19. Kapitel

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„Sie haben nur eine leichte Gehirnerschütterung. Trotzdem werde ich Ihnen ein Arztschreiben ausfüllen, damit Sie für die nächste Woche vom Umterricht suspensiert sein und sich ausruhen können", erklärte mir der Arzt. Er sah aus wie jeder andere aus Emily's Home auch aussah, aber er strahlte nicht diese Wärme, wie die, die ich kannte, aus. Das liess ihn so gleichgültig wirken. Ich mochte ihn nicht. Viel lieber wäre ich nach Phoenix gefahren, aber Kyle musste natürlich darauf bestehen, ins nächstgelegene Krankenhaus zu fahren. Da er am Steuer sass, blieb mir nicht viel anderes übrig, als seine Entscheidung zu akzeptieren.
„Was machst du bloss wieder für Sachen?", fragte mich Kyle kopfschüttelnd.
Ich zuckte nur, wie schon so oft davor, mit den Schultern: „Einmal Pechvogel, immer Pechvogel."
Wir warteten noch, bis der Arzt mit meinem Arztschreiben zurückkehrte, das ich dankend annahm und dann machten wir uns langsam auf den Heimweg.

Während der Fahrt döste ich etwas vor mich hin oder schlief gar ganz ein. Jedenfalls fand ich mich, als ich aufwachte zu Hause in meinem Bett. Draussen war gerade wieder einmal ein atemberaubener Sonnenuntergang zu bewundern.
Da ich das Gefühl hatte aus dem Wohnzimmer laute Stimmen zu hören, tapste ich leise die Treppe runter, um nachzusehen, was los war.
„Es geht schon wieder los! Dabei wissen ihre Mitschüler gar nichts über ihre verdammte Krankheit! Nicht einmal die Lehrer! Ich verstehe einfach nicht, weshalb sie in ihrer Klasse nicht gemocht wird! Wenn ich euch daran erinnern darf: Es wäre eure Aufgabe gewesen, auf sie aufzupassen! Dafür zu sorgen, dass sie angenommen wird und sich einlebt!"
Das war eindeutig die aufgebrachte Stimme von Kyle.
„Das wissen wir doch! Aber weisst du, Nati macht es uns ziemlich schwer!"
Typisch Aiden: Schiebt die Schuld lieber auf andere, sogar auf mich wenn es sein muss.
„Was soll das denn heissen?! Es kann doch nicht sein, dass wenn ich für gerade mal eine Woche nicht da bin, gleich alles den Bach runtergeht!", schrie Kyle munter weiter.
Also wenn es etwas gibt, das meine Brüder wirklich gut können, dann ist es streiten - meinetwegen.
„Sie wollte nicht, dass unsere Mitschüler wissen, dass wir verwandt sind. Du weisst ja wie sie ist, Mann. Sie will einfach nicht, dass das gleiche passiert wie in Phoenix. Ihr ist es wichtig, dass wir unseren Ruf behalten, was ich wirklich süss von ihr finde."
Dylan war also auch da.
„Ja! Und ausserdem ist gar nicht alles den Bach runter! Sie hat zwei Freunde gefunden, die ziemlich in Ordnung zu sein scheinen. Logan ist auch in der Footballmannschaft und ist, wenn du mich fragst, der vernünftigste von uns allen, was seine Weibergeschichten angeht. Also, eigentlich hat er gar keine. Und Roxaine ist seltsam aber auch total in Ordnung - denke ich jedenfalls. Vom Aussehen nicht gerade erwähnenswert aber trotzdem glaube ich, dass sie einen guten Umgang für Nati ist", versuchte Aiden das Ganze noch auf einen guten Weg zu bringen.
„Das ist ja schön und gut, aber Natalia ist unsere kleine Schwester! Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass es ihr gutgeht, dass ihr niemand weh tut. Wir müssen auf sie aufpassen und sie beschützen!"
Ich hasste es, wenn Kyle das Gfühl hatte, den grossen Beschützer raushängen zu lassen! Deshalb trat ich in den Raum und schilderte ihm einmal mehr meine eigene Meinung, worauf die Jungs erschtocken zusammen zuckten:„Hör mir jetzt mal zu, Kyle! Ich habe es nicht mehr nötig von euch beschützt zu werden! Ich bin alt genug und kann auf mich selber prima Acht geben! Weisst du, es gibt normale Mädchen, die nicht rund um die Uhr von ihren Brüdern überwacht werden. Ich glaube auch nicht, dass Atlanta gewollt hätte, dass ihr das mit mir macht. Das einzige, was ich wirklich von ganzem Herzen will, ist ein normales Leben führen zu können! Mit Freunden, Partys und allem, was sonst noch dazugehört. Ist das so schwer zu verstehen?"
„Du wirst niemals ein normales Lebem führen können, Natalia! Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Du hast gerade mal zwei Freunde gefunden, die anderen, die du kennengelernt hast, haben es total auf dich abgesehen und schaden deiner Gesundheit noch mehr, als es eine gewisse Krankheit sowieso schon tut. Und das ist der Hauptgrund, weshalb du niemals normal sein kannst. Du bist verdammt noch einmal totkrank! Du bist auf unseren Schutz angewiesen! Niemand akzeptiert dich und wenn die anderen auch noch von deiner Krankheit erfahren, dann wiederohlt sich die Geschichte von Phoenix wieder. Niemand von uns will das, deshalb müssen wir dich beschützen. Du kannst das nicht ohne uns!"
Ich stand völlig geschockt vor Kyle und starrte ihn an. Seine Worte fühlten sich für mich an wir ein Schlag mitten ins Gesicht.
'Du kannst das nicht ohne uns!'
Dachten meine Brüder in Wahrheit wirklich so über mich? Sie hatten mir doch immer gesagt, dass sie an mich glaubten, dass sie wüssten, dass ich stark genug wäre, um es zu schaffen. War das bloss leeres Gerede?
Ich merkte erst, dass ich weinte, als mir jemand mit seinem Daumen die Tränen wegwischte.
„Verdammt, Nati. Das tut mir so leid!"
Kyle versuchte mich in eine Umarmung zu ziehen, doch ich schubste ihn grob von mir weg. Erstaunt über meine plötzlich Kraft fragte ich wütend an die drei gerichtet:„So denkt ihr also von mir? Dass ich ein amres kleines Würstchen bin, das es zu nicht bringt ohne seine grossen Brüder? Na vielen Dank auch!"
Aufgewühlt liess ich meine Brüder stehen und rannte hoch in mein Zimmer.
„Nati! Warum bist du denn jetzt wütend auf uns? Kyle hat das gesagt, nicht wir!", schrie mir Aiden nach und Dylan fügte hinzu:„Der Arzt hat gesagt, du sollst nicht rennen in der nächsten Zeit. Denk an deine Gehrinerschütterung!"
Ich lehnte mich leicht über das marmorene Treppengeländer und schrie, wie ich es noch nie in meinem Leben getan hatte, meine Brüder an.
„Ihr könnt mich alle Mal! Mein ganzes Leben lang habt ihr mir gesagt, wie sehr ihr an mich glaubt! Dass ich alles schaffen könnte, wenn ich es nur wollte und dass ich die stärkste Person bin, die ihr kennt! Jetzt muss ich erfahren, dass ihr überhaupt nicht so über mich denkt. Das macht mich verdammt traurig und wütend! In meinem Leben gab es nur euch! Und ihr wusstet keinen besseren Ausweg, als mich anzulügen? So etwas habe ich nicht nötig! Ich bin verdammt enttäuscht von euch!"
Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte ich die ganze Zeit nur so naiv sein? Wäre Atlanta doch hier! Oder hatte sie mich auch bloss die ganze Zeit angelogen? Ich wusste es nicht. Mir liefen die Tränen der Enttäuschung nur so in Strömen über die Wangen.

Ich verschwand in meinem Zimmer, verrigelte die Tür und liess mich weinend und schluchzend auf mein Himmelbett fallen.
Wieso musste ich immer solch ein Umglück haben? Was hatte ich bloss getan, dass mir der liebe Gott im Himmel das antat? War ich in meinem früheren Leben so ein Monster?
Es war auf jeden Fall an der Zeit, dass eine neue Natalia auf die Bildfläche tritt!
Eine, die sich nicht so schnell unterkriegen liess. Eine, die man ehrlich bewunderte, weil sie stark war, und man nicht nur so tun musste als ob. Eine, die Respekt und Anerkennung von ihren Mitmenschen bekam. Eine, bei der man nicht das Gefühl hatte sie beschützen zu müssen.
Wenigstens hatte das Ganze eben einen positiven Punkt: Ich bekam eine Bestätigung, dass ich mich und meine Einstellung verändern musste!
Ich brauchte so früh wie nur irgenwie möglich einen Plan, wie ich vorgehen sollte. Mein Geburtstag war in zwei Wochen. Bis dahin musste viel erledigt werden.

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„Guten Morgen, Marry", grüsste ich unsere Haushälterin.
„Aber Liebes! Der Arzt hat dir doch Bettruhe verschrieben! Deine Brüder haben mich aufgeklärt. Also husch-husch zurück ins Bett!", ordnete sie an und zeigte mit dem Staublappem in ihrer Hand in Richtung Treppe, wo ich gerade erst herkam.
„Ein einfaches 'Guten Morgen, mein allerliebster Sonnenschein' hätte es auch getan", grummelnd schlurfte ich in die Küche, wo ich mir einen Apfel und eine Banane aus der Früchteschale nahm. Marry folgte mir.
„Es ist mein voller Erst, Natalia!", meinte sie in einem strengen Ton.
„Ach, Marry. Mir geht es gut. Wirklich! Ich habe schon vor ungefähr einer Stunde Schmerztabletten genommen. Mein Kopf fühlt sich an wie neu!", wie um es ihr zu beweisen, tippte ich mir mit dem Zeigefinger einige Male an meine Stirn.
Marry sah nicht überzeugt aus.
Würde ich selbst vermutlich auch nicht, wenn ich mich sähe.
Lügen war einfach noch nie meine Stärke gewesen. Aber was sollte ich sonst machen? Ich musste so früh wie möglich mit dem Training anfangen, damit ich an meinem Geburtstag fit genug war, um bei den Cheerleadern vor zu zeigen. Und zwar so, damit nicht einmal mehr Tessa etwas gegen mich auszurufen hatte.
Das hiess so viel wie: Ich musste Saltos, Flick-Flacks und überzeugtes auftreten in zwei Wochen fehlerlos erlernen.

Kein Problem!

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Neues Kapitöööl. ;)

Ich hoffe es gefällt euch und ihr lasst mir einen Kommentar und/oder ein einfaches Vote da. :D

Wünsche euch noch einen schönen Rest der Woche!

LG
Eure
CatGirl1313

Alive - Wie er mir half zu lebenWhere stories live. Discover now