47 Heldentragödie

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Rudis Kneipe lag in Wilmington, in der Nähe vom Hafen. Dort zwischen Firmen und Lagerhallen lag auch ein kleiner Schuppen, über dem mit alter Lackfarbe „RUDI'S" stand. Mit den Jahren waren die roten Buchstaben ausgebleicht und machten keinen einladenden Eindruck. Brauchten sie auch nicht: die Stammkundschaft kam und alle anderen waren ohnehin nicht willkommen.

Fill parkte seine Maschine direkt vor dem Eingang und stellte den Motor ab. Die Stille war beunruhigend und ließ ihn inne halten. Von all den dämlichen Dingen, die er in den letzten zwölf Stunden getan hatte, erreichte er vermutlich hier den Höhepunkt.

Aber er zögerte nicht mehr. Sicher wurde er schon beobachtet und so stieß er erhobenen Hauptes die Eingangstür auf. Im Inneren gab es nur dämmriges Licht und niemand war zu sehen. Einen Moment zögerte Fill. Sollte er einfach nach hinten durchgehen? Er kannte die Räume, aber offiziell war er ausgestiegen. Guillermo passte das nicht, aber das war nicht Fills Problem - hatte er jedenfalls gedacht.

Die hintere Tür wurde aufgestoßen und eine kleine Gestalt trat auf ihn zu. Guillermo.

Dünn war er geworden, schien in den letzten Jahren im Knast abgenommen zu haben. Gegen das helle Licht war er nicht gut zu erkennen, aber seine geschmeidige Gangart war unverkennbar genau wie das Stehenbleiben mit dem Gewicht auf dem linken Bein.

„Fill!" Guillermo lachte kurz auf. „Du bist echt gekommen. Hätte ich nicht gedacht."

Fill versuchte mit aller Mühe, selbstbewusst zu bleiben. Dass der Mann vor ihm aber immer noch unbehalten lachte, beunruhigte ihn. Nur durfte er das nicht zeigen. Ja keine Schwäche zeigen.

„Du glaubst echt, ich hätte deine Tochter?" Guillermo verdrehte die Augen. „Hier? In L.A.? Wie soll ich sie in die Staaten verschleppt haben?"

„Nicht hier, aber in Deutschland. Du weißt, wo sie ist." Fills Tonfall war lauter geworden und er musste sich konzentrieren, nicht sofort wild loszuschreien.

Aus den hinteren Räumen kamen jetzt auch zwei Handlanger heraus, darunter auch der Besitzer des Schuppen. Rudi, ein Schrank von zwei Meter zehn, hob grüßend die Hand. Früher waren Fill und er befreundet gewesen, damals im Knast. Lange her. Heute würdigte Fill dem ehemaligen Kumpel nicht mehr als einen Blick.

„Was geht mich das an, was da irgendwo in Europa passiert? Mir doch egal." Guillermo grinste spöttisch, nur dieses Mal war er nicht so locker. Es war erzwungen, das sah Fill ihm sofort an. Guillermo war noch nie ein guter Schauspieler gewesen.

Fill holte tief Luft, ehe er antwortete: „Du weißt mehr, als du zugibst. Ich weiß, dass das dein Spitzel war, der da auf der Straße erschossen worden ist."

„Spitzel? Tompson war ein Freund, das weißt du ganz genau." Guillermo schien tatsächlich frustriert. „Genau wie Juan."

„Juan?"

„Zwei Freunde habe ich gebeten, dich nach Europa zu begleiten. Zwei! Rate mal, wie viele jetzt tot sind!"

Fill verstand nicht, und so sprach Guillermo weiter: „Du kommst gerade echt ungelegen. Juan ist tot und der Mistkerl ist alleine mit meinem Geld! Oh, und auch alleine mit deiner Kleinen."

„Was?!" Fill raste auf ihn zu und packte ihn am Kragen. Seine Finger bohrten sich in den teuren Stoff, als er zischte: „Wer ist der Mistkerl? Wo ist er?"

Der kleine Latino grinste nur, denn im selben Moment kam Rudi und riss Fill von seinem Boss weg. Fill ließ es gestehen, worauf Rudi ihn recht schnell wieder losließ.

„Tut mir leid." Guillermo richtete seinen Hemdkragen, unter dem tätowierte Haut vorblitzte. „Irgendwie läuft es auch nicht mehr so nach meinem Plan."

„Dein Plan, ja? Ein unschuldiges Mädchen entführen?!", brüllte Fill. „Ich dachte ja, du hättest sowas wie Ehre! Ehre unter Freunden!"

„Ach, sind wir das doch noch? Dachte, du hättest die Freundschaft gekündigt?" Guillermo schüttelte leicht amüsiert den Kopf. „Übrigens war das als eine ehrliche, freundschaftliche Geste gemeint, also als ich dir deine Tochter zur Suite hochbringen lassen hab. Ganz allein war sie da vor dem Hotel gewesen und es laufen böse Menschen herum in deiner Stadt."

Ehe Fill erneut den Kerl vor sich greifen konnte, stand ihm Rudi im Weg. Verfluchte Scheiße.

Schreien konnte er dafür immer noch: „Was weißt du? Wo ist Felina?!"

„Keine Ahnung, wo sie steckt. Der Psychopath ist mit ihr und meinem Geld abgehauen, nachdem er Juan erschossen hat."

„Dein Geld?"

„Ich geb's ja zu. Hab ihn ein bisschen gesponsert. Nur so. Tut mir leid, aber du bist nicht mehr mein Freund. Chelsea Hamilton übrigens schon, ist ne gute Freundin."

„Du Wichser."

„Hey. Sagen wir es so, jetzt sind wir quitt." Guillermo grinste zufrieden, aber das Funkeln ihn seinen Augen war gefährlich. Er hatte noch ein Ass im Ärmel. Und da sprach er auch schon weiter, wobei er jedes einzelne Wort zu genießen schien.

„Beim Finale, von dem dieser Psychopath geredet hat, bin ich übrigens auf deiner Seite. Gernell würde ich dir auch meine Hilfe anbieten, aber du kennst mich." Guillermo zuckte entschuldigend mit den Schultern und tauschte dann mit seinen Männern einen vielsagenden Blick aus, worauf diese sofort ein paar Schritte näher kamen. Gegen diese Kerle hatte Fill nicht den Hauch einer Chance. Das würde gleich verdammt wehtun - oder er rannte weg. Jetzt sofort.

Guillermo sprach indess entspannt weiter: „Ich helfe nur meinen Freunden und da du leider nicht mehr zu diesen zählst: good bye. Es sei denn, du überlegst es dir anders."

Wie Glaspapier im Scheinwerferlicht ✔Where stories live. Discover now