Kapitel 31

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Ich zündete mir meine Zigarette für den Heimweg an. Es hatte zu nieseln begonnen. Die Tropfen fühlten sich kalt und unangenehm auf meiner Haut an, weshalb ich mir meine Kapuze über den Kopf zog. Gerade in dem Moment kamen Robin und Timothy zusammen aus dem Schulgebäude und gesellten sich zu mir. 

Die beiden waren mit ihren Sporttaschen bewaffnet auf dem Weg zum Fußballtraining. Timothy hatte heute in Robins Fußballverein Probetraining und war schon etwas nervös. „Das wird schon. Die werden dich mit deinem Talent bei uns mit Handkuss aufnehmen", meinte Robin ermutigend und klopfte Timothy auf die Schulter, „aber wir sollten uns jetzt auf den Weg machen, wenn wir nicht zu spät kommen wollen. Alex kann es nicht leiden, wenn er nicht pünktlich mit dem Training beginnen kann."

Ich nickte den beiden zu. Robin klatschte ich zum Abschied ab. Timothy hingegen umarmte ich. Lange. So lange, dass Robin ungeduldig wurde und sich räusperte. „Wir sollten dann mal ..."

„Viel Spaß. Du schaffst das", flüsterte ich Timothy noch zu, als wir uns widerwillig voneinander lösten. Dann liefen die beiden los. Auch für mich war es jetzt Zeit, mich auf den Heimweg zu machen. Ich schmiss mein Longboard vor mir auf den Boden, stellte mich darauf und rollte los.

Unser Haus war schon sichtbar, als plötzlich ein blauer VW Golf neben mir hielt. Ohne hinzuschauen, wusste ich, wer das war. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit. Mit einigen kräftigen Schüben drängte ich mein Longboard dazu, schneller zu werden. Doch Andrew war inzwischen ausgestiegen und rannte mir mit raschen Schritten hinterher. 

Er erwischte mich an der Jacke und riss so stark daran, dass ich dadurch mein Gleichgewicht verlor. Ich stolperte von meinem Longboard und knallte auf den Boden.  Der raue Asphalt grub sich in die Haut meiner Handflächen. Mein Board rollte noch ein paar Meter ohne mich weiter.

„Tristan!" Seine Stimme wirkte bedrohlich. „Was hab ich dir gesagt?" Ich saß vor ihm auf dem kalten, nassen Boden und schaute angsterfüllt nach oben zu dem blonden Hünen.

„Ich hab' gesagt, du sollst deine VERDAMMTEN FINGER von Timmy lassen." Sein Gesicht war zu einer wütenden Grimasse verzerrt. Schnell drehte ich mich auf die Knie und versuchte mich aufzurappeln, doch da traf mich auch schon ein harter Tritt in die Seite. „Fuck", schrie ich schmerzerfüllt auf. Dann, bevor ich selbst aufstehen konnte, packte er mich an den Armen und zerrte mich wieder auf die Beine, als wäre ich leicht wie eine Feder. 

Er krallte sich meinen Kragen, schob mich einige Schritte rückwärts und drückte mich gegen eine hochgewachsene Hecke. Die kleinen Äste stachen mir in den Hinterkopf. Ich versuchte mich zu befreien und zerrte an seinem Arm. Ohne Erfolg. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt", zischte er durch zusammengepresste Zähne. „Letzte Chance, Tristan! Wenn ich dich noch einmal sehe, wie du dich meinem Bruder mehr als einen Meter näherst, dann mach' ich dich fertig. Hast du mich dieses Mal verstanden?" 

Ich starrte ihn nur angsterfüllt an. „Ob du mich verstanden hast?", wiederholte er seine Frage und drückte mich noch stärker in das Gewächs. Die Äste bohrten sich in meine Kopfhaut. Ich nickte. „Gut!", sagte er und schleuderte mich zurück auf den Gehweg, wo ich direkt wieder mit allen Vieren auf dem harten Boden landete. Ohne mich nochmal eines Blickes zu würdigen, drehte er sich um und ging zurück zu seinem Auto. Mein Körper zitterte. Ich starrte auf meine aufgeschürften Handflächen und versuchte, das soeben Erlebte irgendwie einzuordnen, ohne direkt zusammenzubrechen.

Ein paar Minuten später kam ich zu Hause an. Als ich zur Tür hereinkam, war es mucksmäuschenstill. Ich war allein.

Keine Maja, die mich tröstend in den Arm nehmen konnte.

Keine Mama, die mir sagen konnte, dass ich genau richtig bin, so wie ich bin.

Keiner, der mir sagen konnte, dass Andrew kein Recht dazu hatte.

Keiner, der mich von meinem jetzigen Vorhaben abhalten konnte.

Die Dunkelheit in meinem Inneren hatte mich schon vollkommen eingenommen. Wie in Trance ging ich die Treppe nach oben. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und zog die silberne Box zu mir. Auf das Desinfektionsmittel verzichtete ich diesmal. Schnell, wie ein Junkie, der seinen nächsten Schuss nicht mehr erwarten konnte, packte ich die hauchdünne Rasierklinge aus dem weißen Schutzpapier aus.

Ich legte die Klinge an meinen rechten Unterarm an. Doch ich zog nicht ab. Plötzlich hatte ich Timothys Gesicht vor Augen, der mich anflehte, es nicht zu tun. Meine Hand zitterte. Ich kämpfte. Der Drang, die Klinge über meine Haut zu ziehen, wurde immer stärker. Unerträglich. Und dann ließ ich sie los. Die Klinge klimperte metallisch, als sie auf meinen Schreibtisch fiel.

„FUUUUUCK!", schrie ich verzweifelt und schlug meine Faust mit Wucht auf den Schreibtisch „Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! FUUUUCK!", brüllte ich weiter und schlug mit jedem Fuck auf den Holztisch ein. Und dann fing ich laut an zu weinen. Ich saß einfach nur da und schluchzte laut in die Stille. Die Dunkelheit in meinem Kopf füllte mich aus. Alles war schwarz. Kein Lichtblick. Ich wusste nicht, wie ich es ohne Schmerz schaffen sollte, diese unendliche Schwärze zu durchdringen. 


Verzweifelt fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare. Es wurde nicht besser. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dann stand ich auf und ging einige Schritte durch mein Zimmer. Wütend kickte ich mit dem Fuß immer wieder gegen meinen Sessel. Es bewirkte nichts. Ich ging zurück zu meinem Tisch und setzte mich. 

Wieder fiel mein Blick auf die Klinge. Ich zögerte und biss mir auf die Unterlippe. Schnell wendete ich meine Augen davon ab und starrte an die Decke. Ich atmete einige Male tief ein und aus. Dann schaute ich wieder zu der silbernen Rasierklinge auf meinem Schreibtisch. Das Verlangen in mir wuchs. Diesmal schaffte ich es nicht mehr wegzusehen. „Ach, FICKT euch doch alle!", schrie ich wütend, nahm die Klinge wieder in die Hand, setzte sie an und zog ab.


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Oje, armer Tristan!  :'(       --> Bitte alle einmal Liebe für unser Bebi da lassen! <333

Und wer kommt mit, um mit Andrew mal Tacheles zu reden!?

Auch wenn das Kapitel mich echt traurig macht, freue ich mich über eure Votes und Kommentare dazu! <3

Eure Elena <3

Tristan und Timothy [BxB] - Wenn Bernstein Eis zum Schmelzen bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt