30 Daheim

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Mit Kopfschmerzen und noch immer knurrendem Magen lag Rico in seinem Bett und spielte Candy Crush. Nicht, weil es Spaß machte, sondern nur, weil es damit erträglich wurde. Er musste nicht an seine Schwester oder seine Familie denken oder sich fragen, was noch alles schief laufen könnte.

„Rico, darf ich reinkommen?"

Etwas missmutig schnaubte er, aber da betrat seine Ma schon das Zimmer. In der Hand hielt sie einen Teller.

„Du hast noch nichts gegessen." Sie lächelte entschuldigend. „Ist nur Brot mit Aufstrich und Nutella, wir haben nichts anderes da."

„Geil." Rico richtete sich auf und nahm die Wahl des Essens absolut nicht übel. Es war Essen! Und Nutella! Das reichte, um seine Laune etwas zu heben und er stopfte sich den Mund voll.

„Also, wenn du so hungrig bist, hättest du dir auch selbst was machen können", tadelte ihn seine Ma und setzte sich dann auf den Schreibtischstuhl, wo auch ein paar Klamotten lagen.

Rico antwortete nicht, sondern aß etwas langsamer weiter. Die Art, wie seine Ma nicht wieder ging, beunruhigte ihn.

„Was ist los?"

Viktoria holte tief Luft. „Dein Vater hat angerufen. Manfred geht es wieder schlechter, sie haben ihn in ein künstliches Koma versetzt."

„Shit."

„Weißt du, ich möchte nicht, dass du ... dass du sagst, Felina sei tot. Wir wissen das nicht und solange wir das nicht wissen, lebt sie. Okay?"

Rico schluckte. „Okay."

Erleichtert lehnte sie sich zurück. Ihre ganze Gestalt war nicht mehr als ein Geist, der durch die Wohnung schlich. Egal, was sie von ihm verlangen würde, er würde wahrscheinlich nicht protestieren.

Jetzt richtete sie sich wieder etwas auf. „Ach, und noch etwas. Da ist ein Mädchen unten an der Straße, in deinem Alter. Vielleicht kennst du sie? Sie geht irgendwie nicht weg."

„Aha?", wunderte sich Rico und begann jetzt auch das zweite Brot zu essen. Irgendein Aufstrich mit Frischkäse und Tomaten, nicht so lecker wie Nutella, aber in seinem Bauch war noch platz.

Seine Ma verschwand wieder in der Wohnung und es dauerte nicht lange, da brachte Rico den leeren Teller in die Küche und lugte durch das Fenster hinunter zur Straße. Ach du Scheiße.

„Und, kennst du sie?"

„Ja."

Unten auf der gegenüberliegenden Straßenseite saß Jasmina. Sie trug wie üblich ein buntes Kopftuch und beobachtete den wenigen Verkehr. Viel war nicht los, auch der nahe Spielplatz war wie ausgestorben seit Felina entführt worden war. Die Nachbarn hatten Angst, dass ihren Kindern das Gleiche passierte.

„Das ist Jasmina, hab' mit ihr einige Kurse. Sie ist der totale Freak was Cielo angeht und glaubt, ich habe was mit ihm zu tun. Ich schätze, sie versucht das herauszufinden."

„Willst du sie davon abhalten, bevor dein Vater uns einen Bodyguard vorbeischickt?"

Rico drehte sich erschrocken um. „Er macht was?"

„Er hat vorhin angerufen. Wir erhöhen die Sicherheit und das bedeutet, dass wir uns nicht mehr ohne Begleitschutz aufhalten sollen. Seine Worte, nicht meine."

„Wir fliegen auf." Rico schluckte. „Jasmina erkennt sogar den Wagen von Cielo Vaz und mit diesen Bodyguards bekommt sie die Beweise, die sie will!"

„Vielleicht kannst du sie wegschicken?", schlägt seine Ma mit einem leichten Zögern vor. „Oder soll ich das machen?"

„Ne, ich geh mal runter." Rico warf nochmal einen kurzen Blick nach draußen, aber Jasmina saß immer noch am selben Fleck. Nur dieses Mal tippte sie etwas in ihr Handy. Na, super.

Nach einem Gang zur Toilette schlüpfte Rico in ausgelatschte Turnschuhe, griff nach seinem Wohnungsschlüssel und lief die Treppe nach unten. Als er die Haustür verließ, schnellte sofort Jasminas Kopf hoch und starrte ihn an.

Rico versuchte, sich davon nicht beirren zu lassen, sondern überquerte die Straße, um direkt auf sie zuzugehen.

„Hi", rief er und beobachtete, wie Jasmina blass wurde. Unruhig klammerte sie sich an ihr Handy und wenn Rico raten müsste, würde er sagen, dass sie jetzt am liebsten weglaufen würde.

Sie lächelte gezwungen. „Hi Rico."

„Was machst du hier?"

„Ähm, dasselbe könnte ich dich fragen?", versuchte sie sich rauszureden und grinste weiter krampfartig. Netter Versuch mit furchtbarer Umsetzung.

„Okay, ja. Ich beobachte deinen Wohnort, du hast mich erwischt", gibt sie schließlich zu und mied seinen Blick.

Rico lachte. „Eigentlich hat dich meine Ma erwischt."

„Macht die Sache nicht besser."

„Warum beobachtest du mich?", fragte Rico nochmal direkt.

„Ich ... niemand hat mir geglaubt, also wollte ich selbst Beweise finden. Du weißt schon, wegen Cielo Vaz."

Oh, Mann. „Damit lässt du nicht locker, oder?"

„Nope." Sie grinste schelmisch.

Ein Motorgeräusch ließ sie umsehen und ihr Lächeln wurde noch breiter. Eine Rollerfahrerin kam direkt auf die beiden zu und stoppte dann. Noch bevor sie den türkisfarbenen Helm abgenommen hatte, erkannte Rico sie.

„Hi Lou!", grüßte er sie misstrauisch. „Beobachtest du mich jetzt auch noch? Wisst ihr, dass das irgendwie krank ist?"

Lou zuckte nur mit den Schultern. „Überwiegend bin ich hier um Jasmina davon abzuhalten bei euch einzubrechen, also solltest du mir eigentlich dankbar sein."

„Das wollte ich gar nicht!", protestierte Jasmina lautstark.

Lou verdrehte nur die Augen. „Natürlich wolltest du das nicht."

Fassungslos starrte Rico zwischen den beiden Mädchen hin und her. Ihm hatte es direkt die Sprache verschlagen, was in diesem Moment kein Problem war, denn Lou sprach weiter: „Aber ich habe einen besseren Vorschlag. Einen, der dieses ganze Theater um Cielo Vaz möglicherweise beendet."

„Ach, ja?" Holte sie Felina zurück und setzte Fill in den nächsten Flieger nach L.A.? Das wäre ein Plan, bei dem Rico dabei wäre. Bei jedem anderen erdenklichen bekam er Angst.

„Nämlich, Rico." Sie sah ihn herausfordernd an. „Jasmina würde mit dieser ganzen Cielo-Sache sicher aufhören, wenn du einen Gegenbeweis hast. Kannst du ihr beweisen, dass Cielo Vaz nicht mit dir verwandt ist?"

Was? „Soll ich 'nen Stammbaum aufmalen oder was?"

„Naja, ich versuche dir hier gerade zu helfen. Denn wenn Jasmina beschließt, sie geht der Sache auf den Grund, dann macht sie das auch. Hier ist deine Chance, das zu verhindern."

„Ich glaube ja", meinte Jasmina, „dass Cielo entweder dein Vater oder dein Onkel ist. Ihr seht euch verdammt ähnlich, mal abgesehen von deinen ganzen Locken und dem Altersunterschied."

Lou nickte grinsend. „Stimmt. Also, Rico, zumindest deinen richtigen Vater müsstest du ja wahrscheinlich kennen. Wie heißt er? Wo ist er? Zeig Jasmina, dass er nicht Cielo Vaz ist."

Wie Glaspapier im Scheinwerferlicht ✔Where stories live. Discover now