3. Die Wahl

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Als ich die Augen wieder öffnete, lag ich auf einem Teppich in einem gekachelten Raum. Mein Schädel dröhnte noch immer von dem Fall, den ich erlitten hatte. Ich presste mir eine Hand gegen die Stirn und richtete mich langsam auf. Wenigstens waren alle meine Knochen noch an ihrem Platz. Ich blinzelte einige Male. Grelle Blitze zuckten durch meine Augenlider, das Zimmer, in dem ich war, war zu hell erleuchtet für meinen Zustand. Ich tastete mich zu einer vielleicht hüfthohen Wand vor und zog mich daran hoch. Mein Kopf dankte mir die Bewegung mit einem Schwindelanfall. Wo war Bisha? Ich sah mich um. Bisha war nirgendwo zu sehen, aber immerhin konnte ich jetzt sagen, dass ich mich in einem Badezimmer befand. Die Wand, an der ich mich hochgezogen hatte, war der Rand einer Badewanne gewesen. Gegenüber befand sich ein Waschbecken mit einem Spiegel und einer Ablage. Ein Glas, eine Zahnbürste, eine halbleere Tube Zahnpasta. Ich schüttelte den Kopf, was den Schwindel zurückbrachte. So hatte es keinen Sinn, meine Suche nach Bisha zu starten. Er musste wahnsinnig werden, eingesperrt in einem Pokéball, ganz allein. Er war ein wildes Bisasam, verdammt, er hatte noch nie einen Ball von innen gesehen.

Ich seufzte und setzte mich auf den Klodeckel. Von der anderen Seite der Tür konnte ich Stimmen hören. Ein Mann, vermutlich der Rocket, redete mit jemandem über irgendetwas. Ich konnte weder Antworten hören noch ausmachen, worüber der Rocket sprach. Die Tür dämpfte alle Geräusche. Vielleicht waren es auch meine Ohren, die noch nicht wieder zu gebrauchen waren. Ich stützte meinen Kopf in die Hände. Wenn wenigstens das Hämmern hinter meiner Stirn nachlassen würde, damit ich vernünftig nachdenken konnte. Ich schloss die Augen, doch auch die Dunkelheit half nicht gegen die Schmerzen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als abzuwarten und auf die Gnade meines Entführers zu hoffen. Oder wenigstens seinen Verstand. Ich hatte einen Sturz von einem rennenden Arkani hinter mir, selbst er sollte verstehen, dass ich vielleicht Hilfe brauchen würde.

Das Murmeln auf der anderen Seite der Tür verstummte, kurz darauf ertönte eine giftige Frauenstimme. Diesmal sprachen die Leute in dem anderen Raum laut genug, dass ich sie verstehen konnte.

»Du hast also ein Mädchen hier eingesperrt? Was hast du mit ihr vor, Toyoshi?«

»Ich habe gar nichts vor. Was mit ihr passiert, soll der Boss entscheiden.« Der Rocket sprach in einer normalen Lautstärke und mit einem gleichgültigen Tonfall.

»Der Boss? Wen interessiert, was der Boss zu sagen hat? Wenn diese Tussi Probleme gemacht hat, dann schaff sie aus dem Weg, verdammt noch mal!«

»Probleme kann man es nicht nennen. Sie ist auffällig geworden und hat meine Experimente gestört, aber ich kann nicht sagen, dass-«

»Sie hat also verdammte Scheißprobleme gemacht, ja? Warum ist sie dann in deinem Badezimmer und nicht im Hafenbecken? Unter der M.S. Anne?«

»Akida, hör mir zu! Ich - Akida!«

Eilige Schritte näherten sich der Tür. Ich sah auf, gerade rechtzeitig um noch zu sehen, wie ein Mädchen in meinem Alter die Tür öffnete. Sie trug eines dieser albernen schwarzen Kleider mit dem Emblem des Team Rocket darauf. Ich hatte nie ganz verstanden, warum diese Gangster auch noch so stolz auf ihre Vereinigung waren.

Akida, wenn dass denn ihr Name war, trat mit zwei Schritten auf mich zu. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Du hast also unsere Experimente vereitelt, Süße?«

»Sie hat sie nicht vereitelt!«

»Halt du dich da raus! Das ist eine Sache zwischen Mädchen!« Sie packte mich am Kragen und zwang mich, aufzustehen.

Mein Kopf pochte stärker als vorher, aber wenigstens war mir nicht schwindlig.

»Also«, begann Akida von Neuem: »Du hast Probleme gemacht. Niemand macht Team Rocket Probleme, Süße. Wir machen Probleme. Und zwar für dich. Du hast genau zwei Möglichkeiten. Entweder bleibst du hier bei uns. Ich denke, du wirst deinen Spaß an deinem hübschen neuen Beschützer haben.«

»Ich bin ...«, begann Toyoshi, aber Akida unterbrach ihn mit einer raschen Geste.

»Oder, was vermutlich die bessere Option ist, du entscheidest dich für ein friedliches Ableben.«

Ich prallte zurück. Die Gerüchte waren also wahr. Ich hatte es immer für eine Übertreibung gehalten, für ein Märchen, welches Nat und die Polizei und die Medien gestreut hatten, um Leute davon abzuhalten, sich ihnen anzuschließen. Aber dieses Mädel in dem albernen Kleid meinte es offensichtlich ernst.

Sie trat zur Seite und gab den Blick auf den Rocket und das Zimmer hinter dem Bad frei. »Also, Süße, wie lautet deine Wahl?«

»Welche Wahl?« Ich zwang mich, gleichgültig zu klingen und trat an dem Mädchen vorbei in das andere Zimmer. Ein Büro. Ich strich über den Schreibtisch, der gegenüber der Tür mitten im Raum stand. Toyoshi stand allerdings zwischen mir und meinem Fluchtweg. Ich drehte mich zu Akida um, die mich mit ihrem Blick fixierte. »Ich werde bleiben müssen, fürchte ich.«

Sie stolzierte aus dem Badezimmer, vorbei an einem Sofa, auf dem sich zwei zerwühlte Wolldecken stapelten. Ihr Blick zeigte die Verachtung einer Schlange vor einem niederen Insekt. »Du wirst dir wünschen, dich anders entschieden zu haben, Süße. Toyoshi übernimmt keine Neulinge und die Ausbildung. Du wirst sehen.«

»Da muss ich dir ausnahmsweise zustimmen.« Der Rocket griff mich am Arm. »Ich habe keine Befugnisse, mich um Neulinge zu kümmern. Und keine Lust.« Er sah auf Akida. »Auch wenn einige hier offensichtlich etwas anderes von mir denken. Und da ich dich nicht hier behalten kann, bis sich der Boss entschieden hat, wirst du mitkommen. Ich muss ohnehin einen Bericht abliefern.« Er zog mich hinter sich her aus dem Büro.

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