C H A P T E R 3 0

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Heute ist es endlich soweit. Das Gründerfest steht bevor und ich muss zugeben, dass ich ein wenig froh bin, wenn es vorbei ist. Der Stress, der letzten Tage ging mir ganz schön auf die Nieren. Aber irgendwie bin ich auch stolz, denn wenn ich sehe, was wir alles auf die Beine gestellt haben. Es ist einfach unfassbar nervenaufreibend und schön zugleich.
Mein rotes Kleid habe ich bereits angezogen. Auch Klamotten zum wechseln befinden sich im Auto. Jetzt muss ich nur noch auf Dad warten und dann kann es eigentlich los gehen. Wir haben noch eine gute dreiviertel Stunde Zeit bevor ich auf dem Parkett stehen muss. Was das Tanzen angeht bin ich ganz entspannt. Es ist viel mehr die Person mit der ich tanzen werde. Ich habe mir viele Gedanken gemacht und bin doch auf keine Lösung gekommen. Mein Plan ist, mich von meinen Gefühlen leiten zu lassen und schauen was passiert, wenn ich Max wieder sehe.

“Von mir aus kann es los gehen.“, sagt Dad und steckt seinen Kopf in mein Zimmer hinein. Anschließend begebe ich mich zusammen mit Dad zum Auto und er fährt uns an den Ort, wo das Gründerfest statt findet. Als wir dort ankommen, muss ich ein riesiges Lob an das Dekorations-Team aussprechen. Sie haben wirklich großartige Arbeit geleistet. Der gesamte Marktplatz erstrahlt in weißen und rosa Farbtönen. Auch die ganzen Eingänge der umherliegenden Läden wurden einfach einzigartig hergerichtet.

“Ich gehe dann mal zu den anderen.“, informiere ich meinen Dad und gehe anschließend zu den anderen Tänzern. Max kann ich noch nicht ausmachen. Aber so wie ich ihn kenne wird er erst kurz vor knapp erscheinen. Die Zeit bis zu dem Eröffnungstanz vertreibe ich mir damit mit einigen der anderen Tänzer zu reden.

“Es geht jeden Moment los. Stellt euch schon einmal auf.“, sagt Abigail und kurz überkommt mich die Panik, da mein Partner noch nicht da ist. Doch dann spüre ich eine Hand, die meine umfasst und sofort beruhige ich mich.

“Später hätte es nicht sein können?“, frage ich Max, welcher nur mit einem breiten Grinsen antwortet.
Als die Musik beginnt zu spielen, laufen die ersten zehn Paare auf die Tanzfläche, gefolgt von zehn weiteren Paaren. Jeder nimmt seine Tanzhaltung ein und macht sich bereit für den ersten Tanzschritt. Bisher konnte ich es vermeiden Max direkt in die Augen zu schauen. Doch jetzt, beim Tanzen, geschieht das von ganz allein. Ein sanftes Lächeln ziert meine Lippen, während ich in Max seine blauen Augen blicke. Unsere Beine bewegen sich von ganz allein, während wir über unsere Blicke kommunizieren. Als wüsste ich genau, was er mit einem Augenaufschlag meint und ich antworte mit einem weiteren Wimpernschlag.

Der Tanz ist viel zu schnell zu Ende. Erst als das Publikum applaudiert, realisiere ich, dass ich eben in einer völlig anderen Welt war. Gefangen von den blauen Augen eines jungen Mannes.
Alle Paare verbeugen sich und verlassen anschließend die Tanzfläche. Ein Moderator hinterlässt noch ein paar Worte, denen ich allerdings kein Gehör schenke.

“Hast du Lust ein bisschen durch die Geschäfte zu gehen?“, fragt mich Max, der noch immer meine Hand hält. “Ich habe noch eine Stunde Zeit, bevor ich zum Kinderschminken muss.“, antworte ich lächelnd und gehe dann Händchen haltend mit Max in den ersten Laden, ein kleines Café. Hier stehen alte Bilder, die aus der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts stammen müssten. “Willst du mir nun verraten, was es mit der Legende auf sich hat?“, frage ich Max und werfe einen Blick auf unsere immer noch verschränkten Hände.

Er schaut mich lächelnd an und beginnt dann zu erzählen: “Ich erzähle diese Geschichte wirklich gerne, besonders dir. Alles begann Ende des 16. Jahrhunderts. Damals lebte ein Indianerstamm hier in Greenwell, was noch nicht Greenwell hieß. Dieser Ort hatte zu der Zeit noch keinen Namen.“ Während er erzählt zeigt er auf eine Zeichnung, die ein kleines Indianer Dorf darstellen soll. “Als Engländer das Land besetzen wollten, wollten sie die Einheimischen vertreiben. Doch diese wollten ihr Land nicht so einfach hergeben. Also bildeten sich zwei Partein.“

Als er nach einer Weile nicht weiter redet, frage ich: “Und dann?“

“Dazu müssen wir weiter gehen.“, erklärt er mir und zieht mich aus dem Café in das nächste Geschäft, einen Blumenladen. Am Eingang steht ein kleines Mädchen und verteilt Rosen. Mich lächelt sie freundlich an und hält mir eine gelbe Rose hin, die ich dankend annehme.

“Also? Wie geht es weiter?“, will ich neugierig wissen.

“Wie wohl?“ Als er sieht, dass ich keine Ahnung habe wovon er spricht, sagt er: “Liebe. Alles hat mir Liebe zu tun. Aber bevor es so weit kam, gab es eine strikte Trennung zwischen Indianern und Engländern. Die beiden Parteien waren verfeindet und jeder, der mit dem Feind sprach wurde bestraft. Doch wie das mit den Regeln so ist, wurden sie gebrochen. Es hat nicht lang gedauert bis sich das erste Pärchen gebildet hat. Denn sind wir mal ehrlich, keine Regelung der Welt kommt gegen die Kraft der Liebe an.“, schmunzelnd schaut Max auf unsere Hände. “Diese Beziehungen mussten geheim gehalten werden, da man sich aber nicht im feindlichen Dorf blicken lassen durfte, blieb den Paaren nichts anderes übrig, außer sich in den Wäldern zu verstecken.“

Wieder macht Max eine Pause. “Lass mich raten. Wenn ich wissen will wie es weiter geht, müssen wir in den nächsten Laden.“

“Schlaues Mädchen.“ Er lächelt mich an und zusammen gehen wir in das nächste Geschäft. Diesmal ist es ein Friseursalon. Er wurde umgebaut zu einer Art Krankenstation. Man sieht alte Betten und auch wirklich alte Arzneimittel.
“Es kam wie es kommen musste und die erste Frau wurde schwanger. Bei der Geburt wurde allerdings sehr schnell deutlich, dass dieses Kind einen anderen Vater hat als gedacht, wenn du verstehst was ich meine.“ Grinsend nicke ich und warte darauf, was Max als nächstes erzählt. “Man hat Nachforschungen betrieben und heraus gefunden, dass 19 weitere Paare involviert waren. Aber wenn du wissen willst, wie es weiter geht... Na ja, den Rest kennst du ja.“ Mit einem Zwinkern führt er mich zu dem nächsten Gebäude. Dazu müssen wir die Straße überqueren. Im Gemeindezentrum wurde der erste Raum zur Verfügung gestellt. Dieser wurde so umdekoriert, dass er nun einem alten Gerichtssaal ähnelt.
“Der Stammeshäuptling und der Bürgermeister sahen keine andere Möglichkeit als sich zusammen zu setzen und eine Lösung zu finden. Da weder die Engländer noch die Indianer die Lebensstile des anderen annehmen wollten, waren sie gezwungen die neu entstandenen Familien zu verbannen. Das haben diese sich natürlich nicht gefallen lassen. Jeder hatte Personen, die er nicht zurück lassen wollte. Also schlossen sich die neu entstandenen Familien zusammen und gründeten ihre eigenen Gemeinde. Ein Dorf, dass sowohl aus Engländer, als auch aus Einheimischen bestand, genau zwischen den verfeindeten Partein.“ Während Max mir diese Geschichte erzählt, hat er einen ernsten Blick aufgesetzt und eine tiefere Stimme angenommen. Doch nach einer kurzen Künstlerpause lächelt er wieder und fragt: “Ist es nicht erstaunlich, was Liebe alles anrichten kann?“ Zum ersten Mal seit einer Weile lässt er meine Hand los und breitet seine Arme aus. Sofort vermisse ich es von ihm berührt zu werden.

Die ganze Zeit über habe ich aufmerksam zugehört und mir ist bewusst geworden, dass dies nicht nur eine einfache Geschichte ist. Diese Menschen haben auf ihr Herz gehört und sehr viel für ihre Liebe riskiert.

Wie eine Welle überkommen mich Gefühle, von denen ich nicht mal dachte, dass ich sie spüren kann. Aus einer reinen Emotion heraus küsse ich Max. Er ist kurz überrascht, doch legt schnell seine Hände an meine Seiten, um mich näher an sich zu ziehen. Der Kuss ist nur kurz, was ihn nicht weniger schön macht.

“Ich liebe dich.“, flüstere ich so leise gegen seine Lippen, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob ich das überhaupt gesagt habe. Aber Max Reaktion zu urteilen, hat er es gehört. Er umgreift mein Gesicht und schaut mich überrascht an.

“Sag das nochmal.“, fordert er.

“Ich liebe dich.“, wiederhole ich, diesmal ein wenig lauter. Und nun kann ich mir eine Lächeln auch nicht mehr verkneifen.

“Holly, du machst mich zu dem glücklichsten Mann auf dieser Welt.“ Euphorisch hebt mich Max hoch und dreht sich mit mir einmal um die eigene Achse. Als er mich wieder runter lässt, schaut er mich mit einem gewissen Lächeln an, als hätte ich ihm gerade das schönste Geschenk der Welt gemacht. “Um den Moment perfekt und noch kitschiger zu machen, muss ich dir gestehen, dass ich schon eine ganze Weile unsterblich und so gar nicht männlich in dich verliebt bin. Denn auch wenn du mich manchmal auf die Palme bringst, gibt es keinen Grund auch nur noch eine Sekunde ohne dich zu verbringen.“

Wie irgendwelche Bekloppten starren wir uns grinsend an. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass das passiert ist. Bis vor einigen Sekunden wusste ich nicht mal, dass ich solche Gefühle für Max habe. Aber als ich es ausgesprochen habe, hat es sich nicht falsch angefühlt und bereuen tue ich es auch nicht.

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