hier gebraucht. Der Meister benötigt dein Genie in der Werkstatt und ich muss die Gewissheit haben, dass mein bester Freund in Sicherheit ist."

Elomir verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte wie ein kleines Kind.

„Ich will euch beistehen. Das machen Freunde füreinander", sagte er halb beleidigt, halb bittend.

Doch Merandil und Anais schüttelten beide gleichzeitig energisch ihre Köpfe.

„Wir wollen dich schützen. Das machen Freunde so", sagte Anais sanft, Elomirs Argumente gegen ihn wendend.

Seinen Freund mit liebevoll besorgten Blicken inständig musternd, dachte Merandil an all die Jahre, die sie gemeinsam verbracht hatten. Sie waren beide Außenseiter gewesen. Elomir, weil er als ungehobelt und draufgängerisch galt, gänzlich unelfisch, gemessen an dem, was man ihrer Art als tugendhaft beimaß. Er selbst, da er still und zurückgezogen lebte, sich selten unter andere Elfen mischte und es vorzog, allein in seiner Arbeit Erfüllung zu suchen. Was dem einen fehlte, das hatte der andere im Überfluss und so ergänzten sie einander in perfekter Harmonie. Unter Elomirs derber Art verbarg sich ein feinfühliges Wesen, eine wahrhaft treue Seele, die bereit war alles für seinen Freund zu riskieren. Er war wie ein seltenes Juwel, noch verborgen in grauem Gestein, doch für all jene, die genauer hinsahen, strahlte sein warmes Feuer durch die raue Hülle, die ihn umgab.

Schattengrenze - ein Elfenroman über Licht und SchattenWhere stories live. Discover now