Seltsame Begegnung

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Die untergehende Sonne tauchte den Himmel in Töne aus Rot und Orange. Schon seit einiger Zeit waren sie umher geflogen und hatten nach einer kleinen Insel zur Nacht Ausschau gehalten. Bisher war der Erfolg jedoch sehr gering. Immer wenn sie eine Gelegenheit sahen, zu landen, stellte sich die Landmasse entweder als ein mit kaltblütigen Wikingern besetzter Felsen oder als eine Sandbank heraus.
Hicks seufzte. Er hatte wirklich keinen Schimmer wohin sie fliegen sollten. Gen Westen war zwar eine grobe Richtung, doch genau wusste er es auch nicht.
Sie müssten bald einen Schlafplatz finden, sonst würde Ohnezahn vor Erschöpfung vielleicht noch ins Meer fallen. Und seinen besten Freund ertrinken sehen, das könnte Hicks auf gar keinen Fall mit ansehen.
Der Nachtschatten brummte besorgt. „Ach keine Sorge Kumpel. Wir werden schon einen geeigneten Schlafplatz finden, und wenn es nur ein kleiner Felsen im Meer ist."
Anscheinend hatte der Drache die Sorgen des jungen Wikingers bemerkt. Eben halt ein wahrer Freund, der auch ohne Worte verstand, was der andere fühlte.

Immer wieder gingen ihm die Worte von Astrid durch den Kopf. Hicks konnte sie einfach nicht loswerden, so sehr er sich auch anstrengte, sie zu verdrängen. Immerhin war er von Berk weg und musste sie nicht mehr sehen.
Verraten fühlte er sich von ihr, zeigte sie doch sonst immer das meiste Verständnis von allen Wikingern für ihn. Dies schien aber bei dem Thema Drachen eine Grenze zu haben, wie er heute verbittert feststellen musste. Es hätte keinen Weg gegeben, sie umzustimmen. Sie war halt stur und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann setzte diese eigenwillige Wikingerin es auch durch, koste es, was es wolle.
Hicks versuchte sich abzulenken. Immerhin schien ihm jetzt die große Freiheit offen zu sein. Als Angehöriger keines Stammes, würde er endlich das Leben haben können, was er seit dem Treffen mit Ohnezahn wollte.
Er war kein Wikinger, das war ihm klar geworden. Er war ein Drachenreiter. Einer, der für den Frieden zwischen beiden Spezies einstand und sich nicht mit Gewalt durchsetzen wollte. Seine größten Waffen waren immer noch der Sanftmut und das klare Denken.
Doch immer wieder flackerte in ihm der Gedanke auf, was passiert wäre, wenn Astrid mit auf Ohnezahns Rücken geflogen wäre. Hätte es anders verlaufen und sie umstimmen können? Hicks wusste es nicht, aber die Vorstellung, dass sie doch begriffen hätte, Drachen seien keine hirnlosen Tötungsmaschinen waren, hätte real sein können. Es war ihm bewusst, welchen Wandel es in Berk gegeben hätte, wären alle Wikinger erst einmal überzeugt gewesen.

Aber das schien eher ins Reich der Fantasie zu gehören. Wikinger waren seit Jahrhunderten mit den Drachen verfeindet und daran wird sich auch wohl so schnell nichts ändern. Es gibt genug andere Stämme, die man überzeugen könnte. Und selbst wenn nicht. Hicks würde sich ein tolles Leben mit Ohnezahn und anderen Drachen aufbauen. Er war ja schließlich jetzt frei und konnte über sein eigenes Leben bestimmen.
Zwar erst 15 Jahre alt, würde er einen neuen Lebensabschnitt beginnen und die Drachen vor den Wikingern schützen. Das wäre eine gute Idee, dachte sich der Junge Wikinger, als er wieder in die rote, untergehende Sonne blickte und dran dachte. Am besten eine schöne Insel, von der er aus operieren könnte. Weitab und außerhalb des Archipels gelegen müsste sie sein. Mit viel Platz für die unterschiedlichsten Drachen. Mal sehen, was daraus werden könnte. Es wäre eine tolle Zukunft mit vielen neuen Erfahrungen.
Eine Abschrift des Drachenbuches hatte er schließlich dabei. Er könnte also sicher an die vielen Arten, die dort drin standen rangehen. Aber wie weiß? Vielleicht gibt es draußen außerhalb des Archipels eine Welt mit tausenden von Drachenarten, die darauf warten, entdeckt zu werden.

Plötzlich tauchte etwas am Horizont auf. Es war nur ein kleiner Fleck, aber mit jedem Flügelschlag von Ohnezahn wurde er größer. „Nanu. Eine Insel? Haben wir doch noch Glück Kumpel?" Hicks streichelte seinem Drachen über die Flanke.
Ohnezahn brummte erleichtert und konnte auch das Aufatmen seines Reiters hören. Es schien so, als dass sie einen Schlafplatz für die Nacht gefunden hätten. Hoffentlich war die Insel unbewohnt. Nicht, dass noch Wikinger auf ihr lebten, die Hicks an den Kragen gehen würden wollen.
Genaueres wüssten sie erst, wenn sie die Insel überflogen und aus der Luft abgesichert hätten. „Komm mein Freund. Die schauen wir uns mal an!" Hicks spornte seinen Freund an, der immer schneller seine riesigen Schwingen bewegte.
Bald schon hatten sie ein enormes Tempo erreicht. Ohnezahn war zwar schon lange mit Hicks auf dem Rücken geflogen, aber Kraft hatte er immer noch. Er war ja schließlich auch noch jung für einen Drachen.

Als sie sich über der Insel befanden, schaute Hicks nach Wohnstätten aus. Nichts. Nur ein grüner Wald, der sich an ein paar Berge anschloss. Weiße Schneekuppen funkelten in den letzten Violetttönen der Abenddämmerung. Das Meer brach seine Wellen an Stränden und Steilküsten.
Und keine Wikinger weit und breit. Es schien der ideale Ort zum Übernachten sein. Und wer weiß. Vielleicht könnten sie sich hier ein neues Heim ansteuern, denn auf den ersten Blick sah dieses kleine Eiland nicht so aus, als ob es noch zu dem Archipel gehören würde.
Hicks schaute sich weiter um. Es gab kleine Bäche und klare Seen, in denen es sicher einige Fisch für Ohnezahn zu fressen gab. Einige der Talkessel schienen wirklich verträumt in der Landschaft zu liegen und ließen den Anmut erscheinen, als ob noch nie ein Mensch oder Drache die Insel betreten hätte. Als hätte sie es schon immer gegeben, aber doch so...jungfräulich.

„Also dann mein Freund. Landen wir. Die Luft schient rein zu sein." So setzte Ohnezahn zum Landeanflug an. Es dauerte nur wenige Minuten. Da hatte der Nachtschatten einen geeigneten Platz aus der Luft erspäht und setzte mit seinen vier Beinen auf.
Sofort stieg der junge Wikinger ab und machte sich an einem nahe liegenden kleinen Teich frisch. Als das klare kalte Wasser sein Gesicht berührte, schüttelte er sich kurz. Es war wirklich eisig. Aber so reines Wasser, hatte er selbst nicht auf Berk gesehen.
Ohnezahn tat es ihm gleich. Gelassen trottete der Nachtschatten an das Ufer des kleinen Teiches und nahm einige kräftige Schlucke des kalten Wassers. Es tat ihm gut. Das lange Fliegen hatte ihn schon ein wenig angestrengt. Es war eine wirkliche Erleichterung, endlich eine geeignete Stelle zum Schlafen gefunden zu haben.

Langsam wurden die letzten Farben der Dämmerung verdrängt und eine klare Nacht zog herauf. Die Sterne funkelten und gaben ihr schwaches Licht auf eine Steilküste an der Insel wieder. Nahe der felsigen Kante hatten Hicks und Ohnezahn einen guten Platz zum Schlafen gefunden.
Von hier aus konnten sie alles sehen. Wenn Wikinger kommen würden, dann hätten sie sich als aller erstes gesehen.
Hicks hatte sich an den Bauch seines besten Freundes gelehnt. Mit einer Decke, die er sich aus Berk mitgenommen hatte, kuschelte er sich ein und schaute noch ein wenig auf Karten, die er bei seinem Vater mitgehen gelassen hatte. Ein kleines Lagereuer spendete noch zusätzliches Licht und Wärme.
„Eigenartig. Diese Insel ist wirklich nicht auf der Karte verzeichnet. Wo sind wir hier bloß gelandet? Scheinbar, mein Freund, sind wir doch schon weiter geflogen, als wir dachten." Der Nachtschatten brummte zustimmend. Er hatte sich mit einigen Lachsen satt gefressen, die er vorhin am Meer gefangen hatte. Es gab da ein kleines Gezeitenbecken, welches bei Ebbe vom Rest des Meeres abgetrennt war. Wenn sich dort Fische befanden, war es ein Leichtes für Ohnezahn gewesen, sie sich zu holen und zu verspeisen.
„Wir haben wohl den heimischen Archipel längst verlassen.", stellte Hicks fest und legte die Karte bei Seite. Sie waren an einem Tag soweit geflogen?
Aber wenn er so darüber nachdachte, machte es auch Sinn. Als er mit Ohnezahn die täglichen Flüge unternommen hatte, war er kaum mehr als eine Stunde unterwegs gewesen. Jetzt, nachdem sie einen halben Tag herumgeflogen waren, konnte es durchaus sein, dass sie den Archipel längst verlassen hatten und neue Ufer angeflogen waren.
Das hatte etwas. Lange schon ist kein Wikinger Berks mehr außerhalb des Archipels gewesen. Aber was dachte er denn da? Er war kein Wikinger Berks mehr. Er war jetzt Hicks Haddock. Ein junger Drachenreiter vor dem Abenteuer seines Lebens. Und wer weiß. Vielleicht gab es draußen auch Menschen, die so dachten wie er. Man wusste es nie.

In seinen Vorstellungen versunken, griff er nach seiner Kopie des Drachenbuchs. Er hatte sie in Vorbereitung auf eine mögliche Flucht mit Ohnezahn schon vor Wochen angefertigt. Mit seiner flinken Feder, einigen Gläsern Tinte war das Werk in wenigen Nächten vollbracht. Alles Wissen der Wikinger Berks über Drachen, aufgeschrieben in einem kleinen Handbuch, das in jeder Tasche verschwinden konnte. Die Zeichnungen zu übernehmen, war teilweise ganz schön schwierig gewesen.
Hicks begutachtete sein Werk, blätterte zu den Seiten, auf denen der Nachtschatten beschrieben war und lächelte.
„Du bist schon was Besonderes Ohnezahn!", lächelte er seinem Freund zu. Der Drache gab ein freudig glucksendes Geräusch von sich und signalisierte seinem Reiter, das er genauso von Hicks dachte. „Was würde ich bloß machen, wenn ich dich nicht getroffen hätte?" – „Grrrrrr" Der Drache legte seinen Kopf nahe bei Hicks ab und schaute ihn mit seinen großen grünen Iriden an.
„Hast Recht Kumpel. Daran will ich am besten gar nicht denken. Jetzt haben wir uns und das macht mich zum glücklichsten Drachenreiter der ganzen Welt."
Hicks streichelte seinem Drachen über den Kopf, wobei Ohnezahn sofort anfing, leise und entspannt zu schnurren.
Der junge Wikinger lächelte zufrieden. „Ja. Du bist ein wahrer Freund." – „Und das wird er auch für den Rest deines Lebens bleiben!"
Plötzlich schreckte Hicks hoch. Eine fremde Stimme erklang wie aus dem Nichts. Schnell zückte er sin Messer, sprang von der Decke auf und schaute sich wild in der Gegend um.
Dann sah er ihn. Ein Mann, der entspannt auf einem Felsen hockte und den jungen Wikinger angrinste. Es war Edel in grün gekleidet und schien eine Art Zepter in der Hand zu haben.
Auch Ohnezahn war aufgesprungen und hatte den Mann fixiert.
„Wer bist du!", forderte Hicks den Mann auf zu sprechen. Dabei hielt er ihm das Messer hin, während der Nachtschatten anfing, Gas in sein Maul zu laden. Jederzeit bereit, einen Plasmaball abzufeuern.
Plötzlich fing der Mann an zu lachen. Hicks war verwundert. „Was ist so komisch? Wer bist du und woher kommst du?" Doch der Mann lachte einfach weiter.
„Du weißt es wirklich nicht, oder stellst du dich so dumm? Dann sage ich dir es eben. Ich bin..."

A Viking and his DragonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt