Kapitel 6

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Da es schon spät ist, leuchten in der ganzen Stadt die Lichter, was die Aussicht über Wien noch schöner macht, als sie bei Tag schon wäre. Ich rutsche noch ein bisschen näher zu ihm, so, dass uns jetzt nur noch ein paar Zentimeter voneinander trennen. Er nimmt wieder meine Hand und streichelt sie beruhigend. „Dir ist aber schon bewusst, dass ich Riesenrad fahren, nicht schlimm finde, oder?" „Darf ich nicht trotzdem deine Hand halten?" Ich lächle nur leicht und schaue ihm tief in die Augen. Er sieht mir auf die Lippen. Heißt das, dass er mich küssen will? Ist es jetzt soweit? Ich will es definitiv auch. Ich dachte mir nie, dass ich im Moment kurz vor meinem ersten Kuss so sicher sein werde, dass ich das möchte, wie ich das jetzt gerade bin. Wir kommen uns langsam näher, ich spüre seine Hand an meinem Hals. Jetzt fehlt nur noch ein kleines Stück, bis sich unsere Lippen berühren. Plötzlich kommt er ein Stück näher und BÄHM. Es fühlt sich wirklich an wie ein Feuerwerk in mir. Ich hab' das bei den Filmen immer als lächerlich empfunden, aber das Gefühl ist einfach unbeschreiblich. Unbeschreiblich schön. Als wir uns wieder voneinander lösen, sieht er mich mit einem Blick an, der mehr sagt, als tausend Worte. Ich denke, die Frage ob es ihm auch so gut gefallen hat wie mir, erübrigt sich hiermit. Ich rutsche wieder ein ganz kleines Stück von ihm weg, so dass ich meinen Kopf auf seine Schulter legen kann. Ich wünschte dieser Moment würde für ewig anhalten, ich muss jede einzelne Sekunde in vollen Zügen genießen.

Als wir wieder bei mir ankommen, sehe ich, dass die Lichter im Haus nicht brennen. Daher gehe ich davon aus, dass mein Vater noch nicht zuhause ist. Wenn er zuhause wäre, würde ich mich jetzt einfach von Michi verabschieden und ins Haus gehen, aber da die Situation anders ist, lehne ich mich, als er das Auto zum Halten abgestellt hat, wieder näher zu ihm und gebe ihm einen Kuss. Mein Herz pocht wie wild, ich nehme nichts in meiner Umgebung wahr, alles fühlt sich so real und doch so surreal an. „Morgen wieder um 6?", flüstert er, während er noch immer ganz nah an meinen Lippen ist. „Ich hab' morgen keine Probe. Wie wär's mit 12?" „12 klingt gut", sagt er und berührt wieder mit seinen Lippen meine. Ich weiß nicht, wie lange wir hier schon stehen, aber ich denke, es ist langsam Zeit reinzugehen. Ich sehe ihn ja eh morgen, versuche ich mir einzureden. Ich küsse ihn ein letztes Mal und steige aus dem Auto. Ich gehe zur Tür, winke ihm nochmal zu und gehe rein. Ich bin froh, dass mein Papa nicht zuhause ist. Ich denke, er sieht sowas eh entspannt, aber trotzdem muss mein Vater uns jetzt nicht unbedingt gleich küssen sehen.

