24. Das Küken in Genf

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24. Das Küken in Genf

Das Küken war zum ersten Mal im Mai 2017 in Genf. Nur auf Durchreise und nicht allein. Damals erschien Genf ihm als sehr schöne Stadt. Es wusste damals noch nicht, wie viel Zeit es noch allein in diesem Jahr in Genf verbringen würde. Spoiler: Viel mehr als erwartet. Das hat euch aber auch schon der Titel des Kapitels verraten. Kommen wir also zu den Zeiten.

Gegen Juni erfuhr das Küken, dass es ab September zehn Monate in einer französischen Kleinstadt leben würde. Und dass es am einfachsten war, bis nach Genf zu fliegen und nach Ewigkeiten Zwischenaufenthalt mit dem Bus bis in besagte Kleinstadt zu fahren. Gesagt getan.

Anfang September stand ich also nach einem sehr merkwürdigen Abschied von meinen Eltern im Flughafen in Berlin und gähnte. Mit Reiserucksack, der an der 20-Kilo-Grenze kratzte, und kleinem Koffer, dem easyjet glücklicherweise keine Gewichtsbegrenzung aufgezwängt hatte. Der Rucksack wird abgegeben und im Halbschlaf (es war halb sieben und ich hatte noch bis um drei gepackt, weil ich ausschließlich unter Zeitdruck arbeiten kann) schaffte ich es durch die Sicherheitskontrolle und in den Flieger und kann mich an absolut nichts mehr von dem Flug erinnern. Ich gehe davon aus, dass ich den größten Teil der Zeit schlafend verbracht habe.

In Genf kam mein Rucksack als zweites Gepäckstück. Da hat man einmal sieben Stunden Zwischenaufenthalt und muss nicht mal aufs Gepäck warten. Zweites Gepäckstück ist mein Rekord. Aber ich fliege auch nicht so oft. Und schon gar nicht mit mehr als Handgepäck. Trotzdem ist und bleibt es ein persönlicher Rekord.

Ich saß eine Weile im Flughafen, kaufte mir ein Bahnticket zum Hauptbahnhof und kaufte mir von den Francs, die ich als Rückgeld bekam, ein bisschen was zum Essen und Trinken. Und dann fuhr ich zum Bahnhof. Das Wetter war schön. Das Wetter ist fast immer schön, wenn ich in Genf bin, und mit meinem überraschend gut funktionierenden Gedächtnis, schleppte ich mich zu diesem einen kleinen Park. Grün, ruhig und ich konnte die Fontäne vom Genfer See sehen, wenn ich mich ein bisschen nach vorne beugte. Außerdem war er in der Nähe vom Busbahnhof und damit ideal für mich.

Und da saß ich dann. Und las. Und döste. Und aß. Und schrieb zum ersten Mal seit Jahrtausenden wieder Tagebuch (oder wie ich es nenne: Grobe Tageszusammenfassung in Stichpunkten und viel zu sachlich, um als richtiges Tagebuch durchzugehen – meine Mutter wird irgendwann mal sehr enttäuscht sein). Und wartete darauf, dass mich Panik überkommen würde. Umzug. Neuer Lebensabschnitt. Auf einmal selbstständig. All sowas. Die Panikattacke kam aber nicht. Sie kam bis heute nicht. Ich warte immer noch darauf. Und dann döste ich wieder. Las. Aß noch mehr. Es war unspektakulär.

Pünktlich eine halbe Stunde bevor der Bus hätte abfahren sollte, stand ich am Busbahnhof. Und ich stand und stand und stand. Ich redete mit einem japanischen Straßenmusiker, der zwei Wochen in Genf verbracht hatte und mit meinem Bus nach Paris wollte. Also redeten wir beim Warten. Lange. Eine Stunde nach Abfahrt des Busses kam dann endlich eines SMS. Der Bus würde ausfallen. Das war zwar scheiße, aber besser, als ohne irgendeinen Plan sinnlos rumzustehen, während einem als Smalltalk-Looser die Gesprächsthemen ausgehen.

Es ging also zurück zum Bahnhof. Diesmal in der Begleitung, eines Australiers, der nach Paris wollte. Ich besorgte ihm seinen Zug nach Paris, hatte aber leider den einzigen Zug, der mich noch in mein Städtchen gebracht hätte um eine viertel Stunde verpasst. Das meine Freunde, ist wahres Glück.

