C H A P T E R 4

5.1K 250 13
                                    

Die Entscheidung heute Abend zu unserem alten Treffpunkt zu gehen, ist mir wirklich nicht leicht gefallen. Alleine zwei Stunden habe ich gebraucht, um mir zu überlegen, ob ich die anderen wieder sehen möchte. Und noch mal so lange hat es gedauert mich zu entscheiden, was ich anziehen soll. Duschen und Haare waschen sind dabei noch nicht inbegriffen. Am Ende habe ich mich für eine dunkelblaue Jeans, eine gelbe Bluse und eine Lederjacke entschieden. Meine blonden Haare habe ich leicht gelockt und ein dezentes Make Up aufgelegt. Jetzt sehe ich lässig aus aber nicht zu lässig, dass man sich fragt aus welchem Loch ich wohl herkomme. Trotzdem drückt mein Outfit ein wenig Klasse aus, damit man auch ja erkennt, dass ich kein beliebiger Dorftrampel bin. New Yorker sind stolz darauf, wo sie her kommen und das sollte man ihnen auch ansehen.
Nun stehe ich unentschlossen vor Tylers Garage und überlege, ob ich rein gehen soll. Mich hat noch keiner gesehen. Niemand weiß, dass ich hier bin. Wenn ich mich also einfach umdrehe und weg gehe, wird keinem auffallen, dass ich hier schon eine Viertelstunde stehe. Doch wie das in letzter Zeit so in meinem Leben ist, kommt immer irgendwer und macht meine Pläne zunichte.

“Holly?“, höre ich eine männliche Stimme hinter mir meinen Namen sagen, also drehe ich mich um und schaue in diese unverkennbaren braunen Augen.

“Harley?“, frage ich überrascht nach und blicke auf seine strahlend weißen Zähne.

“Glaub es oder glaub es nicht, aber ich bin es wirklich.“, antwortet er lachend und breitet seine Arme für eine Umarmung aus. Grinsend gehe ich auf ihn zu und lege, wie gestern bei Max, meine Arme um Harleys Nacken. “Lange nicht mehr gesehen.“, sagt er als wir uns wieder voneinander lösen.

“Ja ein paar Jahre ist es her.“, antworte ich grinsend und begutachte meinen alten Freund etwas genauer. Seine braunen Haare trägt er nun länger und gewachsen ist er im Allgemeinen auch sehr viel.

“Hattest du eigentlich vor noch länger hier draußen rum zu stehen?“, fragt der braun gebrannte Junge und setzt sich mit mir in Bewegung.

“Eigentlich hatte ich das vor.“, antworte ich mit einem schüchternen Lächeln und stecke meine Hände in die Taschen meiner Lederjacke.

“Ladys First.“, sagt Harley und hält mir die Garagentür offen. Schon jetzt kann ich die gute Laune der anderen hören. Es wird viel gelacht, durcheinander geredet und im Hintergrund läuft die für Greenwell typische Country Musik. Eine weitere Sache, die ich definitiv nicht vermisst habe.
Im Inneren der Garage angekommen, sehe ich drei Personen mit dem Rücken zu mir auf einem alten Sofa sitzen. Sofort weiß ich, wer sie sind. Mit diesen Personen bin ich aufgewachsen, sie haben mir einmal die Welt bedeutet, so schnell kann ich sie nicht vergessen. In die hinterste Ecke meiner Erinnerungen zwängen, vielleicht. Aber vergessen? Unmöglich.

Da uns die drei noch nicht bemerkt haben, beschließt Harley sie laut zu begrüßen: “Seht mal wen ich mitgebracht habe. Stand draußen und hat sich nicht getraut rein zu kommen.“ Sofort verstummen die Gespräche und alle drehen sich zu mir um. Max scheint weniger überrascht und lächelt mir lediglich zu. Aber die restlichen zwei brauchen einen Moment, um zu realisieren, dass wirklich ich vor ihnen stehe. Die verschollene Holly Thompson, die alle verlassen hat.

“Ist nicht wahr!“, kreischt Lucy und kommt mit einem breiten Grinsen auf mich zu gestürmt und schmeißt ihr Arme um mich.
“Nach all den Jahren lässt du dich wieder blicken. Ich dachte schon New York hätte dich verschlungen. Aber sieh dich doch an, Miss Hollywood.“, sagt sie und betrachtet mich mit etwas Abstand genauer. Ihr grünen Augen schweifen über mein Outfit und bleiben in meinem Gesicht hängen. “Naja, eins scheint dort drüben bei euch nicht so ganz zu funktionieren. Scheint bei euch überhaupt die Sonne?“ Ehrlich wie eh und je. Doch diese Frage lasse ich unbeantwortet und wende mich an den letzten im Bunde.
Tyler.
Er schaut mich bereits mit einem ebenfalls breiten Grinsen an. Und nur zur Vervollständigung gehe ich auf ihn zu und umarme auch ihn kurz, doch er verzichtet auf einen Kommentar. Vielleicht auch besser so.

“Und ich hatte schon Angst, dass ihr sauer oder so was auf mich seid.“, spreche ich meine Bedenken aus und setze mich auf das andere Sofa zwischen Harley und Max.

“Um ehrlich zu sein sind wir das auch, aber mit der Zeit haben wir akzeptiert, dass du nicht zurück kommen wirst.“, antwortet Lucy, streicht sich eine ihrer schwarzen Haarsträhnen hinters Ohr und setzt sich auf Tylers Schoß. Also damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Aber ich wahr wirklich sehr lange weg, es muss viel passiert sein.
Unbehaglich nicke ich bloß als Antwort und schaue dann Hilfe suchend zu Max, der nur entschuldigend mit den Schultern zuckt. Na toll, ein wenig Unterstützung hätte ich schon erwartet von meinem ehemals besten Freund.

“Dann erzähle​ mal Miss Hollywood. Was hast du die letzten Jahre so getrieben?“, fragt Harley nach und benutzt den gleichen Spitznamen wie Lucy zuvor.

“Am Anfang war alles so riesig und überwältigend. Die vielen Menschen und Gebäude, kein Vergleich zu Greenwell. Doch daran habe ich mich schnell gewöhnt. Auf der Middle School habe ich schnell Freunde gefunden, mit denen bin ich auch zur High School gegangen. Vor ein paar Tagen habe ich meinen Abschluss gemacht und warte jetzt nur darauf, dass das Collage beginnt. Die Columbia hat mir nämlich einen Platz angeboten, zum Glück. Ich hätte keine Lust wieder zurück in irgendeine Provinz-Stadt zu ziehen.“, berichte ich lachend und blicke in die Gesichter der anderen, die mich weniger erfreut anschauen.

“Mit Provinz-Stadt meinst du also Greenwell?“, fragt Lucy mit erhobenen Augenbrauen nach.

“Na ja, also eigentlich schon.“, antworte ich, auch wenn ich weiß, dass diese Antwort nicht sehr hilfreich für unser kommendes Gespräch ist.

“Soll ich dir mal was sagen?! Du kannst dich gleich wieder nach New York verpissen! Dort passt du offensichtlich besser hin. Schon mal daran gedacht, dass Greenwell dich auch nicht haben will? Du eingebildetes Miststück. Kommst nach all den Jahren zurück und denkst du wärst was besseres. Doch du bist hier geboren und aufgewachsen. Ob du es willst oder nicht, du wirst immer einen Teil Provinz-Stadt in dir tragen!“, schnauzt Lucy mich an und springt von Tylers Schoß.

“So und jetzt sage ich dir mal was!“, sage ich und erhebe mir ebenfalls von meinem Platz. “Mag sein, dass ich hier in Greenwell geboren bin. Aber in mir fließt New Yorker Blut und ich werde nie, ich wiederhole nie, einen Teil dieser Provinz-Stadt in mir tragen!!“ Mit diesen Worten und einen letzten wütenden Blick auf Lucy verschwinde ich aus der muffigen Garage und trete meinen Heimweg an. Mein Puls ist auf 180 und ich kann es nicht fassen, dass das eben passiert ist. Wie kann sie, wie kann überhaupt jemand behaupten, dass Greenwell ein Teil von mir ist? An die meiste Zeit hier kann ich mich doch gar nicht erinnern.

Tut mir leid, dass erst heute ein Kapitel kommt. Aber ich hatte gestern viel zu tun und habe dann einfach vergessen zu updaten. Nächste Woche wird natürlich wieder am Samstag ein Kapitel kommen. Bis dahin danke für die Votes und Kommentare. ❤


Back to Reality Where stories live. Discover now