Landorielle

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Nach endlosen taktischen Besprechungen, die Anais ermüdet über sich ergehen lassen und unzähligen Fragen, welche sie gewissenhaft beantwortet hatte, schloss der Fürst die Versammlung des hohen Rates mit den Worten:

„Ich vertraue auf eure Stärke und euren Mut, mehr aber noch auf die Unerschütterlichkeit eures Geistes."

 Anais senkte ihre Augen und entschuldigte sich stumm bei allen, die sie gerade belogen hatte. Sie war den Stimmen nie ohne zusätzliche Zauber entgangen, doch sie war sich sicher, dass die Elfen mit mehr Selbstvertrauen und weniger zweifelnd ins Feld ziehen würden, wenn sie dies glaubten. Und vielleicht stimmte es ja sogar. Auf jeden Fall würde ein gefestigtes Wesen es den Stimmen schwerer machen, Zwietracht unter ihnen zu sähen.

Die Bilder des Kampfes, bei dem ihre Begleiter sich gegenseitig dahingeschlachtet hatten, flammten vor ihrem inneren Auge auf. Sie betete, dass sich so etwas nie wieder ereignen würde. Dann berührte sie Mandelion leicht am Arm und als dieser sich ihr zuwandte, wies sie in Richtung Landorielles. Der Fürst nickte und entließ Anais mit einem gütigen Lächeln.

Die Chronistin war in ein Gespräch mit einer hochgewachsenen Magierin vertieft. Doch als sie Anais auf sich zusteuern sah, wechselte sie ein paar letzte Worte mit ihrer Gesprächspartnerin und entschuldigte sich dann mit einem ergebenen Nicken.

Sie schritt Anais entgegen und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, dass sie sich mit ihr zurückziehen wollte. Die Beiden schlüpften zwischen den zahlreichen Anwesenden, die immer noch angeregt miteinander redeten und keine Anstalten machten, den Saal zu verlassen, hindurch. Landorielle lehnte sich gegen eine Wand, die unter ihrem Druck sacht zur Seite glitt. Sie bedeutete Anais, ihr schnell zu folgen und kurz darauf waren die Elfen hinter der Wand verschwunden.

Eine Wendeltreppe führte in engen Windungen abwärts ins Dämmerlicht. Die Chronistin nahm eine brennende Laterne von einem Haken am Anfang der Treppe und leuchtete ihnen den Weg.

„Wohin gehen wir?", fragte Anais.

„Zu meinem Haus. Wir nehmen die Abkürzung dorthin. Das geht nicht nur schneller, sondern erspart uns auch noch weitere lästige Fragen", antwortete Landorielle. „Nimiel sagte mir, dass du mich sprechen wolltest und ich ahne schon, dass die Unterredung nicht für alle Ohren bestimmt ist. Habe ich Recht?"

„Ja, das stimmt. Ich brauche deine Hilfe, um eine bestimmte Magierin zu finden. Sie soll mir einen Weg nach Morlith weisen, den die Schatten und ihr Herrscher nicht beschreiten können und auf dem ich unbemerkt dort eindringen kann", bestätigte Anais Landorielles Annahme.

Die letzten Windungen der Treppe wurden sichtbar und am Ende angekommen, gewahrte Anais einen schmalen Pfad, der zwischen hohen Felswänden verlief.

„Der Weg führt direkt zu meinem Haus. So bin ich schnell im Palast, wenn der Fürst nach mir verlangt", erklärte die Chronistin.

„Ich habe gehört, dass du jetzt zum Beraterstab gehörst. Warum wohnst du nicht im Palast, wie all die anderen des Hofstaates?", wollte Anais wissen.

Landorielle drehte sich im Laufen zu ihr um und lächelte breit, als sie sagte:

„Die Gemächer im Palast sind geräumig, aber sie hätten meine private Bibliothek niemals beherbergen können. Und ich machte es zur Bedingung, dass ich diese komplett mitbringen dürfte, bevor ich zusagte, meinen Wohnsitz von Alachit hierher zu verlegen. Der Fürst ließ daraufhin ein Haus für mich erbauen, das so gelegen ist, dass es eine schnelle Verbindung zum Palast ermöglicht und mir trotzdem Abgeschiedenheit bietet. Chronisten sind nicht unbedingt die Geselligsten. Ich schätze die Gesellschaft von Büchern weitaus mehr als die anderer Elfen."

Schattengrenze - ein Elfenroman über Licht und SchattenWhere stories live. Discover now