Kapitel 57

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Wie konnte ich nur meine Prinzipien über den Haufen hauen und sie so behandeln? „Was war das bitte da drin?", fragt David wütend und verwirrt, als er nachkommt. „Ich habe selber keine Ahnung.", sage ich und rufe mir noch mal die Situation gerade eben vor Augen. Alleine bei dem Gedanken kommen mir die Tränen und ich bin eine Person, die echt nicht oft weint. „Hey Mann, die ganze Situation hat dich einfach überfordert." „Aber ich hätte trotzdem nie so mit ihr umgehen dürfen." „Nein, aber jeder Mensch macht Fehler. Ich bin mir sicher, sie weiß, dass du bereits als du das Zimmer betreten hast, körperlich total fertig warst." „Aber sie hatte Schmerzen wegen mir. Wie soll ich ihr jetzt noch das zweite Zäpfchen geben, dass sie braucht?" „Das mache ich, ok?" „Gut, dann mach' das jetzt. Ich will, dass sie keine Schmerzen mehr hat. Und sag ihr, dass es mir leidtut. Ich kann ihr jetzt noch nicht in die Augen sehen – ich komme dann nach." „Mach ich, keine Sorge – das wird schon wieder.", sagt er, drückt meine Schulter und geht wieder zu Jackie.

Jackies P.O.V.:

Ich höre, wie die Tür aufgeht und weiß nicht, ob ich hoffe, dass es Michi ist oder das Gegenteil. „Na?", höre ich Davids Stimme. Irgendwie bin ich enttäuscht. Natürlich war das, was er gerade gemacht hat, nicht zu 100% ok, aber ich bin mir sicher, dass Michi das selber weiß. Außerdem war er verletzt, dass ich ihn schon wieder angelogen habe. Verletzt und erschöpft zu sein, ist keine gute Mischung. „Hey, alles ok?" Ich nicke leicht und versuche, ihm zuzulächeln. Er erzählt mir, was Michi gerade gesagt hat und versucht ihn etwas zu verteidigen, obwohl er natürlich auch nicht in Ordnung findet, was er gerade getan hat. „Ich weiß, ich hätte ihm vielleicht auch die Wahrheit sagen sollen." „Darüber könnt ihr euch ja dann unterhalten. Es sind wahrscheinlich beide nicht ganz unschuldig an der Situation, aber ich will nicht urteilen." „Ja, wir reden dann." „Ich gebe dir noch schnell das zweite Zäpfchen und dann hole ich ihn rein, ja?" Da ich nicht will, dass sich das ganze jetzt noch in die Länge zieht, kooperiere ich einfach und lasse die Prozedur über mich ergehen. „Ok, nicht verkrampfen – ganz locker." Ich versuche, locker zu lassen, aber irgendwie funktioniert es nicht wirklich. „Macht nix, drück mal dagegen, wie wenn du groß am Klo bist." Das werde ich sicher nicht tun. „Komm Jackie, versuche es. Wir schaffen das gemeinsam." Ich drücke ganz leicht dagegen und spüre ein paar Sekunden später auch schon, wie sein Finger samt Zäpfchen in mich eindringt. Ich merke aber, dass er extra vorsichtig ist, um meine Schmerzen nicht noch schlimmer zu machen.  „Super gemacht. War gar nicht so schlimm, oder?" „Naja" Er lacht leicht und zieht seinen Finger wieder vorsichtig aus mir raus. Obwohl er echt sanft war, fühlt es sich normalerweise bei Michi ganz anders an. „Gut, das war's auch schon. Du wirst in ein paar Minuten auf die Toilette müssen, also erschrecke dich nicht. Falls du Hilfe brauchst und Michis noch nicht annehmen kannst oder willst, dann rufe mich jederzeit an, ok? Ansonsten verabschiede ich mich schon mal von dir und hoffe, dich das nächste Mal unter anderen Umstände zu sehen.", sagt er und zwinkert mir zu. „Ja, das hoffe ich auch –trotzdem danke David." „Habe ich doch gerne gemacht."

Als Michi das Zimmer betritt, steht ihm die Schuld wie ins Gesicht geschrieben. Außerdem fällt mir auf, dass er geweint hat. Wow, ich habe ihn noch nie weinen sehen – anscheinend nimmt ihn die Situation echt mit. Ohne etwas zu sagen, stehe ich auf und umarme ihn fest.  So stehen wir eine Zeit lang da und obwohl wir nichts zueinander sagen, führen wir einen emotionalen Dialog. „Es tut mir so leid", sagt er, als wir uns langsam voneinander lösen. „Ich weiß. Ich muss zugeben, dass ich auch mal damit beginnen könnte, dir die Wahrheit zu sagen, wenn ich Schmerzen habe." „Ja, das wäre hilfreich", sagt er und lächelt ein wenig – das ist ja mal ein Anfang. „Ich war irgendwie außer Kontrolle vorhin. Ich war vom Dienst total überfordert und hab's an dir ausgelassen." „Naja, du hast mich vorgewarnt, dass du sauer sein würdest, wenn ich dich anlüge.", sage ich scherzhalber, jedoch nimmt er es anders auf. „Ich hätte aber niemals so grob sein dürfen. Als ich mit meinem Studium begonnen habe, habe ich mir geschworen, niemals bei einer Untersuchung grob zu sein und jetzt habe ich dieses Versprechen an mich gebrochen und das auch noch bei meiner eigenen Freundin – ich bin so ein Idiot." „Nein Schatz, das bist du nicht. Es ist ok, ich vergebe dir und ich weiß auch, dass du so nie wieder zu mir sein wirst. Du hast mich schon so oft sanft untersucht und mir ein Stück weit meine Ängste genommen. Wegen dieser Untersuchung verliere ich nicht mein Vertrauen – keine Sorge." „Trotzdem tut es mir unendlich leid." „Es ist ok Schatz", sage ich ihm erneut und nehme ihn nochmal in den Arm.

Wir liegen jetzt schon seit etwa einer halben Stunde in diesem Krankenhausbett und kuscheln. Ich habe ihm schon längst vergeben, aber ich glaube, er braucht noch ein bisschen, um sich selbst zu vergeben. Ich wünschte, er würde endlich aufhören, sich Gedanken zu  machen. „Spürst du eigentlich schon was?" „Nein, gar nichts." „Komisch, du müsstest inzwischen schon total dringend auf die Toilette müssen." „Was heißt das?" „Das heißt, dass wir jetzt mal nach Hause fahren und dort weiterschauen, was wir machen."

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Where stories live. Discover now