Kapitel 8

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„Jetzt war ich bei dir, jetzt musst du auch zu mir kommen", sagt Michi mit einem verschmitzten Grinsen, als wir uns verabschieden. Die Zeit verging so schnell, dass es inzwischen schon richtig spät ist, ohne, dass wir es gemerkt haben. „Ich hätt' nix dagegen, aber ich weiß nicht, was mein Dad dazu sagt" „Na, dann frag ihn doch gleich, ob du morgen zu mir kommen darfst, vielleicht wieder um 6?" „Wie kann man diesem Lächeln widerstehen?", frage ich und gebe ihm einen kurzen Kuss, bevor ich meinen Vater um Erlaubnis fragen gehe. „Na, ist er schon weg?" „Nein, ich wollte noch kurz fragen, ob ich morgen vielleicht um 6 zu ihm nach Hause darf?" „Schatz, du bist alt genug und er scheint ein echt netter Junge zu sein, klar darfst du" „Danke Dad", sage ich halbwegs beherrscht, aber innerlich springe ich vor Freude. Jetzt muss ich mich aber noch kurz zusammenreißen, denn Michi steht noch vor der Tür. „Ja, passt. Aber ich hab' morgen wieder bis um 6 Probe, also kann ich erst so um 6:30" „Und wenn ich dich abhole?" „Ja, dann schon um 6" „Na, das passt doch perfekt", sagt er mit einem Lächeln, dass mir immer wieder ein warmes Gefühl im Magen bereitet. „In Ordnung, ich schicke dir noch die Adresse" „Mach das, bis morgen", sagt er und lehnt sich nochmal näher zu mir, um mir einen Abschiedskuss zu geben. Wow, ich glaube, mein Herz springt mir gleich aus der Brust. Dieser Mann hat's mir tatsächlich angetan.

„Also holt er dich jetzt dann ab?" „Ja genau, ich freu mich schon voll und bin richtig gespannt, wie seine Wohnung aussieht" „Hoffentlich ist er kein Serienkiller. Du kannst mich jederzeit anrufen" „Hahaha, sehr lustig", sag ich augenrollend und halte ihr dabei die Türe auf. Es schütte wie wild, so, dass ich erstmal nach Michis Auto Ausschau halten muss. „Hier stehe ich", höre ich Michis Stimme rufen und sehe ihn vor seinem Auto im Regen stehen. Als wir auf ihn zukommen, gebe ich ihm einen Kuss. „Hey, das ist meine beste Freundin Sophie", stelle ich sie vor. „Hey, ich bin Michi. Jackie und ich fahren zu mir nach Hause. Wir können dich gerne mitnehmen und bei dir rauslassen – es regnet ziemlich heftig. Ich glaube, da ist es angenehmer, wenn man eine Mitfahrgelegenheit hat." „Wenn das für euch ok wäre", sagt sie und schaut auch mich fragend an. „Natürlich ist das ok für uns. Danke, dass du es angeboten hast", sage ich und lächle ihm zu. „Ist ja selbstverständlich", sagt er und hält Sophie die Hintertüre auf, bevor er mir, wie immer, die Beifahrertüre aufhält. Er ist so ein Gentleman – eine der Eigenschaften, die ich so an ihm mag. Ich schau in den Spiegel und sehe, dass Sophie mir einen Blick zuwirft, der mir sagt: „Der Typ ist Gold wert. Halt dir den warm" Ich lächle ihr zu und merke, dass unser kleiner Blickaustausch auch ihm aufgefallen zu sein scheint. Er legt seine Hand, wie fast immer beim Fahren, auf meinen Schenkel und streichelt ihn leicht. Mein Vater mag ihn und meine beste Freundin scheint ihn auch zu mögen, das läuft ja alles richtig gut.

Nachdem wir Sophie rausgelassen haben, fahren wir weiter zu ihm. Wir fahren durch Straßen, in denen richtig große und teure Häuser stehen, bis wir plötzlich bei so einem anhalten. Nein, das gibt es nicht. Als ob ihm so ein Haus gehört. Ich dachte immer, dass in solchen Häusern nur Schnösel wohnen. „So, da wären wir", sagt er und steigt aus, um mir wieder die Tür zu öffnen. „Das ist deines?" „Ja?", lacht er. Als er meinen erstaunten Blick sieht, sagt er: „Meine Familie ist ziemlich reich und mein Vater hat mir damals vor seinem Tod dieses Haus gekauft, aber ich bin nicht abgehoben oder so. Mein Vater hat nur sehr viel Geld geerbt und ich jetzt eben auch" „Ich wollte nicht urteilen" „Alles in Ordnung. Ich wollte es nur gesagt haben. Gehen wir rein?", fragt er und hakt sich bei mir ein. Ich nicke und folge ihm hinein. Alles ist total schön und modern eingerichtet. Viel Holz, aber nicht so, dass es altmodisch wirkt. Außerdem sind fast alle Wände aus Glas, was das Haus total hell erscheinen lässt. „Hast du nicht Angst, dass du beobachtet wirst, wenn hier alles aus Glas ist?" „Nein, man kann von innen raussehen, aber nicht von draußen rein" „Wie cool ist das denn?" „Ich hab' vorher was in den Ofen gestellt, das sollte jetzt fertig sein" „Du kannst kochen?" „Ja, ich hab' früher, wo ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe, immer für die gekocht, da hab' ich es gelernt." „Kochen kann er auch noch. Was kannst du denn bitte nicht?" Er lacht und wird leicht rot, das hab' ich ja bei ihm noch nie gesehen – wie süß. Ich folge ihm in die Küche, wo es schon unfassbar gut riecht. „Ich hab Lasagne gemacht", sagt er und holt das Gefäß aus dem Ofen, bevor es auf den Tisch stellt. „Wow, das sieht richtig lecker aus" „Hoffentlich schmeckt es auch so", sagt er und ich merke, dass er tatsächlich ein bisschen nervös ist, weil er hofft, dass das Essen gut ist. Er kommt zu mir und zieht den Stuhl etwas nach hinten, damit ich mich hinsetzen kann – er ist einfach ein Gentleman durch und durch. „Lass es dir schmecken", sagt er und schneidet sich ein großes Stück ab. Als ich den ersten Bissen im Mund habe, bin ich davon überwältigt, wie gut die Lasagne schmeckt. „Das schmeckt so lecker" „Das freut mich"

Wir essen fertig und unterhalten uns in der Zwischenzeit über alle möglichen Dinge, bis das Thema auf seine Familie fällt. „Meine Mutter ist ziemlich bald nach meiner Geburt gestorben, mein Vater vor einem Jahr. Zu anderen Familienmitgliedern hatten wir nie Kontakt, da mein Vater mit so gut wie jedem Streit hatte." „Das tut mir sehr leid" „Muss es nicht. Meine Mutter habe ich nicht kennengelernt und mein Vater war ein Arschloch. Er dachte, mit Geld kann man sich alles kaufen. Aber Liebe lässt sich nicht kaufen – darum hat es mich nicht gewundert, dass er mir das Haus gekauft hat und mir auch nachher alles vererbt hat. Er dachte, er kann sich dadurch meinen Respekt verdienen, aber dafür war er einfach ein zu schlechter Mensch. Ich wollte mir mein Leben eigentlich nicht von ihm finanzieren lassen, aber er hat nicht lockergelassen. Ich habe einen Großteil von dem Geld, dass er mir vermacht hat, gespendet, obwohl ihn das wahrscheinlich nicht sehr erfreut hätte. Ich hatte immer Angst, so zu werden wie er." „Ich kenne ihn zwar nicht, aber von dem was du erzählst, bist du kein Stück so wie er. Du bist so wie ich dich bis jetzt kennengelernt habe, einer der liebevollsten, empathischsten und gutherzigsten Menschen." „Dass du das sagst, bedeutet mir sehr viel. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich rede nicht gerne über meine Familie – weckt unschöne Erinnerungen. Können wir vielleicht das Thema wechseln?" „Ja klar. Ähm... erzähl mir, wie du diese unglaublich leckere Lasagne gemacht hast" Er lacht leicht und beginnt mit gespielt übertriebener Begeisterung, über die Lasagne zu sprechen, dass ich lachen muss. Die Stimmung ist auf einmal wieder total ausgelassen.

Warum ausgerechnet Arzt? (Teil 1)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon