Kapitel 27

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Der Geruch von Chlor und lautes Kindergeschrei schlugen uns entgegen, als wir aus dem Umkleidebereich in den Badebereich liefen. Die Luft in dem riesigen Erlebnisbad war angenehm warm. Über zehn verschiedene Wasserrutschen, verteilt über mehrere Becken und unterschiedliche Liegebereiche unter Palmen, die zum Ausruhen einluden, erwarteten uns.

Ich beobachtete Timothy, der gerade seine Badetasche in eines der offenen Fächer steckte. Im Sportunterricht hatte ich ja schon gesehen, dass er gut gebaut war, aber als er da nur in seiner hellblauen Badehose stand, blieb mir die Luft weg. Ich schluckte. 

Er kam auf mich zu und lächelte. Seine blonden Locken hingen ihm wirr ins Gesicht und tropften noch von der Dusche. Hunderte Wassertropfen, die wie kleine Perlen auf seiner nackten Brust glitzerten, zogen mich in ihren Bann. Ich biss mir auf die Unterlippe und schaute ihm schnell wieder ins Gesicht. Meinen rechten Unterarm hielt ich an meinen Körper gedrückt, um die Narben möglichst vor den anderen zu verstecken.

„Welche Rutsche wollen wir als erstes runter?", fragte Robin und riss mich aus meinen Gedanken, „die Reifenrutsche?" Wir nickten und rannten alle gleichzeitig los.

Wir wählten je einen Doppelreifen. Robin rutschte schon mit Henry los, als Timothy sich auf unseren knallgelben Reifen platzierte und mich erwartungsvoll anschaute. Ich merkte schon wieder, wie mein Gesicht warm wurde, als ich mich ungelenk hinter ihn auf das Rutschgefährt setzte.

Und dann ging's auch schon los. Die Rutsche schleuderte uns ordentlich durch. Ich krallte mich in die Haltegriffe, während sich der Reifen immer wieder um die eigene Achse drehte und mit uns in die Kurven preschte.

„Die geht ganz schön ab", rief Timothy lachend und schaute mit strahlenden Augen zu mir nach hinten. „Ja! Achtung!" Wir platschten in das Auslaufbecken und schoben eine Wasserwelle vor uns her. Henry und Robin warteten schon am Beckenrand auf uns. „Die war nice! Jetzt zur Schwarzlicht-Rutsche?"



Nachdem wir schon einige Rutschen durch hatten, wollte ich eine Runde schwimmen gehen. Während Robin und Henry schon wieder zur nächsten Rutsche rannten, gesellte sich Timothy zu mir. Stumm schwammen wir eine Weile nebeneinander her.

„Schau mal! Wollen wir zu diesem Wasserpilz da?", meinte er plötzlich und zeigte auf eine Art Regendusche in Pilzform.

„Klar", sagte ich und schwamm darauf zu. Wir tauchten unter der Wasserwand durch. Und dann befanden wir uns wie in einer anderen kleinen Welt. Das Wasser klatschte ohrenbetäubend und rund um uns herum auf die Wasseroberfläche. Die Stimmen und das Geschrei der restlichen Badegäste wurden verschluckt. Das Licht war ganz bläulich und reflektierte zwischen der Wasseroberfläche und der silbernen Kuppel über uns hin und her. Die Welt da draußen konnten wir nur noch schemenhaft durch den Wasserschleier wahrnehmen. Ich genoss die mystische Atmosphäre und rief, um gegen die Lautstärke des aufklatschenden Wassers anzukommen: „Wie cool ist das denn!"

Und dann spürte ich seine Hand, die nach meiner griff. Unsere Finger verschränkten sich sofort und er drehte mich zu sich um. Wir standen uns so nahe, dass nur noch ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte. Ich schaute ihn erstaunt an. Er lächelte sein charmantes Lächeln. Mein Herz begann aufgeregt zu schlagen und mein Atem verschnellerte sich schlagartig. Sein Gesicht kam meinem näher. Seine Nasenspitze berührte meine. Oh Gott! Ich sterbe!

Doch dann stoppte er mitten in der Bewegung. Keiner von uns traute sich, weiterzugehen. Wir verharrten einfach genau in dieser Position. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. Soll ich ihn küssen? Was soll's, ich ...

„Da seid ihr ja ... Oh!" Als Robin unerwartet aus dem Wasser auftauchte, zuckten wir beide vor Schreck zusammen und ließen unsere Hände los. Timothy ließ sich rückwärts ins Wasser fallen und tauchte aus unserem Geheimversteck heraus. Ich war noch ganz benebelt von unserem Fast-Kuss, als Robin sich neben mir verlegen mit der Hand in den Nacken fasste und ein „Ups, sorry!" von sich gab. Dann grinste er mich an und sagte, um von der Situation abzulenken: „Henry und ich wollen uns was zum Essen holen."



Wir hatten es endlich geschafft, vier Badeliegen nebeneinander zu ergattern. Henry und ich breiteten gerade unsere Handtücher darauf aus, als Robin und Timothy auch schon vom Essensbereich zurückkamen. Jeder in beiden Händen je eine Schale Pommes Frites. Ich hatte mich auf die Liege ganz rechts gesetzt. Timothy reichte mir eine der Pappschalen. „Achtung heiß", sagt er, ohne mir dabei direkt in die Augen zu schauen. Robin und Henry hatten es sich auf den Liegen neben Timothy gemütlich gemacht und diskutierten darüber, welche Rutsche sie als Nächstes runter wollten.

Timothy saß zu mir gedreht auf seiner Liege und schob sich eine Pommes mit Ketchup in den Mund – sein Blick fest auf sein Essen gerichtet. Ich saß ihm gegenüber. Unsere Knie berührten sich fast. Wortlos aßen wir, während Robin und Henry sich immer noch angeregt im Hintergrund unterhielten.

Gerade, als ich die leere Pappschale neben mich legte, sah Timothy zu mir auf. An seinem unsicheren Blick erkannte ich, dass er etwas sagen wollte, aber vermutlich nicht wusste, wie. Dann atmete er tief ein und wieder aus und überwand sich. „Sorry, dass ich vorhin einfach abgehauen bin. Ich ... Das war ... Ich meine ..." Wieder schaute er bedrückt nach unten. Diesmal auf seine Hände, die er auf seinen Oberschenkeln abgelegt hatte.

„Macht nichts", sagte ich schnell und legte meine Hand auf seine Hand. Er drehte seine Handfläche nach oben und schloss seine Finger um die meinen. Er wandte den Blick nicht davon ab. Ich beobachtete ihn dabei und genoss das wunderbar kribbelnde Gefühl, das seine Haut auf meiner Haut auslöste. Doch dann schien etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er kniff die Augen skeptisch zusammen, hob seine andere Hand und legte sie auf meinen Unterarm. Shit!

Ich wollte meinen Arm schnell zurückziehen, doch er ließ mich nicht los. Sanft glitten seine Fingerspitzen über die zahlreichen hauchdünnen Narben auf meinem Unterarm. Er verzog sein Gesicht, als würde er den Schmerz selbst spüren, den ich mir mit jedem Schnitt zugefügt hatte. Meine Muskeln waren verkrampft. Ich wollte am liebsten aufspringen und wegrennen. Shit! Fuck! Verdammt!

Dann schaute er endlich von meinem Arm auf und mir direkt ins Gesicht. Seine bernsteinfarbenen Augen glänzten traurig und ich sah, wie sich dort Tränen sammelten. „Warum machst du das?", fragte er mit brüchiger Stimme. Wenn ich das wüsste ... 

Ich wich seinem Blick aus und schaute selbst auf die Narben, die immer noch sanft von seiner Hand gestreichelt wurden. Ich merkte, wie auch bei mir die Tränen aufstiegen. Wie ich dieses Gefühl hasse! Immer muss ich alle enttäuschen ... und verletzen, mit dem, was ich tue. Mit dem, wer ich bin!

Wieder wollte ich meinen Arm aus seinem Griff lösen. Ich wollte der Situation entfliehen und irgendwo hinrennen, wo ich alleine sein konnte. Doch er lockerte seinen Griff auch diesmal nicht. Stattdessen hob er meine Hand hoch und legte sie sich an seine Wange. Jetzt sah ich ihn an. „Bitte mach das nicht mehr!", sagte er dann und schmiegte sein Gesicht an meine Handfläche. 

Seine Stimme war wieder fester. „Wenn ich mir vorstelle, wie du ..." Er stockte. „Bitte versprich mir, das nicht mehr zu tun." Ich wich seinem Blick aus. „Ich weiß nicht, ob ich das kann", flüsterte ich. „Bitte versuch es", flüsterte er zurück, „versprich mir es zumindest zu versuchen." „Ich verspreche ... es zu versuchen", murmelte ich kaum hörbar. „Danke", sagte er und hauchte einen zarten Kuss auf meine Handfläche. 

Dann lehnte er sich zurück und legte sich auf seine Liege. Meine Hand ließ er dabei nicht los und hielt sie immer noch fest in seiner. Ich legte mich ebenfalls hin, schloss die Augen, versuchte das Gespräch zu vergessen und das Gefühl von meiner Hand in seiner Hand zu genießen.


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Hallööööchen,

na das war jetzt aber knapp ... Wäre da nicht Robin versehentlich reingeplatzt ... Dafür war das Gespräch der beiden danach umso schöner und intimer, oder? <3

Na ja, mal schauen, wann die beiden es endlich auf die Kette bekommen xD Kann sich bei dem Tempo nur noch um Jahre handeln... :P

Freue mich wie immer über eure Votes und am meisten über eure Kommentare! <3

Eure Elena :) <3

Tristan und Timothy [BxB] - Wenn Bernstein Eis zum Schmelzen bringtWhere stories live. Discover now