C H A P T E R 9

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Das frühe aufstehen macht mir mittlerweile nichts mehr aus. Am Anfang war es echt schwer, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Auch an Greenwell habe ich mich gewöhnt. Irgendwie kann ich es wieder als ein Teil von mir ansehen. Aber so ganz weiß ich nicht, wofür mein Herz schlägt. Für Greenwell, in dem ich meine frühe Kindheit verbracht habe? Oder doch für New York, in der Stadt, wo ich mir ein Leben aufgebaut habe? Doch darüber kann ich mir jetzt keine Gedanken machen. Ich muss mich um die Songauswahl für das Gründerfest kümmern und die macht mir mehr Arbeit als Gedacht. Lieder aus den verschiedensten Jahrzehnten heraus zu suchen ist gar nicht so leicht. Die 90er bis 50er Jahre waren nicht schwer, aber jetzt sind Harley und ich damit beschäftigt, zumindest zwei Lieder aus den 20er Jahren zu finden, zu denen man auch tanzen kann beziehungsweise, die die Schulband einstudieren kann. Von der haben wir nämlich heute morgen eine Zusage bekommen. In New York war ich auch beteiligt an der Planung einiger Veranstaltungen, aber so ein Gründerfest ist noch mal eine komplett andere Sache.

"Hey Holly, hast du zufällig am Samstag etwas vor?", fragt mich Harley und schaut von seiner Liste unserer bisherigen Songs hoch.

"Nein, ich habe außer meiner Arbeit hier im Gemeindehaus nie etwas vor.", antworte ich lachend und klappe meinen Laptop zu. Genug Arbeit für heute!

"Perfekt! Am Samstag steigt nämlich eine kleine Party bei einem Kumpel von mir. Die anderen kommen übrigens auch. Also was sagst du?" Harley schaut mich mit einem breiten Lächeln an und streift sich durch seine braunen Haare.

"Ich weiß nicht. Bei unserem letzten Treffen ist es alles andere als gut gelaufen.", Teile ich ihm meine Bedenken mit und räume lose Blätter unserer Recherche in eine Mappe.

"Ach, komm schon! Dort sind so viele Leute, dass wir uns auch einfach aus dem Weg gehen können, wenn es brenzlig wird. Außerdem hast du dich, meiner Meinung nach, seit unserem letzten Treffen verändert. Was soll also schief gehen? Komm, sag ja.", quengelt er und schiebt seine Unterlippe nach vorn, um mich mit seinem Hundeblick zu beeinflussen. So ein Idiot! Das hat schon immer funktioniert.

"Na schön.", antworte ich lachend und erhebe mich von meinem Platz. "Am Montag sollten wir uns dann mal die Fläche anschauen, wo die Band spielen soll und gucken, ob sie überhaupt mit ihren Instrumenten auf die Bühne passen."

"Alles klar. Falls wir uns bis Samstag nicht mehr sehen, wünsche ich dir viel Erfolg beim nichts machen." Harley steht ebenfalls auf und geht um den Tisch, um mich zum Abschied zu umarmen.

"Ha ha, sehr witzig. Also dann, wir sehen uns am Samstag.", verabschiede ich mich von ihm, nehme meine Tasche und verlasse das Gemeindehaus. Ich bin froh, dass Harley und ich so gut klar kommen. So habe ich wenigstens einen Freund hier, mit dem ich mich unterhalten kann. Bei den anderen bin ich mir nicht so ganz sicher, ob wir nur Freunde sind. Und was Max angeht, habe ich absolut keine Ahnung. Wir hatten eine gemeinsame Vergangenheit und ich spüre, dass da noch immer etwas ist. Aber irgendwie ist es anders. Ich weiß nicht was es ist, es ist so schwer zu beschreiben. Max würde ich noch immer mein Leben anvertrauen, wenn es darauf ankommt und das nach dieser langen Zeit. Doch was er empfindet kann ich nicht einmal erahnen. Er ist so schwer zu durchschauen. Mal ist er nett und freundlich und verhält sich so als wäre nie etwas gewesen und ein anderes mal ist er wieder abweisend. Ich kann beide Verhaltensweisen von ihm nicht nachvollziehen.
Apropos Max. Ein heller, blauer Pick-up bleibt neben mir stehen.

"Soll ich dich mitnehmen?", fragt er mit einem strahlenden Lächeln und öffnet mir von innen die Autotür.

"Aber logo!", antworte ich lächelnd und springe sofort in das Auto. Die Fahrt über sagt keiner etwas. Aber es ist keine unangenehme Stille, im Gegenteil, es wirkt fast so als würden wir die Stille um uns herum genießen. Seit Dienstag, unser Zusammentreffen im Baumhaus, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Nicht einmal bei Dad und das weiß ich so genau, weil ich extra Ausschau nach ihn gehalten habe. Ich wollte wissen, ob es ihm gut geht, denn nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich für ihn da sein werde, haben wir nicht viel miteinander geredet. Wir saßen noch eine Weile so da, bis Silver angefangen hat Geräusche von sich zu geben. Ihm war das lange umher stehen anscheinend zu langweilig. Obwohl er in seiner Box auch nichts anderes tut. Versteh einer die Pferde!

"Gehst du am Samstag auch auf die Party?", fragt Max nach einer Weile. Okay, offensichtlich will er über neulich nicht sprechen- das akzeptiere ich.

"Ja, Harley hat mich dazu überredet.", erzähle ich ihm mir einem kleinen Grinsen.

"Wenn Harley eines kann, dann ist es Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht wollen.", lacht er und fährt die Auffahrt hoch. "Ich kann dich mitnehmen wenn du willst." Er bringt das Fahrzeug zum stehen und schaut mich anschließend abwartend an.

"Das wäre nett, danke.", antworte ich und verabschiede mich mit einem winzigen Lächeln bei ihm. Da war es wieder. So freundlich wie er mir gegenüber ist, obwohl ich es eigentlich nicht verdient habe. Und dann schaut er mich immer mit diesem komischen Blick an. Jungs!
Den Rest des Tages verbringe ich damit nichts zu tun, so wie meistens eigentlich. Am Abend telefoniere ich noch kurz mit meiner besten Freundin, doch auch sie kann mich nicht von meiner Langeweile abhalten.

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