Kapitel 8

190 35 70
                                    


Heute war endlich wieder Freitag, was bedeutete, dass fast schon wieder Wochenende war. Ich hatte mir über eine Flohmarkt-App die Gelbe Edition von Pokémon für meinen alten Gameboy Color gekauft und mir vorgenommen, diesen Oldschool-Klassiker übers Wochenende durchzuzocken. Ich war wie immer zu spät dran, aber noch pünktlich genug, um es mir nicht mit Frau Gómez zu verscherzen. Bei ihr wollte man definitiv nicht zu spät kommen.

Als ich ins Klassenzimmer stürmte, war der Platz neben mir frei. Stimmt, Timothy hat Französisch.

Ich setzte mich, schmiss meinen Rucksack neben meinen Stuhl und zog mein Spanischbuch daraus. Die Stunde war ziemlich zäh, wir lasen reihum. So nötigte Frau Gómez auch mich, einen Abschnitt vorzulesen. Es ging um irgendeine Familie, die in den Urlaub reisen wollte und sich am Flughafen nach dem Weg erkundigte. 

Ich stotterte, spürte wie gewohnt die Röte unter meinen Sommersprossen und verstand zudem nicht mal die Hälfte von dem, was ich versuchte vorzulesen. Frau Gómez schaute mich verzweifelt und kopfschüttelnd an, bis sie in ihrer gewohnt überschwänglichen Art ausrief: „Dios mío! Henry, por favor, redime a Tristán y sigue leyendo." 

Ich atmete auf, als ich verstand, dass Henry, der vor mir neben Robin saß, mich von meinem Leiden erlösen sollte, in dem er weiter las. Im Gegensatz zu mir schien es ihm auch überhaupt nicht schwerzufallen. Flüssig las er den nächsten Abschnitt. Es war wohl hervorragend, denn Frau Gómez klatschte in die Hände und warf mir auf Spanisch an den Kopf, dass ich mir gefälligst ein Beispiel daran nehmen solle. 

Ich verdrehte unbeeindruckt die Augen und legte meinen Kopf genervt auf meinen Armen ab, die ich vor mir überkreuzt auf dem Tisch liegen hatte. Die restliche Stunde bewegte ich mich keinen Zentimeter mehr aus dieser Position.

Bevor die Englischstunde begann, trudelten die Französisch-Leute wieder ins Klassenzimmer. Timothy setzte sich neben mich, ohne mich zu begrüßen. Ich machte mir nicht mal die Mühe, zu ihm aufzusehen. Doch insgeheim spürte ich, wie immer mein Herz ein kleines bisschen schneller schlagen in seiner Nähe.

Unser Englischlehrer verschonte mich Gott sei Dank vor einer weiteren Blamage. Die Stunde war bald vorbei und es trennten mich nur noch zwei wundervolle Kunststunden von meinem Pokémon-Spiel.

Doch dann eröffnete uns Herr Fürstenberg noch eine „brilliant Idea", die ihm wohl über Nacht gekommen sei. Ihm wäre nämlich aufgefallen, dass einige aus unserer Klasse ziemlich grottig in Englisch seien, er funkelte mich an. Seine „brilliant Idea": Lerntandems. Warum zur Hölle?

Immer ein Englisch-Ass wurde Lernpartner*in einer Englisch-Niete. Ich seufzte. Mein Gott! Welcher Nachtmahr hat Herr Fürstenberg verdammt nochmal diese Alptraumidee eingepflanzt!

Die erste Aufgabe des Lern-Tandems wäre es übrigens, übers Wochenende ein Kurzreferat vorzubereiten, über eine beliebige Gemeinsamkeit des Tandems. Verflucht seist Du, mein Wochenende ist doch schon verplant!

Angsterfüllt wartete ich darauf, meinen Namen zu hören, um herauszufinden, wer sich mit mir abgeben musste. Ich wünschte mir, dass es Robin sein würde, bis mir wieder einfiel, dass der in der letzten Englisch-Klausur eine 5 hatte. 

Meine Hoffnung schwand endgültig, als Robin zusammen mit Mia aufgerufen wurde. Robin strahlte über beide Ohren. Glückspilz! Mia hingegen zog eine enttäuschte Schnute und lugte an Robin vorbei zu Timothy. 

Dann war es so weit, Herr Fürstenberg rief meinen Namen auf. Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Es waren nicht mehr viele übrig. Vielleicht Irina? Oder Luisa?

„Timothy, du hast hervorragende Englisch-Noten in diese Klasse mitgebracht. Ich würde mich freuen, wenn du Tristan in diesem Schuljahr unter die Arme greifen würdest." 

Ich weiß nicht, wer von uns geschockter aussah: Ich, Timothy oder Mia. Am liebsten hätte ich Herr Fürstenberg angeschrien und gefragt, wer ihm verdammt nochmal ins Hirn geschissen hat. Aber Herr Fürstenberg zwinkerte uns nur aufmunternd zu und las die restlichen Gruppierungen vor.

Ich wagte es nicht, mein Gesicht zu Timothy zu drehen. Ich befand mich in einer Schockstarre aus Wut und Verzweiflung. Wie asozial konnte das Schicksal eigentlich sein? Ich fragte mich, in welchem Moment ich so viele Karma-Punkte verloren hatte, dass es Grund genug war, mich jetzt so zu bestrafen. Doch es führte kein Weg daran vorbei. Da Herr Fürstenberg uns noch diese Präsentation übers Wochenende aufgegeben hatte, mussten wir uns wohl oder übel damit abfinden.

Die Schulglocke schrillte zum Ende der Stunde. Wir räumten unsere Englischsachen in den Rucksack. Keiner von uns beiden wollte den ersten Schritt machen. Doch bevor ich gleich in meine Doppelstunde Kunst und er in seine Doppelstunde Musik verschwinden würde, mussten wir die Sache klären. 

Ich seufzte absichtlich laut, um meinen Missmut über die Situation auszudrücken und drehte mich dann zu Timothy, der gerade im Begriff war aufzustehen. „Wir könnten heute Mittag bei mir zu Hause an der Präsentation arbeiten. Meine Mum ist eh noch bei der Arbeit und wir hätten da unsere Ruhe." 

Timothy schien zu zögern, doch dann nickte er, ohne mir dabei in die Augen zu schauen. Ich verdrehte wie üblich genervt die Augen. Schließlich hatte ER sich dafür entschieden, mich zu hassen und nicht andersherum. „Also, dann warte ich nach Kunst vorne am Haupteingang auf dich", brachte ich ihm bemüht lässig entgegen. Er nickte nur und ging dann aus dem Klassenzimmer.

Ich hatte mich so sehr auf Kunst gefreut, doch heute war ich kein bisschen bei der Sache. Anstatt auf dem Papier zu zeichnen, malte ich mir alle möglichen Situationen aus, um mich darauf vorzubereiten, was heute nach der Schule passieren könnte. 

Im 5-Minuten-Takt schaute ich auf die Uhr und wünschte mir, die Zeit würde einfach stehen bleiben, damit ich für immer in Kunst bleiben könnte und niemals mit Timothy zu mir nach Hause gehen müsste. Doch auch diesmal erhörten mich die Schulgötter nicht und die schrille Glocke läutete zum Ende des Unterrichts. 

Mit klopfendem Herzen ging ich zum Haupteingang. Timothy stand schon draußen vor der Tür. Auch er wirkte nervös auf mich. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.

Ohne Begrüßung gingen wir schweigend den Weg von der Schule zu meinem zu Hause. Mein Longboard verweilte derweil ungewohnter Weise, festgeschnallt an meinen Rucksack, auf meinem Rücken. Meine gewohnte Zigarette rauchte ich trotz Timothys angewiderten Blicks.


-------------------------------------

Hallöchen,

also ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber im Gegensatz zu Tristan feier ich die "Schulgötter" + Herr Fürstenberg für diese "brilliant Idea"!

Ich denke, wir können gespannt sein, ob die beiden eine Gemeinsamkeit für ihre Kurzpräsentation finden. ;)

Wenn euch das Kapitel gefallen hat, dann freue ich mich über einen Kommentar und einen Vote!

Eure Elena :) <3


Tristan und Timothy [BxB] - Wenn Bernstein Eis zum Schmelzen bringtOù les histoires vivent. Découvrez maintenant