22. Silver

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Ich folgte Akio nur widerwillig nach Johto. Immerhin war sein Simsala in der Lage, uns nacheinander mit Teleport direkt in das Versteck in Dukatia City zu bringen, so dass sich die Reisezeit in Grenzen hielt. Allerdings störte es mich schon, dass sich das Betreten von Verstecken, ohne den Eingang zu kennen, langsam zur Gewohnheit entwickelte. Akio und Furu verabschiedeten sich noch im Eingangsbereich von mir. Ich sollte auf die Vorstände warten, die hier das Sagen hatten.

Ich seufzte, zog meinen Pokécom hervor und beobachtete die Uhrzeit. Die einzelnen Sekunden zogen sich wie ein widerspenstiges Sleima. Wussten die Vorstände überhaupt, dass ich kommen sollte? Warum konnte Akio mich nicht einfach zu einem Büro führen? Zumal es in diesem nackten Kellergewölbe echt kalt war. Prismania hatte nette Tapeten an den Wänden und überall auf den Gängen und in den Büros standen Topfpflanzen herum. Dieses Versteck sah dagegen aus wie der Folterkeller eines Verrückten aus einem drittklassigen Horrorfilm.

Ein Rocket, vielleicht etwas älter als ich, maximal aber Mitte zwanzig, kam auf mich zu. Er schob die Kappe aus dem Gesicht, lächelte. »Du musst Jotaka sein? Akio meinte, du wolltest mit den Vorständen reden?«

Ich nickte. »Wollen ist vielleicht nicht ganz treffend. Ich bin aus Kanto hergeschickt worden, um beim Aufbau des Verstecks in Mahagonia zu helfen. Oder so ähnlich.«

»Ich verstehe. Ich heiße Lance.« Er zwinkerte mir zu. »Aber was macht ein so wunderschönes Blubella hier in diesem ranzigen Keller?«

Ich wich eine Handbreit zurück. Meine Stimme war eisig. »Danke für das Kompliment. Wo finde ich die Vorstände?«

»Du kommst viel zu schnell zum Punkt.« Er zog einen Schmollmund. »Lass uns doch noch eine Weile über dich reden. Wo kommst du her? Auf was für Musik stehst du? Wie ist deine Telefonnummer?« Er kam mit jedem Satz einen halben Schritt näher auf mich zu.

Ich starrte ihm in die Augen. »Hör zu, Süßer: Ich habe kein Interesse an Typen wie dir. Sag mir, wo ich die Vorstände finde und dann verpiss' dich!«

Lance grinste. »So ein wütendes Gesicht steht dir gar nicht.« Er streckte eine Hand nach meinem Gesicht aus.

Ich reagierte schneller, verpasste ihm eine Ohrfeige. Etwa im selben Moment musste Bisha ihn in die Wade gebissen haben.

Lance zog sein Bein an und hüpfte wie ein betrunkenes Spoink im Kreis.

Ich kicherte.

Als er sich wieder traute, das Bein aufzusetzen, deutete er auf Bisha. »Das Vieh ist gemeingefährlich!«

»Bisha sorgt nur dafür, dass Typen wie du lernen, ein wenig Abstand zu halten.« Ich grinste, nahm mein Bisasam auf den Arm und streichelte seinen Kopf.

Bisha schmatzte zufrieden.

»Gut, Dance-a-lot. Wo finde ich deine Chefs?«

Der Rocket schnaubte. Da war jemand ganz offensichtlich nicht gewohnt, eine Abfuhr zu erhalten. »Athena ist in ihrem Büro, komm mit.« Er führte mich durch den gefliesten Gang zu einen Raum am Ende der Ebene. Statt einer Tür befand sich ein Rolladen, wie die Absperrungen vor Schaufenstern, zwischen uns und dem Zimmer. Der Rocket drückte einen Schalter an der gegenüberliegenden Wand und der Rolladen öffnete sich. Ich trat ein, ohne auf eine Aufforderung zu warten.

Der Raum war ebenso kahl wie der Rest des Verstecks. An der hinteren Ecke stand ein eiförmiger Drehstuhl vor einem Schreibtisch, in dem ein weiblicher Vorstand mit roten Haaren und weißem Kleid saß. Sie unterhielt sich mit einem ebenfalls rothaarigen Jungen, der gerade im passenden Alter für einen Anfängertrainer war. Beide Seiten sprachen leise, aber sehr hastig und unterlegen ihre Worte mit abgehakten Gesten. Als die Frau bemerkte, dass ich den Raum betreten hatte, sah sie auf und winkte mich näher zu sich heran.

»Du musst Jotaka sein. Akio hatte dich angekündigt. Er meinte, Akida hätte dich geschickt, wegen der Sache mit Mahagonia?«

Ich nickte.

Sie musterte mich, ihre Haltung war angespannt. »Saka – Der Boss meinte, du hättest Probleme gemacht?«

»Das ist lange her. Mittlerweile haben sich die Dinge geändert und ich bin offiziell Teil des Teams.«

»Ich verstehe.« Sie schlug die Beine übereinander und lehnte sich wieder zurück. »Wenn der Boss dir Vertrauen schenkt, werde ich es wohl auch tun müssen.«

Was für ein großartiger Einstand, und das auch noch vor diesem Kind. Ich schnaubte, beschloss allerdings, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Ich war nicht hier, um Ärger zu machen. »Was sind meine Aufgaben?«

Der Junge starrte mich mittlerweile an. Die Intensität seines Blickes erinnerte mich an den Boss, eine unheimliche Ausstrahlung für jemanden in seinem Alter. Seine Hand krampfte sich um einen Gegenstand, rosafarbenes Licht drang durch seine Finger.

Athena gab ihm einen aufmunternden Klaps auf den Rücken. »Silver, geh nach draußen. Wir werden später über die andere Sache reden. Mama hat jetzt etwas Geschäftliches zu besprechen.«

Der Junge warf ihr einen trotzigen Blick zu. Er kratzte mit einem Fuß über die hellen Fliesen, so dass seine Schuhsohle einen dunklen Strich hinterließ. Seine Haltung war zum Bersten gespannt. Was auch immer im vorangegangenen Gespräch vorgefallen war, war offensichtlich nicht zu seiner Zufriedenheit.

Die Rocket räusperte sich.

Silver zog die Nase kraus. Für einen Moment erwartete ich, dass er seine Mutter anschrie, aber stattdessen drehte er sich herum und schlurfte aus dem Raum.

Athena sah ihm kopfschüttelnd nach. »Er ist unzufrieden, weil sein Vater ihm noch kein eigenes Pokémon geben will. Er meint, der Junge sei noch zu unerfahren. Mit acht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann verstehen, dass er ungeduldig wird, aber er muss lernen, auf seinen Vater zu hören. Er hat gute Gründe dafür.«

Ich zuckte mit den Schultern. Über solche Dinge machte ich mir keine Gedanken und wollte es eigentlich auch nicht.

Athena blickte zu mir zurück. Sie stand auf. »Du wirst nach Mahagonia City gehen. Die Stadt ist nicht leicht zu erreichen. Entweder du kletterst das Silbergebirge hinauf und nimmst den Weg durch Ebenholz auf dich oder du musst über den See am Kesselberg. Vielleicht kann Furu dich auch hinbringen.« Sie winkte ab. »Ist auch egal. Du wirst dort das Haus am östlichen Ortsrand aufsuchen. Direkt vor dem Ausgang nach Ebenholz. Es ist ein kleines Geschäft, das Andenken an den See des Zorns an Reisende verkauft. Wir haben den Laden vor kurzem übernommen und bauen nun die Kellerräume aus. Wenn du angekommen bist, wird Atlas dich einweisen können, was genau zu tun ist.«

»Gut.« Ich spannte mich und nickte, beinahe militärisch. Wenn ich sowieso einen Ansprechpartner in Mahagonia hatte, weshalb musste ich dann in diesen dummen Keller kommen? Ich beschloss, nach Akio zu suchen, um mit ihm über einen Transport zu sprechen. Wenn er auch Teil der Operation in Mahagonia war, würde er ohnehin den Weg auf sich nehmen müssen, dann konnte er mich auch gleich mitnehmen.


Verborgene LegendenWhere stories live. Discover now