Epilog

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- 1 Jahr später -

"Bitte vergewissern Sie sich, dass sie beim Verlassen des Flugzeugs ihre persönlichen Gegenstände bei sich haben. Vielen Dank, dass Sie sich für uns entschieden haben und weiterhin eine gute Reise."

Nachdem sich der erste Ansturm gelegt hatte, stand ich auf. Es war kein langer Flug gewesen, aber trotzdem freute ich mich, meine Beine wieder strecken zu können. Ich holte meinen Rucksack aus dem Gepäckfach und schloss mich der Menschenschlange an, die das Flugzeug verließ.

Nach fast einem Jahr hatte ich es mir noch immer nicht abgewöhnt, meine Umgebung stets im Auge zu behalten. Unbewusst scannte ich jedes Gesicht, um mich zu vergewissern, dass er nicht irgendwo lauerte. Es half nichts, dass sie den Mörder meiner Mutter nach nur wenigen Tagen gestellt hatten, ich war einfach paranoid nach all den Erlebnissen vor einem Jahr.

Er war ein schlauer Mann gewesen, aber auch hasserfüllt und übereifrig. Die Polizei hatte bei meiner Tante und meinem Onkel nur auf ihn warten müssen und er war ihnen in die Arme gelaufen.

Buzzer war ein grausamer Mann gewesen. Verheiratet, zwei Kinder, stets im Hintergrund aktiv, aber letzten Endes ein kaltblütiger Mörder.

Ich zwang mich, meine Gedanken von dem Thema abzubringen. Allerdings konnte ich nichts tun, außer monoton auf den Boden oder meinen Vordermann zu starren, während wir uns in Richtung Gepäckausgabe bewegten.

Der Flughafen von New York roch genauso wie der in meiner Heimatstadt, den ich vor wenigen Stunden verlassen hatte. Dennoch kam es mir beinahe unwirklich vor, dass ich erst heute Morgen noch einen Zwischenstop auf dem Friedhof eingelegt hatte, um meiner Mum Lebewohl zu sagen. Ihr Todestag lag nnun beinahe ein Jahr zurück. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es überhaupt geschafft hatte, mit einem klaren Kopf die Schule zu beenden.

Wobei, ich wusste warum. Doug.

Wir hatten das letzte Jahr zusammen verbracht. Er hatte mir geholfen, das Haus nach dem Tod meiner Mum auszuräumen und zu verkaufen. Wir hatten uns eine Wohnung gemietet und einander beigestanden. Er hatte mit mir gegen meine Trauer gekämpft und ich mit ihm gegen seine Depressionen. Darüber hinaus hatten wir einen wirklich guten Therapeuten gefunden und Doug hatte dank der richtigen Dosis von Therapie und Medikamenten seine Lebensfreude wiedergefunden. Auch wenn er meinte, dass ich den größten Teil dazu beigetragen hatte.

In der Zeit hatte ich auch wegen verschiedener Dinge im Gericht erscheinen müssen. Dougs Anwälte hatten es geschafft, dass mir selbst nur eine Geldstrafe auferlegt worden war, die wir hatten begleichen können. Skipper und seine Bande, aber vor allem Buzzer, hatten saftige Gefängsnisstrafen erhalten und würden so schnell keinen Fuß mehr auf eine öffentliche Straße setzen.

Doug und ich hatten so viel Zeit zusammen verbracht, dass ich ihn in den letzten vier Monaten unendlich vermisst hatte.

Mein Freund war schon vorher nach New York gefahren, da sein Semester Anfang des Jahres begonnen hatte. Seitdem hatten wir fast jeden Tag telefoniert, aber wir hatten uns nur selten gesehen. Ich war in meiner Heimatstadt geblieben, um meine Abschlussklausuren zu schreiben. Nun hatte ich den Abschluss in der Tasche und konnte ihm endlich folgen.

Die brennende Aufregung in meinem Magen wurde nur stärker, als ich endlich meinen Koffer vom Gepäckband nahm und den Ausgang ansteuerte. Doug hatte versprochen, dort auf mich zu warten. Also schob ich mich so schnell wie möglich an den anderen Reisenden vorbei und hielt Ausschau nach ihm.

Am Ausgang hatte sich ebenfalls eine Menschenmenge versammelt. Leute hoben Schilder, riefen Namen und ich hörte mindestens drei verschiedene Sprachen, die allerdings in der allgemeinen Lautstärke untergingen. In diesem Chaos fand ich Doug jedoch sofort. Er stand ein Stück abseits und lehnte an einer Säule, die Hände hatte er in die Hosentaschen geschoben, aber er richtete sich mit einem Grinsen auf, als er mich sah.

Ich beschleunigte meine Schritte und zog den lästigen Koffer so schnell wie möglich mit mir. Als ich ihn erreicht hatte, fielen wir einander in die Arme. Er presste mich fest an sich und sein Geruch überflutete mich, seine Wärme umhüllte mich, während ich ihn nicht minder fest an mich selbst drückte.

Ich wusste nicht, wie lange wir so verharrten, aber als Doug mich losließ, drückte ich ihm noch einen schnellen Kuss auf die Lippen.

"Lange nicht gesehen", meinte er beinahe scherzhaft, "Will und Till haben dich schon vermisst."

"Ich glaube, nicht nur die Hunde haben das, oder?"

Doug grinste und drückte mir ebenfalls einen Kuss auf die Lippen: "Möglich."

Dann nahm er meine Hand und wir verließen zusammen den Flughafen. Mein Blick wanderte wieder über die Menschenmenge, aber niemand achtete auf uns. Wir waren nur zwei weitere Seelen an einem stressigen Ort, die ihr eigenes Leben lebten. Die anderen ignorierten uns, es war ihnen völlig egal.

"Die Wohnung wird dir gefallen. Sie ist klein, aber das indische Restaurant einen Block weiter ist exzellent", erzählte Doug, "Wir können heute Abend bestellen und feiern."

"Lass uns bitte erst feiern, wenn ich meinen Studienplatz hier habe", meinte ich.

Doug blieb stehen und wandte sich mit einem breiten Grinsen an mich: "Das habe ich ja ganz vergessen, dir zu sagen. Vor einer Woche kam ein Brief an unsere neue Adresse. Du bist akzeptiert worden."

Ich blieb ebenfalls stehen und starrte ihn perplex an.

"Und das sagst du mir erst jetzt?", platzte es schließlich aus mir heraus.

Doug grinste entschuldigend: "Es sollte eine Überraschung werden."

Ich verdrehte gespielt genervt die Augen, aber in mir stieg unbändige Freude auf. Jetzt konnte uns nichts mehr aufhalten. Wir standen gerade erst am Anfang unseres gemeinsamen Lebens.

TOUCH (LGBTQ | boyxboy)Where stories live. Discover now