3. Das Küken in Berlin

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Das Küken in Berlin

Das Küken kommt aus Berlin. Aber wenn es in einem anderen Bundesland ist und der Satz „ich wohn in Berlin“ fällt, dann denkt jeder eher an die Stadtmitte und an die riesigen Einkaufshäuser, Dönerbuden, Clubs und den Fernsehturm oder so. Da wohnt das Küken nicht. Wenn man mal von den Dönerbuden absieht. Die gibt’s in Berlin wirklich überall. Nichts destotrotz gibt das Küken dann irgendwann im weiteren Gespräch zu, dass es nicht direkt das Brandenburger Tor sieht, wenn es aus dem Fenster schaut, sondern in einem spießigen Haus am Rand von Berlin wohnt. Und klar, bei dem Küken in der Nähe passieren jede auch Menge lustige Dinge, aber das ist nichts im Vergleich dazu, wenn man mal nach Berlin rein fährt und durch Berlin Mitte schlendert.

Denn darum soll es gehen. Nicht speziell um den Bezirk Berlin-Mitte, aber um all das, was dem Küken in Berlin und zwar wirklich nur in Berlin passiert. Und glaubt mir, das Küken ist auch schon durch andere große Städte geschlendert. Zwar nicht so oft, aber immerhin.

Das das Küken ab und an etwas „tiefer“ in die Stadt fährt, kommt inzwischen ziemlich oft vor. Früher war es da immer mal wieder, mit Eltern, Tanten oder Oma und Opa, aber erst seit es zwölf ist, fährt es auch selbstständig mal in die Stadt. Und es gibt gewisse Sachen, die sich immer auf die eine oder andere Art wiederholen.

Das Küken scheint zum Beispiel komplett anders zu wirken, je näher es dem Stadtkern kommt. Wir können gerne ein paar Jahre zurück gehen, lass es so zwei, drei Jahre sein, als das Küken zum ersten mal angehalten wurde, weil man es davon überzeugen wollte, Patin zu werden. Von irgendeinem Kind in Afrika. Ihr müsst euch also vorstellen, dass es mit seinen dreizehn Jahren frisch vom Praktikum in einem Theater kam, angesprochen wird und schon vermutete, dass man erst ab achtzehn Patin werden kann. Es schüttelt also den Kopf und bringt irgendwie heraus, dass es noch keine achtzehn sein. Die Sache ist die, wenn ihr in Berlin seit, werdet ihr ständig angesprochen. Echt.

Das Küken scheint auf die meisten seit einigen Jahren konsequent den Eindruck einer ziemlich jung wirkenden, politisch engagierten Studentin zu haben. Die schon seit ebendiesem Tag, als es das erste Mal angesprochen wurde und definitiv nicht viel älter aussah, als es tatsächlich war, achtzehn war. Denn seitdem häuft sich sowas. Es war noch kein einziges Mal in Mitte ohne angesprochen zu werden. Und auch nicht da im Umkreis. Sobald es die S- oder U-Bahn verlässt, stürzen sich alle Leute, die Mitglieder für ihre Organisation gewinnen wollen, auf es. Wie oft hatte es schon mit hochrotem Kopf garantiert, dass es Tiere zwar echt gerne mochte, aber noch nicht achtzehn war. Dass es nicht spenden wollte, weil das nur mit Taschengeld echt eng wird, und auch keine Peditionen unterschreiben wollte, weil es zu jung war. Kinder wollte es auch nicht adoptieren und es wollte auch nicht an zweisprachigen Kursen teilnehmen oder das nächste Jahr in Spanien studieren. Weil es noch zur Schule ging.

Und bis heute weiß das Küken nicht, wie diese Leute darauf kommen, dass ausgerechnet das Küken, das soweit es weiß ganz normal aussieht und in keiner anderen Stadt irgendwie für irgendetwas angeworben wurde, bei so etwas mitmachen wollte. Denn das Küken sah nicht aus, als ob es besonders alt oder Umweltaktivist wäre. Und trotzdem. Jedes verdammte Mal. Und die Sache war, dass das nur passierte, wenn es mal alleine die letzten paar Meter vom Bahnhof zu irgendeinem Treffpunkt ging. Also falls ihr mal in Berlin seit, ab dreizehn müsst ihr damit rechnen für alles und jeden eine potenzielle Seelenverwandte zu sein.

Aber das Küken wird natürlich nicht nur von Studenten, die ihr Gehalt aufbessern oder wirklich diese tausend Meinungen vertreten, angehalten. Nein, in Begleitung von weiblichen Wesen wird es auch ab und an mal von irgendwelchen Kerlen angesprochen. Und das läuft im Prinzip immer gleich ab. Das Küken ist in irgendeinem Laden, egal ob großes Einkaufszentrum oder kleine Läden in einer Seitenstraße und bummelt mit einer Freundin an den Schaufenstern entlang. In Begleitung einer Freundin, verschwindet offenbar die „engagiert wirkende Studentin“ und wird durch eine „Single Studentin, die nicht etwa coole Sachen in den Schaufenstern, sondern einen Freund sucht“ ersetzt. Das Küken ist nicht besonders hübsch, aber um angesprochen zu werden, könntet ihr auch die böse Hexe aus Hänsel und Gretel oder was weiß ich sein. Meinetwegen auch Cindy aus Mahrzahn. Alles kein Problem. Ihr dürft nur keinerlei Ansprüche an die Kerle haben.

Aus dem Leben eines KükensWhere stories live. Discover now