Kapitel 13

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Nachdem ich etwa dreimal flüchten wollte, aber jedes Mal von Michi gestoppt wurde, ist es Zeit für das Röntgen. Ich weiß, dass diese Prozedur nicht weh tut, habe aber irgendwie trotzdem Angst davor. „Ok, ich muss jetzt ganz kurz raus aus dem Zimmer, aber du kannst in deinem Kopf bis 60 zählen und danach bin ich schon wieder da, ok?" Ich nicke panisch mit dem Kopf und versuche, so ruhig wie, für meine Verhältnisse, möglich zu sein. Ich zähle bis 55 und da kommt er schon wieder rein, wie versprochen. „Das hast du ganz toll gemacht. Ich bin richtig stolz auf dich", sagt Michi und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „So, jetzt bring ich dich wieder in dein schönes Zimmer und ein Kollege bringt mir dann bald die Bilder zu uns, einverstanden?" „Nein, aber ich nehme mal an, dass ich sowieso nichts dagegen tun kann" „Richtig. Komm, jetzt gibt's dann auch bald gutes Essen" „Also, selbst wenn Krankenhausessen gut wäre, könntest du mich gerade nicht damit ködern" „Komm Schatz, alles wird wieder gut. Wir gehen jetzt aufs Zimmer und kuscheln ein bisschen. Kann ich dich damit ködern?" „Schauen wir mal", sage ich grimmig, weil ich noch immer wegwill, aber er trotzdem so süß ist, dass ich nicht widerstehen kann.

Ein paar Minuten später klopft auch schon jemand an der Tür, von dem ich vermute, dass es Michis Kollege ist. „Hallo Michi. Ich bring nur schnell die Röntgenbilder. Falls was ist, einfach den Kopf drücken, ja?", sieht er nun auch mich an. Er schenkt mir noch schnell ein freundliches Lächeln und verlässt den Raum. „So, mal schauen", sagt Michi und setzt sich zu mir ans Bett. Plötzlich wird seine Miene ernst. „Ohje. Ich hab's mir schon gedacht. Du hast dir die Bänder gerissen, was leider heißt, dass du jetzt ein paar Wochen nicht tanzen darfst. Du wirst merken, dass dir alleine schon das Gehen schwerfällt, daher musst du mit dem Tanzen jetzt echt noch warten. Das tut mir wirklich leid für dich.", sagt er mitleidig. „Nein, das gibt es doch nicht. Das Vortanzen wäre so gut gelaufen, wenn das nicht passiert wäre". Mir läuft eine Träne die Wange hinunter. „Hey, wenigstens ist es nicht gebrochen. Du wirst in ein paar Monaten auch schon wieder tanzen können." „Schon?! Das ist ja ur lange! Wie lang werde ich denn etwa Schmerzen haben?" „Es wird ein bisschen dauern, bis die Schmerzen nachlassen, aber auch dann, wenn dir dein Fuß weniger weh tut, darfst du noch nicht tanzen, weil das erst mal richtig verheilen muss" „Das werden wir ja dann sehen." „Nein Jackie, das werden wir nicht dann sehen. Du wirst jetzt ein paar Monate nicht tanzen." „Aber das ist mein Leben!" „Ja, aber wenn du dich noch schwerer verletzt, kannst du deine Tanzkarriere vielleicht ganz an den Nagel hängen. Willst du das?" „Nein, aber da wird schon nichts passieren" „Das gibt's ja nicht. Du wirst für ein paar Monate nicht tanzen. Ende der Diskussion", sagt er nun mit einer sehr strengen Stimme, die eigentlich keine Widerrede zulässt, aber das kann ich nicht so stehen lassen. „Du kannst mir nicht sagen, was ich tun soll" Er schüttelt den Kopf und sagt: „Ich bin dein behandelnder Arzt und wenn ich sage, dass du nicht tanzen darfst, dann darfst du verdammt nochmal nicht tanzen.", mit diesen Worten steht er wütend auf und verlässt den Raum.

So habe ich ihn noch nie erlebt. Ich weiß gar nicht, wie ich darauf reagieren soll. Soll ich ihn hassen oder doch froh sein, dass er sich so um mich sorgt. Ich würde ja gerne auf ihn hören, aber erstens habe ich extreme Angst vor dem ganzen Personal und den Geräten hier und zweitens ist Tanzen das Wichtigste in meinem Leben – das kann mir doch jetzt nicht weggenommen werden. Aber wenn es wirklich so ist, wie Michi gesagt hat, also, dass ich vielleicht nie wieder tanzen könnte, wenn ich jetzt leichtsinnig bin, dann wäre das das Schlimmste auf der Welt für mich. Also vielleicht sollte ich jetzt wirklich auf ihn hören.

Ein paar Minuten später klopft es an meiner Tür – ich werde nervös. Jedoch beruhigt sich mein Herz sehr schnell wieder, als sich die Tür öffnet und mein Vater statt Michi reinkommt. „Hey, was machst du denn für Sachen?", fragt er und setzt sich zu mir ans Bett. Besorgt mustert er mich und überprüft, was typisch für ihn ist, gleich, ob alles richtig eingestellt ist. „Sorry, ich wollt's dir schon vorher schreiben, aber bin total überfordert mit der Situation. Wie hast du überhaupt davon mitbekommen, dass ich hier bin?" „Michi hat mich angerufen und da bin ich natürlich sofort los. Wie geht's dir denn? Ich nehme an, er hat sich schon gut um dich gekümmert?" „Ein bisschen zu gut", seufze ich. „Was meinst du denn damit?", fragt er und sieht mich verwirrt an. „Naja, er behandelt mich wie ein kleines Kind. Wir hatten grade einen kleinen Streit, weil er mir gesagt hat, dass ich jetzt länger nicht tanzen darf." „Aber Schatz, sei doch vernünftig. Ich habe dich noch nicht untersucht, aber wenn er das sagt, dann wird das schon einen Grund haben. Er weiß ja auch, dass dir das Tanzen unglaublich wichtig ist. Was war denn die Diagnose?" Ich atme schneller. „Ganz ruhig, meine Süße. Michi hat gesagt, die Röntgenbilder liegen hier noch irgendwo – ich schau sie mir mal an.", sagt er und steht auf, um sie zu suchen. Nachdem er sie gefunden hat, nimmt er sie vom Tisch und betrachtet sie ganz genau. „Oh ja, das muss echt schmerzhaft sein, mein Schatz und es war richtig von ihm, dir das Tanzen zu verbieten, aber eigentlich weißt du das eh selber, oder?", fragt er und lächelt mir mitleidig zu. „Ja, aber ich will es nicht wahrhaben.", sage ich und beginne zu weinen, obwohl ich die ganze Zeit versuche, es zu unterdrücken. „Hey, shhh, alles wird wieder gut.", sagt mein Vater und setzt sich wieder zu mir. Er nimmt mich in den Arm, so gut das halt in der Position, in der ich mich befinde, geht und streichelt mir beruhigend den Rücken. „Und jetzt habe ich Michi auch noch verärgert, weil ich ihm gesagt habe, dass er mir nicht sagen soll, was ich zu tun habe", schluchze ich. „Ach Mäuschen, er wird nur ein bisschen Zeit für sich brauchen, um sich zu beruhigen. Ich weiß noch, wie sauer ich war, als du mir das erste Mal in medizinischen Belangen widersprochen hast. Er macht sich nur Sorgen und will das Beste für dich, das kann ich dir garantieren." „Ich will einfach nur raus hier." „Willst du vielleicht auf meine Station? Ist dir das lieber? Wenn du lieber hierbleiben willst, ist das auch ok. Ich vertraue Michi damit, dass er gut auf dich aufpasst." „Ich will einfach nur nach Hause." „Vielleicht geht das auch schon ganz bald. Ich kann dich ja dann auch nochmal untersuchen und gemeinsam mit Michi besprechen wir das nochmal, ok?" „Falls er wieder kommt" „Natürlich kommt er wieder. Der Junge ist von Kopf bis Fuß in die verschossen" Ich werde rot, aber muss trotzdem beim Gedanken an Michi lächeln, wie ein kleines Mädchen, das gerade ein Eis bekommen hat.

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt