Widersprüche:

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Als die Tür sich öffnete, zog Dukat sich noch ein wenig weiter in den Schatten zurück. Er liebte es, aus dem Hintergrund zu beobachten. So offenbarten sich ihm Dinge, die anderen entgingen. Ein Schatten betrat sein Quartier. Eigentlich war es Annika, aber die vollkommen dunkle Kleidung verbunden mit ihrem hellen Haar, ließen ihr blasses Gesicht geisterhaft schimmern und ihre Konturen verschwammen im diffusen Licht des Raumes.
Annika hatte sich verändert. Noch konnte er nicht genau sagen, was es war, aber ihre Haltung wirkte weniger vorsichtig als gestern, ihre Augen schwebten nicht wahllos umher, sondern fixierten alles kurz und effizient.
Ihre Kleidung war untypisch für ein Werk aus Garaks Werkstatt und was trug sie für Kleidung? Dieser Anzug wäre für ein Mitglied des Obsidianischen Ordens würdig gewesen. Und doch bewegte sie sich sicher und elegant. Sie schritt zum Fenster hinüber und lächelte die Sterne an. Dann drehte sie sich zum Raum, zog das Jackett aus und warf es über eine der antiken, bajoranische Skulpturen. Beinahe wäre ihm ein ,,Vorsichtig damit!" über die Lippen entkommen.
Annika betrachtete die Couch einen Augenblick und setzte sich mit dem Rücken zu ihm in die Ecke. Dukat beobachtete wie sich ihre Schultern beim Atmen hoben und senkten, sie wirkte völlig entspannt.
Es war an der Zeit, ein wenig Spannung in den Abend zu bringen.
Leise trat er an die Couch heran, beugte sich ein wenig vor und begrüßte Annika mit einem: „Guten Abend Seven. Ich hoffe, du hattest seit gestern eine schöne Zeit." direkt neben ihrem Ohr. Ihr Kopf fuhr herum und Dukat schenkte ihr ein Lächeln, dass zum einen genau das war, ein Lächeln. Zum anderen sagte es aber auch ,,Erwischt!"
Sie wollte aufspringen, doch er legte seine Hände mit sanftem Druck auf ihre Schultern, einen Moment länger als nötig.
„Möchtest Du was trinken, bevor wir uns zum Essen setzen?" Fragte er beiläufig, löste seine Hände von ihren Schultern und wandte sich zum Replikator.
„Ja gerne", die Antwort kam zögerlich. „Bei Garak habe ich heute so ein schwarzes Zeug probiert, was war das? Davon hätte ich gerne."

Dukat blickte sie über die Schulter an. „Du hast bei Garak Kanar getrunken?" Ihr Lächeln ob seiner überraschung war zuckersüß. Touche! Er drehte dem Replikator den Rücken zu und ging zu dem Schrank, in dem ich seinen Kanar aufbewahrte, goss zwei Gläser für ein, reichte Seven ihres und ließ sich auf der Couch nieder. Sie prostete ihm zu und nahm genüsslich einen Schluck. „Wie war Dein Tag, wie ich sehe hat Garak ganze Arbeit geleistet." begann er, ,,konnte er Dein Wünschen gerecht werden, oder hat er versucht, Dir seine Meinung zu Mode und Stil aufzudrängen?" Annikas Augen leuchteten auf. „Garak ist toll, er versteht sein Handwerk wirklich. Er hat mich zu 100 % verstanden und mich exzellent beraten. Und ja, er hat mich versucht zu beeinflussen, genauso Tuvalu. Beide scheinen der Meinung zu sein, Dir könnte mein Stil nicht gefallen, was mich irritiert hat. Schlussendlich muss ich mich ja darin wohlfühlen und mir ist bis jetzt nicht klar, warum sie darauf beharrten, Du könntest wütend reagieren." Sie blickte ihn fragend an und Dukat bemerkte, wie ihr Blick von seinem Gesicht zu seinen Schulterkämmen abglitt. Er schmunzelte. „In meiner Rolle als Präfekt von Bajor habe ich einen schlechten Ruf, da ich oft unangenehme Entscheidungen treffen muss. Wenn man einigen Stimmen glaubt, bin ich ein echtes Monster. Ich will gar nicht wissen, welche üblen Dinge hinter vorgehaltener Hand erzählt werden. Vermutlich dachten Garak und Tuvalu, da ich Frauen früher des Öfteren Kleider geschenkt habe, die mir gefallen und die der jeweiligen Dame gut zu Gesicht standen, dass ich auch in Deinem Fall einen solchen Stil erwarte. Aber natürlich bist Du frei in der Wahl Deiner Bekleidung und ich muss gestehen, Du hast mich angenehm überrascht." Während er sprach, hing Annikas Blick weiter an seinen Schultern.

