C H A P T E R 3

5.7K 270 12
                                    

Ein neuer Tag, eine neue Chance! Na gut, das war vielleicht nicht mein erster Gedanke heute Morgen. Aber so ähnlich war er bestimmt. Das Geschrei dieses blöden Hahns hat mir alle Gedanken aus meinem Gehirn geschrien. Ich schwöre, dass ich diesem Tier noch den Hals umdrehen werde. Zwei Tage bin ich nun schon hier und dieses Vieh raubt mir meine ganzen Nerven. Was habe ich denn getan, dass ich es verdient habe jeden Morgen so unsanft geweckt zu werden. Wenn es einen Hühner Gott gibt, dann kommt dieser Hahn bestimmt in die Hühner Hölle, weil er mich mit seinem Gekrähe so aufgeregt hat. Eine heiße Dusche und mehrere Tassen Kaffee später, ist der Hass auf das Tier vergessen. Nun stehe ich in einer meiner Jeans und einem Oberteil meiner Mutter vor dem Spiegel und betrachte mich etwas genauer. Oder besser gesagt, ich betrachte die Person in dem Spiegel. Sie hat die gleichen blonden Haare und braunen Augen wie ich und kommt mir auch sehr bekannt vor. Aber bei genauerem hinsehen erkenne ich sie doch nicht wieder. Diese Klamotten passen einfach nicht zu mir. Ich komme aus der Stadt und sehe aus wie ein Landei. Was stellt Greenwell mit mir an, dass ich mich so verändere? Vielleicht sollte ich mir nicht so viele Gedanken machen und einfach den Tag genießen. Ja genau, heute ist ein wunderschöner Tag. Der Himmel ist nur von wenigen Wolken bedeckt und ab und zu weht ein lauer Wind. Eigentlich der perfekte Tag für einen Ausritt. Schnell ziehe ich meine Cowboy Stiefel an und gehe rüber zu den Stallungen. Meinen Dad habe ich gestern Abend noch gefragt, warum die Pferde in ihren Boxen sind und nicht auf der Koppel. Er hat gemeint, dass momentan so eine Grippe unter den Pferden herum geht und damit sie sich nicht anstecken, müssen sie eben ein paar Tage in ihren Boxen verbringen und können nur einzeln raus. Silver, ist aber völlig gesund, hat er mir versichert.
Damals durfte ich mir eines von den neu geborenen Fohlen aussuchen. Ich habe mich sofort in seine dunklen Augen verliebt. Und wegen der silbernen Strähne in seiner Mähne habe ich ihn Silver genannt. Ich konnte es kaum abwarten ihn auszureiten, doch dann ist meine Mom mit mir nach New York gezogen. Danach bin ich ihn nur ein paar mal geritten bei meinen wenigen Besuchen hier.
Wenige Minuten später sitze ich auf den vollständig gesattelten Silver und reite einfach so drauf los. Reiten ist wie Fahrrad fahren. Das verlernt man nicht! Außerdem konnte ich eher reiten als Fahrrad fahren. Heute ist wirklich ein schöner Tag zum ausreiten. In einem langsamen Tempo galoppieren wir über eine hochgewachsene Wiese. Hier ist es so still. Nur das Rascheln der Grashalme, die sich im Wind aneinander reiben und das leichte Traben von Silver ist zu hören. Mit der Sonne im Nacken komme ich schließlich an einem Waldrand an. Ich steige von Silvers Rücken und nehme aus der Satteltasche, die ich vorhin noch schnell gepackt habe, einen Trinkbehälter und stelle diesen mit Wasser befüllt vor Silver ab. Mir krame ich einen Apfel aus der Tasche und lasse mich auf einem umgekippten Baum nieder. Wie schön es doch hier draußen ist. Hier sollte ich in den nächsten Wochen öfters hin kommen. So kann ich wenigstens meine Ruhe haben. Ich esse meinen Apfel bis zur Hälfte auf und gebe den Rest Silver, dann lege ich mich auf den Baum und schließe die Augen, um mich von der Sonne wärmen zu lassen und einfach den Geräuschen der Natur zu lauschen. Keine Ahnung wie lange ich so da lag und ob ich zwischenzeitlich eingeschlafen bin, aber irgendwann spüre ich einen Stups an meinem Oberarm und öffne die Augen. Silver schaut mich abwartend an. "Willst du zurück?", frage ich auch wenn ich weiß, dass ich keine Antwort erhalten werde. Ich packe den Trinkbehälter wieder in die Satteltasche und steige auf das Pferd auf. Erst auf dem Weg zurück fällt mir auf, wie weit ich raus geritten sein muss. Ich war wohl zu begeistert von der Umgebung und habe gar nicht darauf geachtet.
Als ich gerade das Tor zu unserem Grundstück öffnen möchte, kommt Max mir entgegen gerannt und fragt: “Wo warst du denn den ganzen Tag? Dein Dad hat sich schon Sorgen gemacht.“

“Ich habe wohl die Zeit vergessen.“, antworte ich entschuldigend und bedanke mich gleich danach, da Max mir netter Weise das Tor aufgemacht hat.

“Gib mir Silver, ich reibe ihn ab und du gehst wohl besser zu deinem Dad.“, sagt er und nimmt mir die Zügel aus der Hand. Da ist man mal für ein paar Stunden weg, um seine Ruhe zu haben und hier geht gleich die Welt unter.

“Ach, Holly!“ ruft mir Max aus der Ferne zu und ich drehe mich zu ihm um. “Ich soll dir ausrichten, dass die anderen dich auch gerne wieder sehen würden. Heute Abend bei Tyler.“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wende ich mich endgültig ab und gehe auf das große Haus zu. Ob ich heute Abend da hin gehe, muss ich mir noch überlegen. Mir werden bestimmt viele Fragen gestellt werden. Warum habe ich mich nicht gemeldet? Wie ist es mir so ergangen? Und ein wenig habe ich sogar Angst. Was ist, wenn sie sauer auf mich sind. Immerhin haben sie jeden Grund dazu, da ich sie einfach im Stich gelassen habe. Unsere Gruppe war wirklich unzertrennlich. Aber ich habe mir damals geschworen dieses Leben hinter mir zu lassen, da es zu schmerzhaft wäre ihm nach zu trauern. Also habe ich einen endgültigen Schlussstrich gezogen. Nun bin ich erwachsen und ein anderer Mensch geworden. Habe neue Freunde gefunden und mir ein Leben aufgebaut, dass eine glamouröse Zukunft verspricht.
Als ich in der Küche ankomme, kann ich meinen Dad sehen, der nervös auf und ab geht.

“Dad?“, frage ich schmunzelnd mit ein wenig Besorgnis.

“Holly, wo hast du gesteckt? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Deine Mutter hat mir die Verantwortung übertragen auf dich Acht zu geben.“, sagt er aufgebracht und schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an.

“Dad, alles gut. Ich bin ein wenig mit Silver durch die Gegend geritten und habe die Zeit komplett vergessen. Es tut mir leid, beim nächsten Mal sage ich dir bescheid, wenn ich vor habe für ein paar Stunden weg zubleiben.“, antworte ich mit einem friedlichen Lächeln, dass meinen Dad ein wenig zu beruhigen scheint. In New York hat sich nie jemand Sorgen gemacht, wenn ich mal ein paar Stunden länger weg war, geschweige denn einen Tag. Mom war meistens arbeiten und wenn nicht, dann in einem ihrer Clubs, bei denen sie Vorsitzende ist oder irgendein Komitee leitet. Wir haben also so ziemlich aneinander vorbei gelebt und nur an Feiertagen etwas zusammen unternommen. Dafür waren diese Tage immer umso schöner, da wir uns viel zu erzählen hatten und die Zeit gemeinsam genossen haben. Ich möchte meiner Mom keinesfalls vor den Kopf stoßen. Sie ist eine wirklich hervorragende Mutter, aber in New York läuft das Leben eben ein wenig schneller.

“Das wäre wirklich besser, denke ich. Es ist nur so, dass es schon lange her ist, dich für einen längeren Zeitraum um mich zu haben und ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.“, bringt Dad verlegen hervor.

“Alles ist gut. Ich bin es doch selbst nicht gewohnt​. Ab sofort werde ich Rücksicht darauf nehmen.“, antworte ich lächelnd.

“Danke Holly. Ich habe dich wirklich lieb und so schrecklich vermisst.“, sagt der sonst so starke Mann und legt seine Arme um mich.

“Ich dich doch auch.“, flüstere ich gegen seine Brust und erwidere die Umarmung mit einem breiten Lächeln. Wahrscheinlich muss ich mich ein wenig umstellen, um die nächsten Wochen hier Sorgenlos zu verbringen. Meinem Dad zu liebe tue ich es, aber für niemand anderen werde ich mich ändern. Denn es sind doch nur ein paar Wochen und dann kehre ich in mein altes Leben zurück. Dann heißt es 'Tschüss Greenwell!' und 'Hallo New York!'.

Und schon wieder ist eine Woche um. :D Ich hoffe dieses Kapitel hat euch gefallen, auch wenn momentan noch nicht ganz so viel passiert. Aber ich finde die Gedankengänge von Holly trotzdem wichtig. :)
Da es zu dem Thema passt, hätte ich mal eine Frage an euch: Kommt ihr aus der Stadt oder vom Dorf? Würde mich wirklich interessieren wo ihr so her kommt und ob ihr auch ähnliche Konflikte kennt. 💕

Back to Reality Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt