26. Red

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Doktor Fuji war erstaunlich kooperativ, als ich zu ihm kam und die Unterlagen forderte. Er überließ mir ohne Widerstand einen dicken Ordner über die als Geisttyp klassifizierten Pokémon und die Theorien zum Typ Unlicht. Auch mit der Herausgabe des Silph Scopes ergaben sich keiner Probleme. Sakaki und ich besprachen anschließend in Prismania das weitere Vorgehen, gemeinsam mit Toyoshi, der jedoch noch während des Gespräches wieder ging. Sakaki hatte ihn beauftragt, den Fang der Geister im Pokémon-Turm von Lavandia zu überwachen.

Ich blieb allein mit dem Boss in dessen Büro zurück. Vor uns auf dem Konferenztisch stand der Laptop, der eine Menge Grafiken und Zahlen zeigte, von denen ich die Hälfte nicht verstand. Daneben lag das Silph Scope, mit einem Kabel an den Rechner angeschlossen.

Sakaki faltete die Hände übereinander, blickte angestrengt auf den Bildschirm und seufzte. Er schüttelte den Kopf. »Sie schützen ihre Programme besser, als ich erwartet habe. Ohne Akidas Hilfe werden wir hier nicht weiterkommen. Ich kann das Programm nicht einmal weit genug auslesen, um es ihr zu schicken, verdammt.« Er stand auf, umrundete das Sofa und nahm den Hörer von einem Wandtelefon auf. Die Hausleitung des Verstecks verband ihn direkt mit den Vorstandsbüros. Nach weniger als einer Minute knallte er den Hörer auf die Gabel, ohne etwas zu sagen. Er stapfte zum Sofa zurück. »Akida ist nicht im Haus. Schau nach, was Vicious tut!«

Ich eilte zum Aufzug. Vicious Büro lag wie die anderen im ersten Untergeschoss, aber glücklicherweise direkt am Aufzug. Ich klopfte an die Tür. Niemand antwortete. Ich klopfte ein weiteres Mal, mit demselben Misserfolg. Offenbar war niemand hier. Aber wenn ich schon auf dem Bürostockwerk war, konnte ich auch nach Akida sehen. Ich folgte dem Gang zu den Treppen, bog dann in den Weg zu den anderen Büros ab. Das ganze Stockwerk war leer, die Rüpel, die sonst zwischen den Büros Botengänge erledigten, mussten alle anderweitig beschäftigt sein. Ich warf einen Blick in Toyoshis Büro, welches natürlich auch verlassen war. Die Decken auf seinem Sofa waren ordentlich zusammengelegt, aber jemand hatte in den Schubladen seines Schranks und seines Schreibtisches herumgewühlt. Ich runzelte die Stirn. Irgendetwas war hier gewaltig faul.

Ich folgte dem Weg zum dritten Büro, am Ende des Ganges. Der Raum wurde abwechselnd von verschiedenen Vorständen genutzt, die nicht in Prismania stationiert waren. Waren mehrere von ihnen hier, wurde es auch parallel von allen genutzt, ansonsten stand es üblicherweise leer. Soweit ich wusste, befand sich Akida jedoch im Haus.

Die Tür zu diesem letzten Büro stand offen, der Raum selbst war allerdings so verlassen wie das ganze Stockwerk. Auch hier hatte jemand die Tische und Aktenschränke durchwühlt. Ich ging zum Haustelefon an der hinteren Wand und kontaktierte den Boss. »Die Büros sind alle leer. Die ganze Ebene ist leer. Irgendetwas stimmt hier nicht.«

»Hast du Vicious gefunden?«

»Nein. In seinem Büro war es still.«

Sakaki knurrte. »Komm zurück!«

Ich hing den Hörer auf die Gabel und rannte zum Aufzug. Im vierten Untergeschoss eilte ich an den beiden Wächtern vorbei ins Büro.

Der Boss lief vor dem Sofa auf und ab, sein Snobilikat saß auf den Kissen und beobachtete ihn. Als er mich bemerkte, hielt er inne. »Was ist passiert?«

»Ich weiß es nicht. Die Büros von Toyoshi und Akida waren verlassen und durchwühlt.«

»Und Vicious?«

»Ich muss gestehen, dass ich in sein Büro nicht reingeschaut habe, als niemand geantwortet hat.«

»Die ganze Ebene war leer, sagst du?«

Ich nickte.

Sakaki seufzte. Ein Laut zwischen Nachdenken und Genervtsein. Er sah an die Wand, oder vielleicht auch die Topfbäumchen an. »Eigentlich hätte ich schon nach deinem Verrat reagieren sollen. Ich fürchte, das Versteck ist nicht mehr sicher. Wenn uns die Fahnder gefunden haben ...«

Er brach ab, schüttelte den Kopf. »Wir müssen das Gebäude räumen! Sofort!« Er stapfte erneut zum Haustelefon.

Jemand öffnete die Tür zum Büro.

Ich fuhr herum.

Ein junger Trainer, kaum im Alter eines Anfängers, betrat den Raum.

Ich hob eine Augenbraue. »Arbeiten auch Kinder für die Fahnder?«

»Für wen?« Der Junge musterte mich. Der Ausdruck in seinen Augen war zu alt für einen Zehnjährigen. Vielleicht war er einfach nur klein geblieben. Er zückte einen Pokéball. »Ich bin hier, um dem Treiben von Team Rocket ein Ende zu machen!«

Sakaki lachte schallend. »Mir scheint, als hätte ich ein wenig überreagiert.« Er ging auf das Kind zu. »Du solltest nicht hier sein, mein Junge. Hat dir niemand gesagt, dass Team Rocket gefährlich ist?«

Der Junge schnaubte. »Mein Name ist Red und ich bin hier, um die Pokémon vor eurem Treiben zu beschützen!« Ein Glutexo verließ den Pokéball.

Ich wollte einschreiten, doch der Boss hielt mich mit einer Geste zurück.

Er musterte den Jungen. »Ein Idealist, du gefällst mir. Gut, lass mich sehen, ob du ein guter Trainer bist. Wenn du den Kampf gewinnst, werden wir uns aus Prismania City zurückziehen.«

»Boss!«

Er wandte den Kopf zu mir um und lächelte, doch seine Augen waren ernst. Er wollte mir mit seinem Blick noch etwas anderes mitteilen, als nur, mich aus der Sache herauszuhalten, da war ich mir sicher. Nur, was? Hatte er ohnehin vorgehabt, Prismania City aufzugeben? Was wurde dann aus der Spielhalle? Oder tat er es, um diesen jungen Trainer aufzubauen? Aber warum? Ich schüttelte den Kopf und zog mich hinter das Sofa zurück, um den Kampf zu beobachten.

Der Junge hatte eine erstaunliche Erfahrung für sein Alter. Obwohl sein Glutexo im Nachteil war, brachte es die Pokémon des Bosses in Bedrängnis. Alle, außer Snobilikat, das Sakaki nicht erst in den Kampf eingreifen ließ.

Der Boss nutzte überhaupt nur einen kleinen Teil seines Teams aus und gab sich schließlich geschlagen, ohne dem Eindringling tatsächlichen Widerstand entgegen gebracht zu haben. Er hatte nicht einmal abgewartet, dass alle seine Pokémon kampfunfähig wurde. Rihorn und Onix hatte er in noch deutlich kampffähigem Zustand zurückgerufen und nach dem Verlust von Kangama nicht wieder in den Kampf geschickt. Stattdessen stolzierte er nach dem K.O. zum Konferenztisch zurück und warf einen Blick auf den Bildschirm des Laptops. Für einen Moment huschte ein Schatten über sein Gesicht, doch er klappte das Gerät zu und entfernte das angeschlossene Silph Scope. Mit dem Laptop unter dem Arm wandte er sich wieder an Red. »Du bist ein begabter Trainer und ich werde mein Wort halten. Team Rocket wird diese Stadt verlassen.«

Ich trat hinter dem Sofa vor. »Aber Boss!«

»Wir werden diese Stadt verlassen. Ich freue mich darauf, dich eines Tages wiederzusehen, Junge.«

Er ging an Red vorbei zum Aufzug.

Ich folgte ihm hastig. »Weshalb haben sie das Kind gewinnen lassen?«

»Ich habe, was ich wollte. Wir werden dieses Versteck aufgeben und nach Vertania zurückgehen.«

»Und das Silph Scope?«

Sakaki überging die Frage mit einem Lächeln. Er tätschelte den Computer unter seinem Arm. »Mir ist während unseres Gesprächs eingefallen, dass Vicious erwähnt hat, wo die Grundidee seiner Bälle herstammt. Wir werden uns also an den wahren Erfinder wenden können.«


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