„Wollen wir uns zum Essen rüber an den Tisch setzen?", Dukat wies mit der Rechten zum hinteren Teil des Raumes, und streckte ihr hilfreich eine Hand entgegen, denn er wusste, dass die weichen Sitze seiner Couch die Anziehungskraft eines Schwarzen Loches haben konnten. Zuerst ignorierte sie seine Hand, doch dann ändert sie ihre Meinung und nahm seine Hilfe an. Dukat befahl dem Computer, das Licht über dem gedeckten Esstisch um 50 % zu verstärken, bot Annika Platz und wandte sich dem Replikator zu.
„Da ich Deine Ernährungsgewohnheiten nicht kenne, habe ich aus dem Angebot des Replikators einige menschliche Speisen ausgewählt, die laut Computer zwar nicht zu einem Gourmet Menü taugen, aber durchaus für ein gemeinsames Abendessen geeignet sind. Wir starten mit einer Tomatencremesuppe. Magst Du Tomatencremesuppe?" Dukat trug zwei übergroße Tassen mit der roten, aromatisch duftenden Suppe zum Tisch, den er früher am Abend mit Besteck und Servietten ausgestattet hatte. „Oh ja, sehr gern, ich liebe die italienische Küche." Erwiderte sie. „Italienisch?", davon hatte der Computer nichts gesagt.

,,Italien ist ein Land auf dem europäischen Kontinent." Erklärte sie und offenbar gab es nicht mehr dazu zu sagen. Beide genossen schweigend die Suppe und Dukat war von dem fruchtigen Geschmack positiv überrascht. Er aß cardassianisch, aber Dukat liebte die cardassianische Küche nicht. Andere Völker hatten besseres kulinarisches Gespür bewiesen. „Wie steht es mit Deinen Erinnerungen, hat sich da was ergeben?", fragte er beiläufig, ,,Konntest Du Dich an das Leben erinnern bevor du hierher gekommen bist?" Annika blickte von ihrer Suppe auf. „Ich erinnere mich an das Leben, das ich geführt habe und ich kann mich an meinen letzten Geburtstag erinnern. Ich weiß, wann ich geboren wurde, und bin mir sicher, bis 2365 war ich auf jeden Fall auf der Erde. Danach werden die Bilder diffus. Wie weit weg sind wir von dort?" Erwartungsvolle Augen blickten ihm über den Tisch hinweg an. „Trink!" sagte er zu ihr und deutete auf den Kanar. Sie rührte sich nicht und in ihren Augen sah er Trotz aufblitzen.

„Ich sage Dir, trink! Du wirst es brauchen." riet Dukat ihr, ergriff sein Glas. Erst zögerte sie noch, dann nahm sie eine großen Schluck Kanar und leerte das Glas. „Wir sind von der Erde sehr weit entfernt. Es sind etwa sechs Tage Warpflug nötig!"
Annika saß wie versteinert auf ihrem Stuhl. Dukat überlegte kurz, ob sie einen Schock erlitten hatte und er sie nach Triplan schicken sollte. Doch dann nickte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm. „Sowas habe ich mir schon gedacht. Die Informationen aus dem Computer gestern wollte ich nicht ganz wahrhaben. Ich dachte die Zahlen beruhen auf unterschiedlicher Zeit und Entfernungsberechnungen. Aber irgendwie wusste ich es." Sie sah ihn wieder an und ihr Blick hatte seine Festigkeit zurück. „Mir ist flau. Ich muss meinen Magen beschäftigen. Was gibt es als Hauptgang?"

Dukat erhob sich wieder von Tisch und kam mit zwei Tellern vom Replikator zurück. „Das nennt sich Lasagne!"

„Ich bin nun alle Scans durchgegangen" begann Triplan erneut anzusetzen. „Eine Sache was ich merkwürdig finde ist ihr Alter. Sie behauptet sie sei im Jahr 2350 geboren, aber der Scan zeigt an ihr biologisches Alter sei 21 Jahre"
Apella hob fragend ihre Schultern: „Sie war in Stasis für eine unbestimmte Zeit. Bestimmt ist sie verwirrt"
„Oder sie sagt uns nicht ganz die Wahrheit" vermutete der Cardassianer.
„Es liegt an uns es herauszufinden. Dukat hält sie solange beschäftigt"

Die Beiden aßen schweigend die Lasagne. Annika grübelte. Sie konnte nur ahnen, wie man sich fühlt, wenn einem klar wird, dass jeder, den man kannte, nun Lichtjahre entfernt war. Derweil genoss sie die ihm unbekannte, aber sehr schmackhafte Mahlzeit. „Lasagne ist auch italienisch", merkte Annika irgendwann an. „Ich ahne, was der Replikator als Nachtisch bereithält."

„Sag Bescheid, wenn Du dafür bereit bist, dann werden wir erfahren, ob Du richtig liegst", erwiderte Dukat und stellte überrascht fest, dass ich auf diesen Nachtisch gespannt war.

„Seven, ich kann sehen, dass Du nicht mehr so guter Laune bist, wie zu Beginn unseres Abends. Ich kann verstehen, wenn Du mit Deinen Gedanken allein sein möchtest." bot er an. Schließlich konnten wir das hier morgen auch noch fortsetzen, ich bin ein geduldiger Mann! Dachte er schmunzelnd.

Annika schüttelte den Kopf. „Nein, es geht schon, erst war es ein Schock, aber letztlich gibt es nicht viel, dass ich verloren habe. Ich habe ... ich hatte keine Familie mehr und meine Freunde ... nicht der Rede wert. Es ist lediglich ein komisches Gefühl. Entwurzelt trifft es wohl."

Sie blickte ihn fragend an und stocherte mit der Gabel in den letzten Resten ihrer Lasagne herum.

„Ich frage mich jetzt natürlich, wie es weiter geht. Was mache ich hier? Bei so einer Situation" ihr Blick wurde lauernd, „und an diesem Ort."

Sie hatten es ihr erzählt, dessen war Dukat sich ganz sicher. Hatte Tuvalu ihr die Einzelheiten verraten? Nein, es war Garak. Woher auch immer er seine Informationen bekam. Eigentlich war es untypisch für den Schneider, Informationen, die er erlangt hatte, wieder herzugeben.

„Nachtisch?", fragte er, während er die Lasagne-Teller zurück in den Replikator brachte. „Ja", kam die Antwort kurz und er konnte ihre Blicke wie Laserstrahlen in seinem Rücken fühlen ... und sah das Spiegelbild ihres Gesichtes in der Konsole vor sich, ihren Blick, der seinen Nacken musterte.

„So, als Nachtisch empfiehlt der Computer Tiramisu." Dukat stellte zwei Schälchen mit einer weichen, geschichteten Masse auf den Tisch in der ein Stück Gebäck steckte.

„Bingo!", ließ Seven vernehmen. Dukat sah irritiert zu ihr hinüber und sie ließ sich nicht lange auf eine Erklärung warten.

„Italienisches Dessert. Damit ist der mediterrane Abend perfekt."

Bevor Dukat sich zurück an den Tisch setzte, zog er noch den Brustharnisch seiner Uniform aus. Er war zwar bequem und er trug seine Uniform von früh bis spät, aber Annikas neugierige Blicke auf die cardassianischen Eigenarten der Anatomie animierten ihn, ein wenig in die Offensive zu gehen.

Dukat löste die Schnallen an der Seite und entledigte sich des Harnischs in der Ecke des Raumes. Das Oberteil, das er unter dem Harnisch trug, ein eng anliegendes schwarzes Shirt mit breitem Halsausschnitt und Ärmeln, die bis knapp über die Ellenbogen reichten, war etwas nach oben gerutscht. Auch Annika war das aufgefallen und fasziniert betrachtete sie die silbrigen Schuppen, die seine Vorderseite von seinem Brustbein, am Bauchnabel vorbei nach unten seine Körpermitte zierten.

„Soll ich noch ein wenig so stehen bleiben?", fragte er neckend und Annika senkte ruckartig den Blick auf ihren Nachtisch. Ihr fast ätherisch blasses Gesicht wurde von einem kräftigen Rot geflutet.

„Entschuldige, ich ... ich wollte nicht starren. Ich habe nur noch nie ..." Diese Verlegenheit war entzückend.

„Ach verdammt, natürlich will ich wissen, wie ihr Cardassianer unter euren Uniformen ausseht! Diese ganze Situation ist nunmal Neuland für mich." blaffte sie ihn an und begann das Tiramisu regelrecht zu vernichten.

Sie hatte die Karten ausgeteilt, ich musste das Blatt nur noch spielen.

„Wie wir Cardassianer unter unseren Uniformen aussehen, oder wie dieser spezielle Cardassianer unter seiner Uniform aussieht?" Fragte Dukat säuselnd, mit einem breiten Lächeln. Dukat erwartete keine Antwort, nicht heute. Er nahm wieder Platz und genoss sein Tiramisu, wirklich lecker.

Das Blut in ihren Wangen pulsierte heiß. Er hatte mich erwischt, eiskalt, sowohl beim Gaffen als auch mit seiner Frage. Ich hatte vor mir selbst die Betrachtung seiner cardassianischer Körpermerkmale als rein ethnologisches Interesse gerechtfertigt und mich wirklich bemüht, nicht zu aufdringlich zu sein!

Das war ihr ganz offensichtlich nicht gelungen, im Gegenteil, er hatte es sofort bemerkt.

Hat der seinen Harnisch nur ausgezogen, um meine Reaktion zu testen und mich bloßzustellen? Wie peinlich, wo ist ein Loch zum Versinken, wenn man eines benötigt?

Annika konzentrierte sich auf das Tiramisu, das wirklich gut war. Aber ihre Gedanken hatten ein Eigenleben entwickelt und führten sie immer wieder zu den silbrig schimmernden Schuppen auf seinem Bauch und zu der Frage, wie weit sie sich erstreckten und was die Uniform sonst noch für Besonderheiten verbarg.

Ursprünglich wollte Annika diesen Abend nutzen, um klarzustellen, dass sie kein Besitz darstellte, auch wenn er sie faktisch gekauft hatte. Annika wollte ihm versichern, dass er jeglicher Plan, den er für sie hatte, nur mit ihrem Einverständnis funktionierte.

Und jetzt wäre es ihr lieb, wenn das Shirt noch mal verrutschen würde.

„Seven." Er sprach leise. „Seven, sieh mich bitte an. Warum ist Dir Deine Neugier so unangenehm? Sind das xenophobe Vorurteile oder sind es die Geschichten über mich?" Er sprach ruhig und sachlich und wirkte ehrlich interessiert. Annika blickte ihn an, konnte seine Frage aber nicht mit Gewissheit beantworten. Oder doch, wenn sie ehrlich zu sich war, kannte sie das Problem genau. Annika konnte regelrecht spüren, dass er weiter dasitzen, sie beobachten und auf eine Antwort warten würde. Doch zuerst musste sie einen Kloß hinunterwürgen.

„Könnte ich bitte noch ein wenig Kanar bekommen?", krächzte sie und war wütend auf ihre Unsicherheit. Jetzt versagte mir schon die Stimme! Dukat lächelte, stand auf und kam mit der Flasche Kanar zurück. Er füllte die Gläser großzügig, stellte die Flasche auf dem Tisch ab und lehnte sich entspannt zurück. Einen Augenblick benötigte sie noch, um ihre Gedanke zu sortieren. „Stimmt es, dass Du mich gekauft hast und mich quasi als Deinen Besitz betrachtest? Stimmt es, dass ich für Dich die Konkubine spielen soll?"

Dukat zog den Knochenwulst über seinem rechten Auge wie eine Augenbraue nach oben. „Ich gehe mal davon aus, Garak hat Dir das erzählt?" Er spitzte seine schmalen Lippen und forschte in ihrem Gesicht nach einer Bestätigung. Er beugte sich auf seinem Stuhl vor, stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf, faltete seine Hände und blickte sie darüber ernst an. „Fakt ist, ich habe eine fremdartige, vereiste Kryostase Einheit in unbekanntem Zustand gekauft, mit einer unbekannten, vermutlich weiblichen Lebensform in unbekanntem Zustand. Fakt ist, dass unbekannt war, ob wir diese Kryostase Einheit öffnen können und ob es uns gelingt den Inhalt lebend zu bergen.", er stand auf umrundete den Tisch, stellte sich hinter ihrem Stuhl auf und legte ihr seine Hände auf die Schultern. „Dass ich ein Geheimnis gekauft habe, das zu lösen mir eine Freude sein wird, ein Abenteuer. Und ich hoffe bei diesem kleinen Abenteuer auf Deine Unterstützung, denn ich gehe davon aus, Du bist ebenfalls an des Rätsels Lösung interessiert bist", er beugte sich vor und sprach mit seinem Mund direkt neben ihren Ohr leise weiter „Du bist eine attraktive Frau, klug, gewitzt und mutig. Sollten wir uns also während dieses Abenteuers näherkommen, wäre das, wie ihr Menschen zu sagen pflegt, ein Sahnehäubchen."

Bei diesen Worten strich er langsam sanft mit einem seiner Daumen vom Haaransatz an über die Linie ihrer Wirbelsäule nach unten, bis Annika letztendlich den Schlussstrich zog und die Berührung abwehrte. Ein Schauer rieselte ihren Rücken hinab in ihre Lenden. Dukats Hände lösten sich von ihren Schultern und er trat wieder in ihr Sichtfeld, um sich sein noch halb volles Glas Kanar zu greifen. Mit einem Schluck leerte er es und stellte es wieder zurück.

„Annika, ich habe es nicht nötig, mir eine Frau zu kaufen um sie zu irgendwas zu zwingen." Seine Stimme hatte ihre freundliche warme Klangfarbe verloren und erinnerte eher an Granit. „Frag Tuvalu, sie konnte jederzeit ablehnen. Ich ziehe Freiwilligkeit und Hingabe der Gewalt und dem Zwang vor, egal was andere hier zu wissen glauben. Nach allem, was ich für Dein Leben getan habe, wäre es schön, wenn Du weniger auf die Einflüsterungen anderer hören, und Dir eine eigene Meinung bilden würdest." Er drehte sich um und ging auf eine Tür zu, hinter der sich vermutlich sein Schlafzimmer befand. „Ich bin mir sicher, Du findest allein zu Deinem Quartier zurück. Gute Nacht."

Annika saß an dem Esstisch, das inzwischen leere Glas in der einen Hand, die andere zu einer Faust geballt. Annika wollte diesen Abend nutzen, um Antworten zu bekommen. Die Antworten hatte sie auch bekommen. Allerdings hatte sie jetzt mehr Fragen als vorher und bisher war ganz und gar nicht klar, ob sie auf diese meine Fragen jemals eine zufriedenstellende Antwort bekommen würde.

Was, in drei Teufels Namen, war mir passiert? Und wie, verdammt noch eins, konnte mich dieser arrogante Mistkerl so behandeln? Und warum verletzte mich das so? Scheiß Hormone!

Annika stand auf, sammelte ihr Jackett ein und verließ das Quartier. Zu ihrer Überraschung stand dort gegenüber der Tür an die Wand gelehnt, mürrisch dreinblickend wie immer, Ravec. Er hob eine nicht vorhandene Augenbraue und blickte sie abschätzig an. „So früh habe ich nicht mit Dir gerechnet. Normalerweise ..."

Annika ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen. „Erspar mir bitte irgendwelche Vermutungen darüber, was heute Abend in diesem Quartier passiert ist. Du hast nicht die geringste Ahnung." Sagte sie, an ihm vorbei in Richtung ihres Quartiers gehend. Mit wenigen, großen Schritten war er hinter ihr, zog sie an der Schulter grob herum und drückte sie mit einer Hand unterhalb meiner Kehle an die Wand. „Ich weiß genau, was in Dukats Quartier vor sich geht. Wort für Wort. Ich bin sein Leibwächter und weiß alles. Du solltest Dich an den Gedanken gewöhnen, dass hier nichts so ist, wie es auf den ersten Augenblick erscheint!" Spie er ihr entgegen.

Im ersten Moment dieses überraschenden Angriffs war sie starr vor Schrecken. Annika sah das wilde funkeln in Ravecs Augen und die Leichtigkeit, mit der er sie mit einer Hand an Ort und Stelle hielt, war beängstigend. Doch bei genauerem Hinsehen bemerkte sie Resignation und Trauer in seinem Blick. Annika griff nach der Hand, die sie fixierte, schob sie ohne Gegenwehr zur Seite und trat einen Schritt auf den Mann zu. „Du liebst wohl Dukat." stellte sie fest. „Weiß er es?" „Ja. Ich habe den Fehler gemacht, mich ihm vor Jahren zu offenbaren. Vermutlich amüsiert es ihn, mich weiter in seiner Näher zu halten." giftete er.

„Hast Du schon mal darüber nachgedacht, dass er Dir deshalb sein Leben anvertraut?" gab sie zu bedenken. Annika wartete noch einen Moment, aber Ravec stand wie versteinert in dem Gang und sie überließ ihn seinen Gedanken. Zurück in ihrem Quartier hatte sie selbst so viel nachzudenken. Vermutlich würde heute der Schlaf lange auf sich warten lassen, darum begab sie sich an das Computerterminal. Für die nächsten Stunden holte sie sich alle Informationen, die sie bekommen konnte über das was sie die Föderation und ganz besonders über ihren Geiselnehmer: Gul Dukat.

Danach fielen ihr zwar die Augen schon von allein zu, aber sie versorgte sich auch noch mit einer Übersicht über die wechselhafte cardassianische Historie. Und trotz ihrer inzwischen überwältigenden Müdigkeit war sie sich sicher, dass ihr neues Wissen besser hängen bleiben würde als am Tag zuvor. Doch jetzt war es wirklich Zeit für sie, ins Bett zu gehen. Im Schlafraum zog sie aus einer Schublade ein leichtes Nachthemd, das Teil ihrer neuen Garderobe war, entkleidete sich hastig, warf das Nachthemd über und vergrub sich im Bett.

Trotz ihrer Befürchtung, dass ihr Kopf sie nicht zur Ruhe kommen lassen würde, musste sie dann doch recht schnell eingeschlafen sein. Annika konnte sich nicht daran erinnern, noch länger wach gelegen zu haben. Erinnern konnte sie sich allerdings an die Bruchstücke eines Traums. Oder waren es Erinnerungen, die im Schlaf bruchstückhaft zurückfanden?

Da war immer wieder ein Gesicht, ein schmales Oval mit einem mitreißenden Lachen und schwarzen Haaren. Und eine weiche Stimme, die über diesen Bilder hing und wiederholte: „Keine Angst, du bist nun in Sicherheit"


Annika erhob sich, und ihr Kopf wies sie dezent darauf hin, dass sie ihren Umgang mit cardassianischem Alkohol überdenken sollte. Annika schlurfte zur Schalldusche und wusch den gestrigen Tag ab so gut es ging. Was würde sie jetzt für eine echte Dusche geben, heißes Wasser, das wie ein Starkregen über sie läuft. Annika musste sich unbedingt erkundigen, ob es diese Möglichkeit irgendwo gab.

Annikas Magen erinnerte sie daran, dass ich bald was essen sollte. Kaffee wäre prima. Mal schauen, ob der Replikator Kaffee im Repertoire hatte.

Nach der Dusche steckte sie ihre nassen Haare lose zusammen und kleidete sich an. Fast derselbe Look wie gestern, aber sie entschied mich für ein einlagiges, schlichtes Top und das dunkelblaue Jackett. Frieren würde sie auf dieser Raumstation vermutlich nirgendwo.

Tuvalu wartete noch nicht. War sie vom Babysitter-Job abgezogen worden, oder erwartete Sie, dass ich mich meldete? Nachdem ihr der Computer auf ihre Frage nach der Urzeit mitgeteilt hatte, dass es beinahe elf Uhr, und somit später Vormittag war, warf sie ihre Replikator Pläne über den Haufen und beschloss, auf eigene Faust loszuziehen. Den Turbolift fand sie ohne Weiteres und ihr Wunsch, das Promenadendeck zu erreichen wurde zu meiner Freude sofort umgesetzt. Annika benötigte dann doch einige Minuten länger, als gedacht, um das Ladenlokal des Schneiders wiederzufinden, stand aber irgendwann in dem Geschäft und wartete, bis Garak einer Kundin, eine sehr große und grazile Frau irgendeiner mir fremden Spezies mit federartigen Haaren und interessanten Wülsten im Gesicht, durch die an einigen Stellen Ringe gezogen waren. Außerirdisches Piercing, sie musste schmunzeln und ermahnte mich selbst, dass ich von nun an weniger in terrestrischen Maßstäben denken musste.

Garak kam nach Verabschiedung der Kundin, zu ihr hinüber.

„Meine Liebe, ich bin erfreut Dich so bald wiederzusehen. Wie war Dein Abend?" fragte er mit kaum unterdrückter Neugier in den Augen.

„Er ist anders gelaufen, als geplant, war überraschend und hat mich mit vielen Fragezeichen im Kopf zurückgelassen. Das Essen war gut." Antwortete sie.

„Er ist Dir hoffentlich nicht zu nahegetreten", kam es besorgt zurück. Annika zögerte und Garak blickte sie forschend an.

„Nein, irgendwie hat sich die Situation so entwickelt, dass ich ihm vermutlich zu nahegetreten bin und das obwohl ich überhaupt nichts von ihm möchte", gestand Annika. „Ich habe Hunger, gibt es die Möglichkeit irgendwo ein Happen zu essen zu bekommen? Dann erzähle ich Dir von den Fettnäpfen, in die ich so spektakulär getreten bin."

Garak schloss sein Lokal und geleitet sie zu einem Restaurant, in dem Replikatoren die Aufgabe der Köche übernahmen. Er bat sie um ihr Vertrauen bei der Auswahl der Speisen. Schließlich standen ein klingonischer Kaffee, eine Art Pudding und etwas, das wie Fleisch in Soße aussah vor ihr auf dem Tisch. Für sich selbst hatte Garak lediglich einen Rotblatt-Tee gewählt.

„Ich kenne in etwa den Geschmack der Menschen. Das sollte Dir schmecken. Und jetzt lausche ich gespannt Deiner Geschichte."

Dann berichtete sie Garak also von den Ereignissen des Abends, auch von ihrer peinlichen Gafferei und von Dukats Antwort auf ihre Frage nach seinen Plänen und seinem reserviertem Abgang.

„Ich bin mir sicher, Dukat wird Dir verzeihen, dass Du seinem Ego geschmeichelt hast. Es sollte Dir nicht peinlich sein und wie Du schon recht vermutet hast, er hat diese Reaktion Deinerseits ja provoziert. Ich kenne ihn gut genug, um mir sicher zu sein, dass er eure Unterhaltung sehr genossen hat. Und meine Annahmen bezüglich seiner Pläne hast Du ihm perfekt serviert. So hast Du ihm eine Möglichkeit geliefert, sich vor Dir ins, seiner Meinung nach, rechte Licht zu setzen." Garak unterbrach sich für einen Augenblick, nippte an seinem Tee und fuhr fort. „Meine liebe Seven, Du musst eines Wissen, cardassianische Gehirne arbeiten anders. Wir können uns nahezu alles merken und das erworbene Wissen ist jederzeit präsent. Ein Geschenk unserer reptiloiden Ahnen. Wir verstecken Pläne in Plänen, die in Plänen stecken und geben unsere wahre Intention niemals preis. Vermutlich bist Du am besten ganz Du selbst, so gerade raus und durchschaubar, wie ihr Menschen nun mal seid. Mit etwas Glück bringt das einen Cardassianer am Ehesten aus dem Konzept."

„Na gut", sagte Annika und nickte. „Testen wir Deinen Vorschlag mal. Wusstest Du gestern, als wir uns unterhalten haben schon, dass die Kapsel und mein Auftauchen hier womöglich kein Zufall sein könnte?"

„Natürlich!" Antwortete Garak unumwunden. „Und denk nicht, ich hätte mit dieser Frage nicht gerechnet." Er zwinkerte ihr schelmisch zu. „Du warst gestern recht verwirrt und überfordert. Ich wollte Dich nicht noch weiter verunsichern, als wir das schon gegenseitig gemacht haben."

„Garak, was soll ich machen? Ich bin hier gestrandet und mein Kopf schwirrt vor Fragen und neuen Eindrücken und noch mehr Fragen. Wie soll ich da einen Weg einschlagen, ich kenne nicht einmal meine Möglichkeiten?" Annika legte ihre Hand auf seine und sah ihn eindringlich an, seine Antwort war ihr wichtig, obwohl sie ihn erst seit gestern kannte und er sie selbst vor der cardassianischen Neigung, nicht die Wahrheit zu sagen, gewarnt hatte.

„Meine Liebe, Du hast Dir die Frage doch schon selbst beantwortet." Er lächelte sie an. „Du brauchst Antworten, sonst geht es für Dich nicht vor und nicht zurück. Also wirst Du zusammen mit Dukat versuchen, das Geheimnis zu ergründen. Und darüber hinaus, Du sagst selbst, Du bist hier gestrandet. Dann lebe bis auf Weiteres Dein Leben hier."

Annika dachte über diese Worte nach, während sie schweigend zurück zur Schneiderei schlenderten. Garak grüßte den einen oder anderen Passanten, blieb kurz für ein Gespräch mit einem, wie ich später erfuhr, Ferengi namens Rom stehen und besah sich kurz die Auslage eines Geschäftes, in dem es von allem etwas zu geben schien.

Er hatte mit seiner schlichten Antwort recht, was sollte sie sonst machen. Annika musste wissen, was ihr widerfahren war. Und egal was ihr widerfahren war, sie musste ihr Leben weiterleben.

Die Gespräche und Untersuchungen der Transportersignaturen wurden inzwischen bereits abgeschlossen. Die genaue Analyse konnte bestätigen, dass diese manipuliert worden sind und somit nicht der Tal Shiar für Annikas Verschwinden verantwortlich war.
Rosemary war verwirrt: „Ich verstehe nicht ganz was hier vorgeht...Die Signaturen sind wurden manipuliert und die Romulaner stecken nicht hinter Annikas Entführung?"
„Das ist korrekt" bestätigte Sloan.
„Wenn es keine Romulaner waren...Wer war es dann?"
Sloans Miene verfinsterte sich: „Ich habe so ein gewisses Gefühl"

Apella betrat am Mittag die Krankenstation. Die ganze Nacht lang war sie mit Grübeln und analysieren beschäftigt. In ihrer ganzen Laufbahn war sie noch nie jemanden so mysteriösen begegnet wie Annika.
Als sie über die Schwelle trat, bemerkte sie, dass Triplan sich ebenfalls auf der Krankenstation befand. Nach seinen Augenringen zu urteilen, hatte er ebenfalls kaum Schlaf gefunden.
„Irgendwelche Neuigkeiten von unserem Gast?" fragte die Cardassianerin und konnte kein Gähnen unterdrücken.
„Ich habe die vorherigen Scans genauer analysiert und auch neue Einblicke bekommen" berichtete ihr Kollege. „Ich konnte sie heute Morgen sogar auf die Krankenstation locken zu einem Routine Check-up. Sie hatte die Wahrheit gesagt. Ihr biologisches Alter beträgt in der Tat 21 Jahre"
„Aber?"
„Auch die Geschichte mit den Borg stimmt" setzte er fort. „Dennoch bereiten mir die Rückstände der cardassianischen Gene Sorgen"
Apella dachte nach: „Wurde sie möglicherweise chirurgisch verändert?"
„Nein, in ihrem Genom befinden sich keinerlei cardassianische Elemente." Verneinte ihr Kollege ihre Vermutung.
„Sie wurde also einer Gentherapie unterzogen..."


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