Kapitel 46 - Epilog

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Ich saß auf dem Bett in dem kleinen karg eingerichteten Zimmer und wartete darauf, dass mein Handy klingeln würde. Ich war nun seit einer Woche in der Klinik. Dank zahlreicher Telefonate und ihrer Hartnäckigkeit, hatte es Mama tatsächlich geschafft, mich in kürzester Zeit in einer unterzubringen, die nicht mal weit von uns zu Hause entfernt war. 

Ich war zwar erst nicht begeistert von dem Gedanken, dass ich in eine Klinik sollte, aber nach einem längeren Telefonat mit Maja, hatte ich mich breitschlagen lassen. Außerdem war ich auch froh über ein bisschen Abstand zu Mama. Sie war inzwischen der Überzeugung, dass mein selbstverletzendes Verhalten ein Suizidversuch war. Auch wenn ich versuchte, ihr zu erklären, dass das nicht der Fall gewesen war, behandelte sie mich seither wie ein rohes Ei.

Die letzte Woche, seit ich hier war, hatte ich viel über das nachgedacht, was Timothy mir erzählt hatte. An dem Tag, als er mir meinen Verdacht bestätigte, konnte ich das alles ganz gut aufnehmen und akzeptieren. Doch schon in der Sekunde, in der Timothy nicht mehr bei mir war und ich alleine im Bett lag, kamen mir Zweifel. 

Es gab Vampire, beziehungsweise Halbvampire und ich hatte mich in einen verliebt? Verrückt! Ich hatte Timothy deshalb gestern angerufen und ihm gestanden, dass ich das irgendwie immer noch total komisch fand. Er meinte daraufhin liebevoll, dass wir nochmal darüber reden würden, er mir alles nochmal ganz in Ruhe erklären würde, aber dass es jetzt erst mal wichtiger wäre, dass ich mich um mich kümmere und wieder gesund werde und dann könnten wir uns wieder der Vampir-Sache widmen. Ich war damit einverstanden.

Da ich nun insgesamt fünf Wochen in der Schule fehlen würde, hatte ich auch Robin, Henry und Irina erzählt, was mit mir los war. Timothy wusste ja schon Bescheid. Die drei anderen hatten alle sehr liebevoll reagiert und mir zugesichert, dass sie mich in der Klinik besuchen kommen würden. Doch heute würde erst mal nur Timothy bei mir sein.

Ich war nervös und tippelte mit dem Fuß, während ich auf ihn wartete. Dann endlich vibrierte mein Handy und Timothy schrieb, dass er draußen vor der Tür stand. Ein glückliches Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Dann sprang ich auf und schlüpfte in meine Schuhe und meine Winterjacke. 

Als ich die große schwere Holztür des alten Schlossbaus, in dem die Klinik untergebracht war, öffnete, stand dort unten an der Treppe schon Timothy. In seiner blauen Montur passte er perfekt in die weiße Schneelandschaft. Ich sprang die steinernen Stufen nach unten und fiel meinem Freund so stürmisch in die Arme, dass ich ihn fast umwarf. Er lachte, wirbelte mich einmal im Kreis herum und drückte mich dann fest an sich. 

„Ich hab dich vermisst", nuschelte ich in seinen hellblauen weichen Schal „und noch alles Gute nachträglich zu deinem Geburtstag. Dein Geschenk bekommst du nachher." Timothy war vorgestern 16 Jahre alt geworden. Leider konnten wir nicht zusammen feiern. Umso schöner war es, dass er jetzt hier bei mir war. 

„Ich habe dich auch sehr vermisst", meinte er. Dann löste er sich aus unserer Umarmung, um mich daraufhin zu küssen. Er nahm mein Gesicht dabei in beide Hände und drückte seine wundervollen Lippen auf die meinen. Mein Lieblingsgefühl stellte sich ein. Irgendwie konnte ich es immer noch nicht fassen, dass ich diesen wunderschönen Menschen als meinen festen Freund bezeichnen durfte. 

„Wollen wir ein paar Schritte gehen?", fragte ich ihn, nachdem er mein Gesicht wieder freigelassen hatte. 

„Ja, gerne. Geht's dir soweit gut? Wie ist es bisher hier?" Er nahm meine Hand in seine, während wir losgingen. Die Klinik lag inmitten eines schönen großen Parkgeländes. Über Nacht hatte es nochmal geschneit und die weiße Pracht lag noch ganz unberührt da. Der frische Schnee knarrte beim Gehen unter unseren Schuhen. 

„Bisher ist alles gut hier. Es gibt verschiedene Therapien, unter anderem gibt es einen Kunstraum, dort habe ich diese Woche zum ersten Mal getöpfert. Das hat echt Spaß gemacht. Ein Schwimmbad haben sie hier auch, leider ohne Rutschen. Mit der Psychiaterin treffe ich mich auch regelmäßig. Sie wirkt bisher sehr freundlich und nimmt sich viel Zeit, auch wenn es irgendwie seltsam ist, mit einer fremden Person über meine innersten Gedanken und Gefühle zu sprechen." 

Timothy hörte mir aufmerksam zu und schenkte mir dabei sein schönes, charmantes Lächeln, dass ich so an ihm liebte. „Und wie geht es dir? Gibt's was Neues in der Schule?", fragte ich nun ihn. 

Er dachte kurz nach. „Hmm, eigentlich ist alles wie immer. Wir haben Mathe rausbekommen." 

„Ah, und was hast du?" 

„Ich hab 'ne 1-2", grinste er. 

„Super, richtig gut! Und die anderen?" 

„Irina hat eine 2-, Robin eine 2-3 und Henry eine 3. Aber sie sind glaube ich alle ganz zufrieden. Vor allem Henry hat sich dank deiner Nachhilfe ganz schön verbessert." Ich freute mich über das Lob und die guten Noten meiner Freund*innen. Wobei ich jetzt gerne auch meine Note gewusst hätte. „Und sonst?" 

Der Druck seiner Hand wurde etwas fester und ich bemerkte, dass ihm etwas auf dem Herzen lag. „Ich habe vorhin während der Fahrt mit Andrew gesprochen." 

Ich blieb stehen und schaute ihn an. „Und?" 

„Ich weiß nun mit hundertprozentiger Sicherheit, dass mein Bruder ein Idiot ist!" 

Ich seufzte. „Oh Mann. Was genau hat er gesagt?" 

„Ach den üblichen Stuss, den homophobe Menschen von sich geben. Ich will es ungern wiederholen. Mann ... Ich bin echt enttäuscht von ihm. Mir ist es ja immer wieder aufgefallen, dass er irgendwelche abfälligen Kommentare abgegeben hat, wenn er zum Beispiel zwei schwule Männer in der Öffentlichkeit oder in Filmen gesehen hat. Aber irgendwie hatte ich gehofft, dass es anders wird, wenn ich ihm davon erzähle. Er ist immer noch der Meinung, dass du mich dazu gebracht hättest, dabei ist mir eigentlich schon immer klar, dass ich nicht auf Mädels stehe. Und außerdem: Sich in dich zu verlieben, war auch echt nicht schwer. Da musstest du mich ganz und gar nicht dazu zwingen", grinste er mich an. 

Seine Worte brachten die Haut unter meinen Sommersprossen zum Glühen. „Ich liebe es, wenn deine Wangen so süß rot werden." Sanft legte er seine Hand an mein Gesicht und streichelte mir liebevoll mit dem Daumen über die Wange, was mich nur noch mehr erröten ließ. „Und deine hübschen Sommersprossen liebe ich auch." Dann schaute er mir tief in die Augen. „Und deine wunderschönen eisblauen Augen auch." Ich grinste nur verlegen bei so vielen Komplimenten. 

Dann legte ich meine Arme um seinen Hals und musterte ihn liebevoll. Es hatte inzwischen wieder zu schneien begonnen und die kleinen Flöckchen verfingen sich in seinen blonden Locken, die aus seiner Mütze herauslugten. „Und ich liebe dich mit deinen wunderschönen bernsteinfarbenen Augen. Weißt du, du bist der Erste, der es geschafft hat, die Eismauer um mein Herz zum Schmelzen zu bringen. Danke, dafür!" 

Sein charmantes Lächeln erschien auf seinen Lippen, und dann zog er mich in einen unheimlich schönen Kuss, den ich mit Sicherheit niemals vergessen würde.

ENDE(?)

Tristan und Timothy [BxB] - Wenn Bernstein Eis zum Schmelzen bringtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt