Kapitel 11

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Während Spanisch starrte ich wieder verzweifelt auf meine Karteikarten. Meine Hände waren feucht und ich balgte die Karten schon so lange in meinen Händen hin und her, dass sie schon ganz knittrig waren.

Frau Gómez schien zu bemerken, dass ich nicht bei der Sache war. Immer noch vertieft in meine Karteikarten, stand sie plötzlich vor mir und riss sie mir aus der Hand. „Hey!", rief ich, ohne darüber nachzudenken, wer gerade vor mir stand. 

Sie schaute auf die Karten. Ich sah, wie sich ihr Kiefer anspannte. Wütend schnauzte sie mich an: „No permito eso en mi clase!", und dann wandte sie sich an den Rest der Klasse und sprach mit ihrem spanischen Akzent: „Wenn noch einer von euch auf die Idee kommt, während meines Unterrichts, die Hausaufgaben für ein anderes Fach zu machen, bekommt ihr die doppelte Menge Hausaufgaben! Verstanden?!" 

Es war mucksmäuschenstill. Niemand traute sich, etwas zu erwidern. Wütend stampfte sie wieder nach vorne zu ihrem Pult und stopfte meine Karteikarten in ihre Tasche. Ist das ihr scheiß Ernst?!

Sie hatte ernsthaft meine Karten mitgenommen. Wie sollte ich den Müll jetzt noch in meinen Kopf prügeln? Frau Gómez hatte sich inzwischen wieder beruhigt und fuhr mit ihrem Unterricht fort. Ich war den Tränen nahe.

Es klingelte zur kleinen Pause. Bevor Frau Gómez aus dem Klassenzimmer stürmen konnte, fing ich sie ab. „Frau Gómez, es tut mir sehr leid, aber können Sie mir bitte meine Karteikarten zurückgeben? Ich brauche sie ganz dringend!" 

Sie zog eine Augenbraue nach oben und sah mich mit ihrem strengen Blick an: „Nein, mi amigo, du musst mit der Konsequenz leben. Nächstes Mal bereite dich nicht während meinem Unterricht vor!" Ich starrte sie an. Innerlich tobte ich. Was ist falsch mit dir, du dumme ... !

„Gibt's ein Problem?" Wie aus dem Nichts stand plötzlich Timothy hinter mir. Er war gerade von Französisch zurückgekommen und hatte vermutlich unser Gespräch mitbekommen. „Das geht dich nichts an!", antwortete die dünnhäutige Lehrerin. „Aber Frau Gómez, bitte, das können Sie mir nicht antun!", bettelte ich weiter. 

„Dios mio, Tristan! Geh mir nicht auf die Nerven und lass mich durch. Ich muss zur nächsten Stunde!" Sie drückte sich an mir vorbei und ließ mich stehen. „Sie hat meine Karteikarten. Ohne die kann ich das nicht ...", meinte ich verzweifelt.

„Komm, das bekommen wir noch hin!", sagte Timothy überzeugt und zog mich am Arm zu unserem Platz. Er öffnete seinen Rucksack und zog seinen Englischordner raus. „Weißt du, ich hab vorsichtshalber den kompletten Text ausgedruckt. Wir schneiden ihn noch schnell zurecht." 

Er drückte mir eines der Kopierblätter in die Hand und fing selbst an, das andere zurechtzuschneiden. Etwas perplex schnappte ich mir meine Schere aus dem Mäppchen und schnitt meine Textabschnitte aus. 

„So, die sind jetzt zwar nicht so formgleich und praktisch in der Hand zu halten, wie deine Karteikarten, aber besser als nichts, oder?", lächelte er mir entgegen.

Ich spürte, wie mir wieder die Röte ins Gesicht stieg und meinte: „Das ist perfekt so! Vielen Dank, du bist echt mein Retter. Jetzt habe ich nur noch das Problem, dass ich den Text nicht auswendig kann." „Demnach hast du nicht gelernt?", fragte er lachend, „so wirds aber nichts mit der Verbesserung in Englisch."

„Mann, ich bekomm' das einfach nicht in meinen Kopf. Ich lese das hundertmal durch und hab's dann direkt wieder vergessen", versuchte ich mich zu verteidigen. Wobei er schon recht hatte. Ich hatte ja wirklich nicht gelernt, sondern lieber das ganze Wochenende mit meinem Gameboy Color verbracht. 

Er nahm mir die provisorischen Karteikarten aus der Hand und schaute sie sich durch. „Gibt es wenigstens einen Teil, den du schon kannst?"

„Na ja, vielleicht die ersten beiden Abschnitte, dann wird's aber kritisch."

Tristan und Timothy [BxB] - Wenn Bernstein Eis zum Schmelzen bringtWhere stories live. Discover now