C H A P T E R 5

4.8K 254 5
                                    

Ist das zu fassen? Ich bin heute schon vor dem ersten Hahnen-Geschrei aufgewacht. Nun starre ich schon seit einer Weile auf die hellgelbe Zimmerdecke. Zum Aufstehen fehlt mir einfach die Kraft. Nachdem ich gestern wütend zu Hause angekommen bin, habe ich mir mein Handy geschnappt und meine beste Freundin angerufen. Das erste Mal seit dem ich in Greenwell bin. Sonst habe ich ihr nur kleinere SMS geschrieben, wie beschissen hier alles ist. Selbst Dads WLAN Empfang ist für die Tonne. Jedenfalls habe ich meine beste Freundin angerufen und ihr von dem gestrigen Abend erzählt. Dadurch habe ich mich nur noch mehr hinein gesteigert, obwohl im nachhinein diese ganze Situation gar nicht so schlimm gewesen ist. Als ich dann eine Weile telefoniert habe, war ich so erschöpft und habe mich in das Bett gelegt. Irgendwann bin ich einfach eingeschlafen. Und jetzt, jetzt bin ich wieder wach und denke an genau die gleichen Dinge, wie gestern Abend. Ich habe Ferien verdammt noch mal, ich möchte mich entspannen! Wenn die nächsten Wochen genau so stressig werden, dann sollte ich mir ernsthafte Gedanken über Botox machen, denn ohne Falten werde ich diese Ferien ganz sicher nicht überstehen.
Seufzend richte ich mich auf und steige aus dem Bett. Vielleicht tut mir etwas Ablenkung ganz gut. Nachdem ich mich angezogen und frisch gemacht habe, gehe ich in die Küche, um meinen morgendlichen Kaffee zu trinken. Am Tisch sitzt auch Dad, der in seiner Zeitung liest.

“Guten Morgen Dad.“, begrüße ich ihn und schütte in eine große Tasse den Kaffee.

“Du bist schon wach?“, fragt er verwundert und faltet seine Zeitung säuberlich zusammen. Dann legt er sie beiseite und nimmt einen Schluck von seinem eigenen Kaffee.

“Ja, ich bin gestern sehr früh eingeschlafen und ich wollte nicht ewig im Bett liegen bleiben. Ach, übrigens gehe ich jetzt in die Stadt. Ich wollte dir nur bescheid geben, dass du dir keine Sorgen machst.“, antworte ich und setze mich zu ihm an den Tisch.

“Ist in Ordnung. Wie lief es eigentlich gestern?“, fragt er neugierig nach und lehnt sich auf den Tisch etwas weiter nach vorn.

“Frag nicht.“, antworte ich knapp und nehme einen großen Schluck von meinem Kaffee, um weitere Fragen zu umgehen.

Nach einem eher spärlich aufgefallenen Frühstück, bin ich auf dem Weg in die Stadt. Ich brauche dringend neue Klamotten, denn die alten von Mom sind um ehrlich zu sein nicht mehr ganz so schön und meine Designer Sachen sind mir zu Schade, um sie in diesem Schmutz zu tragen. Der etwas längere Fußmarsch in die Stadt macht mir auch nichts mehr aus. Wenn ich diese flachen Schuhe trage, kann ich viel bequemer lange Strecken laufen. Hätte ich das eher gewusst, dann wäre ich bei meinen Shopping-Touren bestimmt nicht auf High Heels rum gelaufen. In New York werde ich das sicher nicht zu geben. Ich werde weiterhin meine teuren Designer Klamotten tragen und auf hohen Schuhen herum laufen, denn in New York ist es wichtig was man für einen Eindruck vermittelt. Und mit was geht das wohl besser, als mit dem äußeren Erscheinungsbild? 
Nach ungefähr 20 Minuten befinde ich mich in einem Laden, der Kleidungsstücke aber auch Möbel verkauft. Komischer Laden. So etwas habe ich wirklich noch nie gesehen. Doch bevor ich mich weiter mit der Absurdität dieses Ladens beschäftigen kann, zieht eine schwarz haarige Person meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich begutachte einige Kleidungsstücke, die jedoch mit schrecklichen Mustern verziert sind und nähere mich unauffällig dem Mädchen.

“Holly?“, ertönt dann ihre Stimme und ich drehe mich zu Lucy um.

“Hey Lucy! Ich wusste gar nicht, dass du hier bist.“, sage ich mit einem aufgesetzten Lächeln.

“Ja, meine Schwester wollte unbedingt hier her.“, sie zeigt auf ein braun haariges Mädchen und erzählt dann weiter: “Aber was viel interessanter ist, was machst du hier?“

“Ich? Ach, ich kann ja nicht immer so aufgetakelt herum laufen.“, antworte ich lachend, dass mir meine Klamotten eigentlich zu Schade für diese Stadt sind, erwähne ich nach gestern besser nicht.

“Das überrascht mich jetzt doch ein wenig. Wo ist denn Miss Hollywood von gestern Abend geblieben?“, fragt Lucy schmunzelnd und mit funkelnden Augen nach.

“Die liegt noch im Bett und denkt über ihr bisheriges Leben nach. Da du es eh schon ansprichst, ich wollte mich für gestern entschuldigen. Ich hätte nicht so beleidigend sein dürfen.“, sage ich nun reuevoll und blicke in Lucys grüne Augen.

“Ja das stimmt, dass hättest du wirklich nicht sein dürfen. Aber ich möchte mich auch bei dir entschuldigen, ich hätte dich nicht so anschreien dürfen.“, antwortet Lucy und schaut mich mit einem breiten Lächeln an.

“Also sind wir wieder Freunde?“, frage ich nach und beginne ebenfalls zu lächeln.

“Klar sind wir das.“, sagt sie und legt ihre Arme um mich. Ich erwidere diese Umarmung und genieße für einen Augenblick den Moment der Vertrautheit. Zum ersten Mal seit einer wirklich langen Zeit, fühlt sich eine Umarmung herzlichen an und vermittelt nicht nur das Gefühl von Höflichkeit. In New York hat man sich aus Höflichkeit immer zur Begrüßung und zum Abschied umarmt. Ob man die Person leiden konnte oder nicht war egal.
“Also dann, ich muss wieder los. Wir sehen uns die Tage bestimmt einmal.“ Und schon ist Lucy mit ihrer Schwester aus dem Laden verschwunden. Ihre verrückte Art hat sich in den vergangenen Jahren auf jeden Fall nicht geändert. Nun kann ich mich wieder den Klamotten widmen oder den Sachen, die einmal Klamotten werden sollten. Schrecklich, dass jemand dachte, dass irgendwer solche Sachen anzieht. Aber je länger ich mich in dem Laden aufhalte, desto mehr gefällt es mir hier. Es ist wie bei einer Schatzsuche. Wenn man nur genau hinschaut, entdeckt man wirklich schöne Sachen. So wie das weiße Sommerkleid mit den großen blauen Blumen oder die helle Jeans, in meinen Händen. Vielleicht sollte ich aufhören die Dinge nach ihrem Aussehen zu beurteilen. Zumindest hier in Greenwell, denn in der kurzen Zeit, die ich nun schon hier bin, wurde mir schon öfters gezeigt, dass Dinge anders sein können, als man auf dem ersten Blick denkt. Nach einer Stunde verlasse ich den Laden mit ein paar annehmbaren Klamotten und dem Vorhaben, hier noch einmal vorbei zu schauen.
Auf meinem Weg zurück nach Hause, entdecke ich ein Plakat für das bevorstehende Gründerfest. Das muss man Greenwell lassen, hier gibt es immer die schönsten Gründerfeste. Alle Menschen ziehen sich schick an, es gibt schöne Musik und wirklich alle haben gute Laune. Vielleicht werde ich dort hin gehen, wenn mich jemand einlädt. So ist es Tradition! Die ledigen Frauen müssen von einem Mann ausgeführt werden und bei dem Eröffnungstanz zusammen tanzen. Das soll Glück in der Liebe bringen. Auch wenn ich vielleicht gegen diese ländlichen Spiele bin, hätte ich nichts dagegen wenn mich jemand einlädt. Den Spaß lasse ich mir dann doch nicht nehmen. Selbst wenn Joshua mein Freund ist. Hier weiß das ja niemand. Außerdem hat er sich noch nicht einmal gemeldet, ich weiß gar nicht, ob wir überhaupt noch zusammen sind.

Back to Reality Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt