Kapitel 2

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*Triggerwarnung: Das folgende Kapitel enthält Inhalte zu den Themen Blut und selbstverletzendes Verhalten. Wenn Du Dich damit nicht wohlfühlst, solltest Du es nicht lesen. Oder lese es zusammen mit einer Vertrauensperson. Bist Du selbst betroffen, findest Du hier Hilfe: https://www.telefonseelsorge.de/ *

Während ich meinen Haustürschlüssel ins Schloss steckte, ihn umdrehte und die Tür aufzog, rief ich: "Hallo, jemand zu Hause?". Ich war mir zwar sicher, dass Mama noch bei der Arbeit war, aber irgendwie war das so eine Art Ritual. Zum einen, weil ich das schon immer so gemacht hatte und zum anderen, falls sich eventuell ein Einbrecher im Haus befinden sollte.

Ich ging in die Küche und fand dort wie immer einen kleinen handgeschriebenen Zettel von Mama.

Hallo Liebling,
auf dem Herd steht Borsch, nach Omas Rezept.
Kannst du bitte noch die Wäsche machen, ist schon sortiert.
Bis später!
Mama <3

Ich legte den kleinen Zettel zurück auf den Küchentisch. Dann ging ich zum Herd und hob den Deckel des Topfes an. Der typische Eintopfduft drang in meine Nase und ich spürte, wie mir der Speichel im Mund zusammenfloss. Aber ich musste mich noch etwas gedulden. 

Schnell rannte ich die Treppe nach oben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Im Bad lagen ein paar, nach Farbe sortierte Wäschehaufen. Ich zog mein Hemd und meine Jeans aus und schmiss beides in die Waschmaschine. Dann packte ich den Berg schwarze Wäsche und stopfte alles hinterher.

Und jetzt endlich meine erlösende Dusche!

Das heiße Wasser rann meinen nackten Körper entlang. Ich konnte fast spüren, wie es nicht nur den Müllgestank von mir abwusch, sondern auch alles, was an diesem Tag passiert war. Die Mobbing-Attacke von Micha und seinen Anhängern, die lachenden Schüler*innen, der neue, naserümpfende wunderschöne Typ, Mias böse funkelnde Augen ... Meine Tränen vermischten sich mit dem heißen Wasser.

Als ich mich wieder eingekriegt hatte, trocknete ich mich schnell ab, packte meine Haare in einen Handtuchturban und schlüpfte in meine bequeme Jogginghose und ein etwas zu großes T-Shirt. Dann schlürfte ich die Treppe runter und steuerte die Küche an. 

Außer dem Apfel in der Mittagspause hatte ich heute noch nichts in den Magen bekommen. Ich schöpfte mir etwas von dem Eintopf in einen tiefen Teller und stellte ihn anschließend in die Mikrowelle. Zwei Minuten sollten reichen. 

Während mein Essen sich im Kreis drehte, um warm zu werden, räumte ich das saubere Geschirr aus der Geschirrspülmaschine aus und stellte alles an seinen Platz. Ich war ein bisschen wütend auf mich selbst, weil ich in der Dusche geheult hatte. Normalerweise hatte ich mich doch eigentlich ganz gut im Griff, aber heute war es wohl auch für ein Profi-Mobbing-Opfer wie mich zu viel. 

Das Piepen der Mikrowelle riss mich aus meinen Gedanken. Vorsichtig hob ich den heißen dampfenden Teller heraus und stellte ihn vor mich auf die Küchenablage. Wenn ich alleine war, was ich die meiste Zeit war, aß ich mein Essen immer schnell im Stehen. Ich hatte keine Lust, mich länger als nötig in der kalten Küche aufzuhalten. 

Nachdem ich meinen Teller schnell ausgelöffelt hatte, ging ich wieder nach oben, diesmal in mein Zimmer.

Mein Zimmer war mein Reich, was unschwer an den „Schwester muss draußen bleiben" und „Bitte klopfen" Schildern zu erkennen war, die ich außen an meiner Tür befestigt hatte. Mein Reich war ein ziemlich kleines Zimmer mit einem Bett, einem Schreibtisch, einem halb zerfledderten Sessel und meinem Kleiderschrank. 

Die Wände waren tapeziert mit Film- und Bandpostern, die ich kreuz und quer mit Reißnägeln befestigt hatte. Auf dem Fleddersessel lag ein Berg mit Kleidung. Ach Mist, die Wäsche. Ich rannte ins Bad. Die Waschmaschine war in den letzten Zügen und schleuderte. Ich wartete die paar Minuten im Stehen. 

Tristan und Timothy [BxB] - Wenn Bernstein Eis zum Schmelzen bringtTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang