C H A P T E R 2

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So wie heute wurde ich schon lange nicht mehr geweckt. Und lasst mich eins sagen, ich habe es definitiv nicht vermisst! Wer kommt eigentlich auf die Idee sich Hühner anzuschaffen? Seit fünf Uhr am Morgen kräht dieser blöde Hahn und ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass er das bereits seit zwei Stunden tut. Holt das Vieh eigentlich auch mal Luft?! Diese besagten zwei Stunden habe ich in immer wechselnden Schlaf- und Wachphasen verbracht. Entsprechend fühle ich mich auch. Ich möchte gar nicht wissen wie ich aussehe. Bestimmt wie von einem Laster überfahren. Toll, noch nicht mal einen Tag hier und schon kann man mich als Vogelscheuche auf die Maisfelder stellen. Als der Hahn es wagt noch einmal zu krähen beschließe ich aufzustehen. Was bringt es mir mich noch länger von diesem Tier massakrieren zu lassen? Der Gang zum Badezimmer stellt sich schwieriger als gedacht heraus. Dieser Tag ist doch verflucht. Was hat mein Zeh dem Bettpfosten getan, dass er so schmerzhaft zugerichtet werden muss? Der Hahn und der Bettpfosten sollten sich zusammen tun und eine Verschwörung gegen mich aufstellen. Der Spiegel kann sich auch gleich dazu gesellen. Es gibt aber nichts, dass sich durch eine schöne heiße Dusche am Morgen lösen lässt. Als das warme Wasser auf meine Haut prasselt entspannen sich meine Muskeln und ich fühle mich zum ersten Mal seit zwei Stunden wieder wie ein Mensch. Keine Ahnung wie lange ich so da stand und die Wärme des Wassers genossen habe. Irgendwann drehe ich es ab und steige wieder aus der Dusche heraus. Mit ein wenig Make Up und den richtigen Klamotten müsste ich mich dann auch endgültig wie ein zivilisierter Mensch fühlen. Da ich nun bessere Laune habe, gehe ich mit einem Lächeln in die Küche und sehe meinen Dad konzentriert in der Zeitung lesen.

"Guten Morgen.", lächelnd setze ich mich an den Tisch zu ihm und schaue ihn abwartend an.

"Du bist schon wach?", fragt er überrascht und schaut kurz von seiner Zeitung auf.

"Ja ich hatte einen angenehmen Wecker.", antworte ich ironisch und klopfe mit meinen Fingern auf der Tischplatte herum.

"Willst du etwas essen?"

"Nein, ich esse früh nichts. Aber ein Kaffee wäre nicht schlecht.", lächelnd beobachte ich meinen Dad, wie er sich von seinem Platz erhebt und mir eine Tasse Kaffee einschenkt. "Danke.", murmel ich und puste auf die Oberfläche der schwarzen Flüssigkeit. Kaffee! Wahrscheinlich meine letzte Rettung, wenn ich hier jeden Tag um fünf Uhr geweckt werde.

"Bist du dir sicher, dass du den ganzen Tag in diesen Klamotten verbringen möchtest?", fragt mein Dad misstrauisch und schaut auf meinen schwarzen Versace Blazer.

"Wieso? Das ist mein legeres Outfit.", berichte ich stolz und zupfe an der blauen Jeans.

"Zieh dir doch bitte etwas anderes an. In dem Wandschrank im Flur müsste noch eine Kiste mit Sachen deiner Mutter sein." Er wendet seinen Blick von mir ab und schaut wieder ganz interessiert auf seine Zeitung. Gibt es die nicht als App? Wäre doch viel praktischer und sogar gesünder für die Umwelt! Augen verdrehend trinke ich meinen Kaffee leer und suche anschließend diese Kiste heraus. In meinem Zimmer Stelle ich sie auf das Bett und entgegen kommen mir wirklich schreckliche Klamotten. Dass das überhaupt mal jemand getragen hat? Meine Mom hatte echt einen schlechten Geschmack. Nach und nach entferne ich die Sachen aus der Kiste und werfe sie achtlos irgendwo hin. Oh, das sieht doch ganz süß aus. In den Händen halte ich ein weißes Kleid mit dünnen Trägern. So schlecht war der Geschmack meiner Mutter dann doch nicht. Und ich weiß auch genau wo ich die passenden Schuhe dazu finde. Damals als ich hier noch gewohnt habe, da hat mich meine Cousine einen Sommer besucht und mir wunderschöne braune Cowboy Stiefel mitgebracht. Sie waren mir zwar noch zu groß, aber ich habe sie trotzdem angezogen, weil ich sie so schön fand. Mittlerweile müssten sie mir passen. Keine fünf Minuten später stehe ich umgezogen auf der weißen Veranda. Mein Dad ist eben weg gefahren, das heißt ich habe etwas Zeit mich umzusehen. In den letzten Jahren mag sich vielleicht nicht viel verändert haben, aber es ist dennoch interessant zu sehen, was alles beim Alten geblieben ist. Mein Weg führt mich direkt zu den Stallungen. Sogar einige Pferde existieren noch. Auch Silver, mein eigenes Pferd steht noch in seiner alten Box. Aber warum befinden sich alle Pferde hier drin und nicht auf der Koppel? Meine Überlegungen werden unterbrochen als ich Geräusche aus dem Heuschober wahr nehme. Ich gehe den Gang zwischen den Boxen entlang, bis ich an der Leiter ankomme, die eine Etage höher führt. Nicht weit von der Leiter entfernt fallen immer mal Heuballen herunter. Wahrscheinlich ist da oben nur jemand von Dads Helfern. Da ich hier noch die nächsten Wochen verbringen werde, wäre es eigentlich ganz vernünftig sich gegenseitig vorzustellen. Aber das würde heißen, dass ich diese Leiter hinauf steigen müsste. Ich müsste etwas anfassen, wo andere Leute bereits mit ihren schmutzigen Schuhen drauf standen. Da meine Neugierde am Ende siegt, fasse ich meinen ganzen Mut zusammen und klettere die Leiter hinauf. Ich kann mir ja später die Hände waschen. Zuerst erkenne ich nur schwarze Locken, dann einen männlichen Oberkörper und zum Schluss den Rest von Max. An den Locken hätte ich ihn eigentlich schon erkennen müssen. Als ich nun endgültig den Heuschober erreicht habe, atme ich erst einmal tief durch. In meiner Erinnerung war es nicht so hoch hier hoben und das obwohl ich kleiner war. Noch immer steht Max mit dem Rücken zu mir gedreht und schmeißt irgendwelche Heuballen von einen Fleck auf den andern. Seine Oberarme sind überzogen mit einer glänzenden Schweißschicht, auf die ich eine gute Aussicht habe auf Grund seines weißen Hemdes. Normalerweise würde ich es eklig finden, wenn jemand so verschwitzt aussieht. Aber bei Max hat es irgendwie eine anziehende Wirkung.

"Wie lange willst du dort noch stehen und mich anstarren?", fragt Max auf einmal und reißt mich damit aus meinen Gedanken.

"Wie...Ich meine wie hast du...?", gebe ich stotternd von mir.

"Du bist nicht gerade leise hier hoch geklettert.", antwortet er und dreht sich zum ersten Mal zu mir um. Sein selbstgefälliges Grinsen verschwindet als er mich sieht. Sein Blick wandert über meinen ganzen Körper und macht mich irgendwie nervös.

"Was ist? Stimmt etwas nicht?", frage ich verwirrt nach und streiche das Kleid glatt.

"Nein, nein alles in Ordnung. Ich habe nur nicht erwartet dich so anzutreffen.", antwortet er schnell und deutet auf das Kleid. Als er meinen verzweifelten Blick sieht, sagt er: "Du siehst aus wie in meinen Erinnerungen. Nicht so wie gestern, als mir die neue Holly begegnet ist."

"Okay, dann nehme ich das jetzt einfach als Kompliment auf.", lachend gehe ich auf Max zu und setze mich auf einen der Heuballen in seiner Nähe. "Warum arbeitest du eigentlich für meinen Dad?", abwartend schaue ich Max an und beobachte jede seiner Bewegungen als er auf mich zu kommt und sich neben mich setzt. Dass seine verschwitzte Haut meine frisch geduschte berührt ignoriere ich kurz.

"Na ja, nicht jeder hat so tolle Eltern, die sich die bestmögliche Schulbildung leisten können und auch nicht jeder hatte es einfach in der High School.", erklärt er mir seufzend. "Außerdem gefällt es mir hier. Ich könnte mir kein schöneren Ort vorstellen als Greenwell."

Lachend schaue ich zu Max und frage: "Meinst du das ernst? In New York gibt es doch so viel mehr Leben."

"Hier gibt es auch Leben, du musst nur die Augen auf machen.", sagt er und geht sich mit der Hand durch seine dunklen Locken.

"Wenn du meinst. Das einzige Lebendige, das ich hier sehe bist du. Und selbst du hast Augenringe wie der Tod.", lachend verkneife ich meine Augen und schaue auf die Schatten unter Max' Augen.

"Da ist sie ja wieder die liebenswerte Holly, die mich vor zehn Jahren verlassen hat.", antwortet er ironisch und schaut mir anschließend in die Augen. In gewisser Weise hat er sogar recht. Als ich in New York war habe ich mich nicht sehr oft bei ihm gemeldet. Um genau zu sein war ich zu traurig alles hinter mir gelassen zu haben und dann habe ich neue Freunde gefunden und ihn irgendwie vergessen. Wenn ich so darüber nachdenke war das ganz schön gemein.

"Ich will dich nicht weiter von deiner Arbeit abhalten.", mit diesen Worten verabschiede ich mich schnell von Max und erkunde mit einem komischen Gefühl im Magen den Rest des Grundstückes.

So, das war das zweite Kapitel. Ich hoffe es hat euch gefallen. Wenn ja, dann zeigt mir das doch mit einem Vote oder einem kleinen Kommentar. Mich würde es riesig freuen. Also dann, am nächsten Samstag kommt ein weiteres Kapitel. :) ❤

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