Am nächsten Tag rufe ich in der Früh gleich Sophie an, um ihr alles was gestern passiert ist, zu erzählen. „Awww, das klingt ja total romantisch. Ich bin so froh für dich, Süße" „Danke, das Gefühl in meinem Bauch, wenn ich ihn sehe, ist total ungewohnt aber auch irgendwie unfassbar schön." „Stimmt, Schmetterlinge im Bauch können anfangs beängstigend sein, aber so lange es sich auch gut anfühlt, ist ja alles perfekt" „Ja, ich glaube ich mag Michi echt" „Er hört sich auch wie ein echt cooler und netter Mann an, von dem was du so erzählt hast. Ich glaube, er könnte gut zu dir passen. Das einzige Problem ist halt, dass er ein Arzt ist, oder?" „Ja, ich hasse das. Kann er nicht irgendeinen anderen Beruf ausüben?" „Aber eigentlich ist es ja praktisch. Wenn dir was weh tut, dann kann er dir helfen. Wie ich herausgefunden hab, dass Julian Medizin studiert, war ich auch nicht unbedingt begeistert, aber ich sage dir, es hat echt Vorteile. Vielleicht findest du's ja sogar erregend. Wer weiß." „Sophie!" „Was denn?", lacht sie. „Das werde ich sicher nicht. Ärzte machen mir einfach nur Angst, das weißt du." „Ja, aber er ist ja nicht andauernd im Arztmodus. Wenn du ihn wirklich magst, dann überstehst du es auch, wenn er dich ab und zu mal untersucht." „Naja, mal schauen" „Du bist so stur" „Ja, ich weiß", sage ich und lache ein wenig, obwohl ich bei dem Gedanken eine Untersuchung von Michi über mich ergehen zu lassen, einfach nur Angst bekomme. „Süße, ich muss los. War echt schön mit dir zu reden. Halt mich auf dem Laufenden, ja?" „Mach ich, bis spätestens Montag", sage ich und lege auf.

Da es inzwischen eh schon 11:00 ist, beginne ich jetzt mich für mein Date mit Michi fertig zu machen. Wie immer bin ich total aufgeregt und weiß nicht, was ich anziehen soll. Ich entscheide mich schlussendlich für eine Jean, ein süßes Top und dezentes Make-up. Um halb elf klopft es an meiner Zimmertür und mein Vater kommt rein mit den Worten: „Hey Schatz, ich hab' bis jetzt geschlafen, weil ich gestern noch lange in der Arbeit war." „Schon ok, ich war mit Michi weg und treffe mich jetzt wieder mit ihm, passt das?" „Ja klar, amüsiere dich. Hab dich lieb", sagt er und macht die Tür wieder zu.

„Wie hat dein Vater gestern reagiert, wegen... du weißt schon... weil wir uns geküsst haben?", fragt Michi, als wir mit seinem Auto auf dem Weg zu einem Ort sind, von dem er mir noch nicht verraten hat, welcher es ist, weil er meinte, dass es eine Überraschung ist. „Er war gestern noch nicht zuhause, wie wir angekommen sind" „Aso ok, wie glaubst du, hätte er reagiert, wenn er uns gesehen hätte?" „Ich glaub, er ist da nicht so streng was das angeht. Eigentlich war er generell nie streng, das war immer meine Mama. Aber seitdem sie tot ist, ist mein Vater sehr vorsichtig, was meine Gesundheit angeht, da versteht er auch wirklich keinen Spaß. Das ist eigentlich das Einzige, wo er streng werden kann." „An was ist deine Mutter gestorben?" „Leukämie, da war ich 6" „Das tut mir leid", sagt er und nimmt mit seiner freien Hand meine. „Ich bin wirklich froh, dass mein Papa immer für mich und meinen großen Bruder da war, ohne ihn hätten wir es nie durch diese schwere Zeit geschafft" „Du hast einen Bruder?" „Ja, aber der lebt nicht mehr bei uns. Er ist vor 3 Jahren nach Amerika gezogen und arbeitet dort als 3 Mal darfst du raten... Arzt" „Welche Fachrichtung?" „Urologie" „Von Ärzten umzingelt, hm?", sagt er und lacht leicht. „Meine beste Freundin ist Tänzerin" „Na dann kennst du ja wenigstens eine Person, die nicht im medizinischen Bereich tätig ist" „Ihr Freund ist aber wieder Arzt" „Oh, ich nehme an, da hast du dich wie sie sich kennengelernt haben, aber nicht so gefreut, oder?" „Oh ja, das war der absolute Horror für mich" „Ohje, so schlimm?" „Mhm, ich mag alles was mit Medizin zu tun hat einfach gar nicht." „Mich auch nicht?", fragt er und macht einen Schmollmund. „Vielleicht kann ich bei dir eine Ausnahme machen", lächle ich ihn an. „Das würde mich sehr freuen." 

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Where stories live. Discover now