Kapitel 3 - Tränen

2.2K 150 28
                                    

Mittwoch, 03/25/2020, 06:43 PM

Ich war so müde, dass mich die Vibrationen der Busscheibe kaum störten. Mit Musik in den Ohren lehnte mein Kopf an dem Glas und mein Gehirn wurde ziemlich durchgeschüttelt.

Seit dem erfolglosen Einbruch waren einige Tage vergangen und ich hatte noch nichts von Skipper, Ace oder Buzzer gehört. Allerdings war ich mir sicher, dass sie wussten, dass gegen mich keine Anzeige erstattet worden war und die Polizei mich nicht aufgegriffen hatte. Ich konnte allerdings nur spekulieren, wie sie sich das erklärten. Sicherlich nicht damit, dass ich Doug mit einem gezielten Schlag ausgeschaltet hatte. Kampfsporterfahrungen besaß ich nicht.

Meine Mum hatte zum Glück noch geschlafen, als ich an jenem Morgen nach Hause gekommen war. Ich hatte sogar noch ein kurzes Nickerchen einschieben können, bevor ich zur Arbeit gegangen war. Ich arbeitete nebenberuflich bei Meyer, einem großen Supermarkt ähnlich wie Walmart. Mein Gehalt überstieg kaum den Mindestlohn, aber da meine Mutter momentan nur eingeschränkt arbeiten konnte, waren wir auf mich angewiesen.

Die Kosten für die Notaufnahme waren schon von meinem nun gänzlich leeren Konto abgebucht worden. Ich hatte täglich nachgeschaut, ob Doug mir bereits Geld überwiesen hatte, doch nichts. Vermutlich hatte er mich einfach vergessen, sobald er seine Villa betreten und weiter Playstation gezockt hatte.

Ich hatte schon beinahe ein schlechtes Gewissen, dass ich deswegen immer wütender auf ihn wurde. Immerhin war es nicht seine Pflicht, mir Geld zu geben. Andererseits hatte er es versprochen und wenn ich gewusst hätte, dass er sich nicht daran hält, wäre ich nie in die Notaufnahme gefahren. Ich hatte schon angefangen, mehr Schichten zu übernehmen, um das Geld irgendwie wieder reinzuholen, ohne dass meine Mum etwas bemerkte.

Heute war ich deswegen nicht zur Schule gegangen, stattdessen hatte ich den ganzen Vormittag und Nachmittag gearbeitet.

Die Familie O'Callaghan war seit Montag wieder in der Stadt und jeden Tag überprüfte ich die Zeitung, ob irgendetwas über einen versuchten Einbruch bekanntgeworden war. Ich war schon etwas paranoid geworden und rechnete jeden Tag damit, dass die Polizei an unsere Tür klopfte.

Doch nichts passierte. Immerhin hielt Doug also den Mund. Das war schon beinahe mehr, als ich von ihm verlangen konnte.

Der Bus hielt an meiner Haltestelle und ich stieg aus. Die Sonne senkte sich langsam gen Horizont und goldenes Licht flutete die Straßen und Häuser. Zu dieser Tageszeit sah der schäbige Vorort immer aus, als wären die Häuser aus Gold gebaut. Die Wärme des Lichtes kroch unter meine Haut und ich hoffte, dass bald endlich richtig Frühling wurde.

Als ich mich unserem kleinen Haus näherte, beschlich mich plötzlich ein ungutes Gefühl. Ich konnte es nicht erklären, aber es war wie ein unangenehmes Zwicken in meinem Magen. Ich beschloss, es zu ignorieren und öffnete die Tür. Mit dem üblichen Knarzen schwang sie auf und ich betrat unser kleines Wohnzimmer mit Essbereich. Sofort sah ich meine Mutter, die weinend am Küchentisch saß.

"Mum?", fragte ich verwundert und das ungute Gefühl schlug sich wie Eis in meinem Inneren nieder.

Ich schlüpfte aus meinen Sneakers und lief zu ihr hinüber. Sie hielt einen Brief in den Händen. Es konnte alles sein. Eine weitere Rechnung, eine Mahnung, eine Übersicht über mein leeres Konto oder ... eine schlechte Nachricht von ihrem Arzt.

"Mum?", wiederholte ich.

Sie sah mich an aus ihren lieben, kaffeebraunen Augen. Sie hatte die linke Hand auf ihren Mund gelegt und schluchzte leise, während der Zettel in ihrer anderen Hand zitterte. Auf dem kahlen Kopf trug sie das rote Tuch, das ich ihr vor einigen Wochen geschenkt hatte.

TOUCH (LGBTQ | boyxboy)Where stories live. Discover now