Und dann stand ich also im Bahnhof, hatte meinen schweren Rucksack und mein Köfferchen, miese Laune und war absolut fertig. Und dann daddelte ich von Hotel zu Hotel und versuchte eine Übernachtung zu finden, die mich keine 150 Francs kostete. Ich lief nicht besonders weit. Weil fertig. Außerdem hatte ich ein Hotel gefunden, das mich nur 60€ pro Nacht kostete und außerdem wie ein Berliner Club hieß. Ja. Eigentlich scheiße, aber Gott, ich würde das erste Mal alleine in einem Hotel übernachten. In einem coolen Hotel mit Fernseher und Doppelbett. Kosten hin oder her, ich kam mir fancy vor und hüpfte sehr erwachsen und selbstständig auf dem Bett herum. Und nutzte das Wlan, um mir den Bus für den nächsten Morgen zu besorgen und den nächsten Supermarkt ausfindig zu machen. Und dann gab es Nachos und Brot mit Ovomaltine zum Abendbrot, ich stellte mir zur Sicherheit mehrere Wecker und fiel dann wie tot um.

Tatsächlich schaffte ich es am nächsten Morgen um halb sechs aufzuwachen, packte meine Sachen und nahm den diesmal überpünktlichen Bus in meine Stadt. Das war meine erste Übernachtung in Genf. Zwei Aufenthalte, eine ungeplante Übernachtung.

Im Oktober ging es für eine Woche mit meiner viel zu großen Familie nach Mallorca. Der Flug war schon lange gebucht. Bevor sicher war, dass ich nach Frankreich ziehen würde. Dementsprechend war der Flug ab Berlin. Der Plan war meinem ökologischen Fußabdruck dieses Jahr einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu verpassen, mich an dem einen Abend nach Berlin zu fliegen und am nächsten Morgen nach Malle.

Ich war also wieder in Genf. Diesmal nur mit einem Zwischenaufenthalt von fünf Stunden. Weniger, wenn man bedachte, dass ich früher am Flughafen sein musste. Ich saß wieder ein bisschen rum und aß mein mitgebrachtes Mittag. Irgendwann schlenderte ich zum Flughafen. Ich suchte meinen Flug auf der Anzeigetafel und musste mindestens fünfmal schauen, bis ich realisierte, dass es tatsächlich mein Flug war, neben dem da in roten Großbuchstaben Cancelled stand.

Und so hatte Genf mich für eine weitere Nacht gewonnen. Diesmal allerdings charmanter. Easyjet entschied, mich am nächsten Morgen direkt nach Malle zu schicken und mir und allen anderen Passagieren eine Nacht in einem way too schicken Hotel zu gönnen. Und diesmal hatte ich nicht mal einen grauenvollen Rucksack dabei und musste auch das Hotel nicht bezahlen.

Jetzt also ein kleiner Moment zum Angeben: Doppelbett mit tausend Kissen. Fernseher mit Netflix-Zugang, separaten Spielen und der ersten Staffel Sherlock. Außerdem gab es einen Wasserkocher und kostenlosen Tee und Kaffee (ich musste länger machen, um alles auszutrinken), mehr Shampoo-Zeug, als ich benutzen konnte (obwohl ich zwei geklaut habe), einen Bademantel (in dem ich geschlafen hätte, wäre das nicht zu warm gewesen), einer Badehaube (in der ich versehentlich beinahe geschlafen hätte) und so geilem Eukalyptus-Zeug, mit dem man besser schlafen konnte (das habe ich getan und außerdem habe ich es gestohlen). Es gab nur ein Problem an dem Zimmer. Wenn man auf dem Bett hopste, konnte es passieren, dass man mit den Händen gegen die Decke schlug. Die Vorstellung, wie irgendwer über mir erschrocken aufsprang, war aber tatsächlich fast ein Ausgleich.

Und am nächsten Morgen saß ich im Flieger und (wie sollte es anders sein?) schlief. Und mein Urlaub begann mit weniger Stress und einem Flug weniger.

Drei Aufenthalte in Genf, zwei ungeplante Übernachtungen.

Ja. Beim Rückflug klappte leider alles wie geplant (gab mir aber immerhin die Möglichkeiten, noch ein paar Sachen von zuhause einzustecken) und ich hatte bezauberndes Wetter und einen ausgiebigen Spaziergang und das war es eigentlich mit den spannenden Geschichten über mich und Genf. Ich verbrachte noch einmal eine viertel Stunde am Busbahnhof und zwei Stunden bei Regen morgens schlafend im Hauptbahnhof. Weniger spektakulär.

Aber gut. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob Genf mich hasst (und deshalb meine Busse und Flüge ausfallen lässt) oder mich liebt (und mich deshalb nie gehen lassen will). Ich bin für letzteres. Mal schauen, was mich da die verbleibenden acht Monate noch erwartet. Soviel zu mir und Genf, ich hoffe das war unterhaltsam.

Und nächstes Mal gibt es meinen kuriosesten Konzertgeschichten. Und da gibt es einige.

Genießt das Wochenende, das sich zumindest bei mir schon viel zu sehr nach Winter (und sinnlosem Netflixen) anfühlt.

Peace and Out,

Küken

Aus dem Leben eines KükensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt