Kapitel 6 - Dieb

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Montag, 04/06/2020, 07:39 AM

Wie jeden Morgen sprang ich aus dem Schulbus hinunter auf den Asphalt. Vor und hinter mir strömten noch mehr Schüler aus dem gelben Ungetüm, sammelten sich vor dem Schulgebäude, unterhielten sich, scherzten und lachten. Ich war ein Teil dieses Menschenstroms, doch heute fühlte ich mich abwesend. Wie ein Geist. Schuld war ein halbes Pfund Drogen in meinem Rucksack.

Ich hatte nicht gefragt, worum es sich handelte. Ich wollte es gar nicht wissen und hatte eh keine Ahnung von dem Zeug. Doch die Träger meines Rucksacks gruben sich tief in meine Schultern und zogen an mir, als würden dutzende Hände an meiner Tasche reißen.

Ich hatte keine Ahnung, wer der Schüler war, dem ich diese Lieferung bringen sollte. Mal wieder war mir allerdings bewusst geworden, warum ausgerechnet ich diese Aufgabe übernehmen musste, denn ich war Schüler dieser Schule und dementsprechend unauffällig.

Skipper hatte mir bloß gesagt, dass sein auserwählter Drogendealer schon einmal aufgeflogen war. Er stand eine Haaresbreite vom Rausschmiss entfernt und seine Sachen wurden wohl regelmäßig von den Security-Leuten der Schule kontrolliert. Deswegen musste ich die Drogen reinbringen, am vereinbarten Übergabeort verstecken und dann wieder meiner Wege gehen, als wäre nie etwas geschehen.

Während ich mich durch die Massen arbeitete, scannte mein Blick unbewusst die Menge ab. Als würde ich nach dem ominösen Dealer Ausschau halten. Tatsache war, es könnte jeder sein. Außer ich. Oder Ray.

Meinem besten Freund hatte ich heute empfohlen, sich von mir fernzuhalten. Er hatte sich während der Fahrt zu seinen Football-Freunden gesellt, mir aber regelmäßig unverhohlen besorgte Blicke zugeworfen.

Ich schob meine zittrigen und schwitzigen Hände in die Taschen meiner abgewetzten Jeansjacke und lief weiter auf den Eingang zu.

Stell dir einfach vor, es ist ein ganz normaler Tag. Verhalt dich wie immer.

Das Einreden wäre vielleicht hilfreich, wenn ich das ungewohnte Gewicht nicht spüren würde.

Am Eingang stand ein Security-Guard, so wie jeden Tag. Er behielt alles ein wenig im Auge und war da, sollte es Ärger geben.

Er schenkte mir keinen zweiten Blick, als ich durch die Türen in die Schule trat. Ich war schließlich nur ein ungewöhnlich kleiner, durchschnittlich guter Schüler mit einer Handvoll Freunde und keinem kriminellen Hintergrund. Zumindest in den Schulakten.

Ich war problemlos in die Schule gekommen und meine Haltung entspannte sich ein wenig. Vermutlich machte ich nun kein Gesicht mehr, als hätte ich üble Magenkrämpfe.

Meine erste Stunde war Englisch.

Danach folgte Kunst.

Die Stunden zogen noch träger und langsamer dahin als sonst und ich achtete darauf, meinen Rucksack geschlossen zu halten und Block und Stift so schnell wie möglich herauszuholen und wieder hineinzustopfen. Währenddessen rutschte ich immer nervöser auf meinem unbequemen Stuhl hin und her und feuerte den Sekundenzeiger der großen Wanduhr stumm an.

Bis zur Mittagspause sollte ich nämlich gar nichts tun und dann ein bestimmtes Klo aufsuchen und die Drogen dort in einem Spülkasten verstecken. Das war zwar nicht die Art von kreativem Versteck, die ich erwartet hätte, aber so lange es funktionierte ... und man es nicht zu mir zurückverfolgen konnte.

Nach Kunst folgte Computerunterricht und nach etwa einem Drittel der Stunde schließlich der Lunch. Ray, der wie immer am PC neben mir saß, heute aber nicht mit mir redete, ließ mich auch jetzt wieder allein. Einerseits wünschte ich mir, dass er das nicht tat. Andererseits hatte ich ihm eingetrichtert, dass er heute bloß nicht mit mir reden und im Notfall sagen sollte, dass wir uns gestritten hatten.

TOUCH (LGBTQ | boyxboy)Where stories live. Discover now