12 Dienstag

106 19 14
                                    

Jetzt war es raus. Sam wusste von Ricos kleinem Geheimnis, aber er behielt es für sich. In diesem Punkt konnte man Sam vertrauen, er würde nichts ausplaudern. Im Gegensatz zu jemandem wie Hamster, der immer die Klappe aufriss, konnte man sich auf Sam verlassen.

Trotzdem konnte Rico nicht hundert prozentig aufatmen. Es fühlte sich an, als hätte sein schönes normales Leben bereits einen gewaltigen Riss bekommen.

Sein Vater war in der Stadt und Sam wusste von ihm.

Das war seltsam und beängstigend.

Besonders, weil Sam von diesem Moment an nicht mehr aufhören wollte, davon zu reden. Seit gestern in der Pause fand er immer neue Fragen, die er loswerden wollte. Auch jetzt im Unterricht schob er ihm einen Zettel zu. Rico holte tief Luft, griff danach und warf gleichzeitig einen Blick auf die Uhr.

Es war kurz vor eins. Was konnte denn nicht die paar Minuten noch warten? Gleich war Schulschluss und an diesem Dienstag entfiel sogar der Nachmittagsunterricht.

„Hast du eigentlich die Telefonnummern von ein paar heißen Promis?", stand auf dem Stück Papier in beinah unleserlicher Schrift.

Echt jetzt? Genervt warf Rico seinem Kumpel einen Blick zu, um zu sehen, ob der das ernst meinte. Was hatte er nicht verstanden, als Rico ihm gesagt hatte, er hätte nichts mehr mit seinem Vater zu tun?

Wenn das so weiterging, war ihre Freundschaft vielleicht kurz vor dem Ende und das beunruhigte Rico gewaltig. Er wollte weder Sam noch alle anderen verlieren, sollten die das irgendwann einmal herausfinden. Er wollte nicht als der Sohn von Cielo Vaz abgestempelt werden, am liebsten sogar nie wieder diesen Namen auch nur hören.

„Ist das ein Nein?", flüsterte Sam enttäuscht.

„Ja und ein 'Fick dich'." Rico verdrehte die Augen und prompt kam von vorne Tadel.

Der Flieder, der gerade noch versucht hatte ein ordentliches Koordinatensystem an die Tafel zu bekommen, zeigte jetzt mit dem Lineal in Richtung Rico und Sam. „Jungs, aufpassen! Ich sehe euch nicht arbeiten."

Die beiden griffen nach ihren Stiften und taten, als würden sie seiner Anweisung folgen. Eigentlich schindeten sie nur Zeit, bis es endlich zum Schulschluss läutete. Die Aufgabe wurde zur Hausaufgabe, war Rico aber herzlich egal.

Wie alle anderen machte er sich eilig auf dem Heimweg. Sam sprach ihn nicht weiter auf seinen Vater an, denn sie waren von Mitschülern umringt und kämpften sich wie alle anderen durch die vollen Korridore nach draußen.

Rico sah sich um, ein Stück hinter ihm ging Lou. Sie sah müde aus und bemerkte seinen Blick gar nicht, denn sie starrte stumm Richtung Boden.

Was Rico auch besser machen sollte, denn er stolperte prompt in den Jungen vor ihm. Der schimpfte etwas Unmissverständliches, wurde aber sofort stumm, als er Rico erkannte. Der war gut einen Kopf größer und machte mit seinem verletzten Gesicht immer noch einen gefährlichen Eindruck.

„Schreibst du nachher? Wir könnten zocken", schlug Sam neben ihm vor und brachte Rico auf andere Gedanken als die Gerüchte, die über ihn im Umkreis sein könnten.

„Meine Mum hat den Laptop konfisziert."

„Pech. Wegen Samstag?"

„Jap, aber Fee ist mitschuldig."

„Ach, ihr nächtlicher Ausflug?" Sam lachte.

Rico seufzte, weil er eigentlich nicht darüber reden wollte und außerdem Fred neben ihnen sofort fragte: „Wieso, was hat sie angestellt?"

„Nachts abgehauen. Und ja. Auch deswegen." Rico bog zu den Fahrradständern ab. „Ich muss los, wir sehen uns!"

Sie verabschiedeten sich mit einem knappen Nicken und sobald Rico etwas Abstand von den Jungs hatte, atmete er auf. Nicht, dass er seine Freunde nicht mochte, aber er hatte keine Lust, seine Familienangelegenheiten mit ihnen auszutauschen. Das ging niemanden was an und er mochte die Mauer, die er darum gezogen hatte, selbst wenn Sam einen Einblick bekommen hatte.

Blöd nur, dass der ihm zu folgen schien. Verärgert drehte sich Rico zu ihm um. „Was ist noch?"

Sam grinste nur und zuckte mit den Schultern, während Rico sein Fahrrad erreichte und das schwere Schloss aufsperrte. Sein Kumpel beobachtete gut gelaunt die anderen Schüler um sie herum, bis die Mehrheit von ihnen verschwunden waren.

Dann sagte er: „Also keine anderen Promis? Ich wette, der kennt sie alle. Stell' dir mal vor: Abhängen mit Leuten wie Robert Downey Jr. Oder Stan Lee! Ein bisschen mit Scarlett Johansson flirten."

Sam wackelte dabei mit den Augenbrauen und brachte so Rico tatsächlich kurz zum Lachen.

„Alter, du schaust zu viele Marvelfilme."

„Stimmt. Aber hey, who cares? Du musst es dir nur einmal vorstellen." Sam war begeistert. „Weißt du, was für ein Gesicht unsere Klasse machen würde? Besonders jemand wie Jasmina. Die ist 'n wahnsinniger Groupie von deinem Dad."

Leider. „Ich hoffe, das sie das niemals erfährt."

„Abwarten, wie lange soll das denn 'n Geheimnis sein? Bis zu seinem oder deinem Lebensende?"

„Keine Ahnung, so lange wie möglich."

Sam schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich der einzige war, dem Cielos Blick aufgefallen ist. Jasmina ist in diesem Moment auch total verstummt. Wenn die das bisher noch nicht gerochen hat ... ich wäre verdammt vorsichtig, sonst platzt dein kleines Familiengeheimnis sehr sehr bald."

Wie Glaspapier im Scheinwerferlicht ✔Where stories live. Discover now