Kapitel 1

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Ich spürte die Blicke der anderen in meinem Rücken. Früher hätte ich die Schultern hochgezogen und gehofft, unsichtbar zu werden. Jetzt aber sorgte es dafür, dass ich mich noch mehr aufrichtete und einen Gang höher schaltete.

Ich wusste, dass ich gut aussah. Das nach einem langen Lauftraining hinzubekommen war Talent. Nach einem letzten Sprint schaltete ich das Tempo grinsend runter und griff nach Wasserflasche und Handtuch. Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, dass ich seit gut zwei Stunden trainierte. Für ein morgendliches Workout war das genug, außerdem musste ich bald zur Arbeit, also ging ich zu den Umkleiden.

Nach einer kurzen Dusche machte ich ein Selfie für Instagram, bevor ich mich anzog.

Meine Mom wäre bestimmt froh, wenn ich Zuhause genauso schnell im Bad fertig wäre. Aber mich morgens präsentabel aussehen zu lassen war jedes Mal eine Herausforderung, alleine schon wegen meinen widerspenstigen Haaren. Zum Glück sah ich nur morgens furchtbar aus, zu jeder anderen Tageszeit konnte man aus egal welchem Winkel ein Foto von mir machen. Beim Rausgehen zwinkerte ich meinem Spiegelbild lächelnd zu. Und dem Typen, der mich seltsam ansah.

Ich genoss die subtilen und auffälligen Blicke der Mädchen und, viel wichtiger, der Typen. Ich schenkte einem Jungen mein charmantestes Lächeln, woraufhin dieser rot anlief und wegsah. Süß.

Nachdem ich das Fitnessstudio verlassen hatte, lehnte ich mich an die Hausmauer und suchte nach den Zeiten, wann die Busse fuhren. Nebenbei verfolgte ich die Nachrichten, die sich Henry und Markus in einer Gruppe schrieben. Fast keinen aus dieser Gruppe sah ich außerhalb von Partys, weshalb mein Interesse auch nur mäßig groß war. Doch dann erwähnte Henry die Adresse von dem Mädchen, wo er die letzte Nacht verbracht hatte. Es war gleich um die Ecke. Da ich keine Lust hatte, den Bus zu nehmen, fragte ich ihn, ob er mich zur Arbeit fahren könnte. 

Während ich auf Henry wartete, schrieb ich mit Markus. Und dem einem Mädchen aus meiner Lerngruppe. Und Mark. War mir ziemlich egal wer, solange ich unterhalten wurde. Nebenbei skippte ich Lieder, denn irgendwie war nicht das richtige dabei. Ungeduldig fiel mein Blick immer wieder auf die Uhrzeit. Schon 20 Minuten. Dabei hatte Henry behauptet, er könnte in fünf da sein. Mist. Ich hätte doch besser den Bus nehmen sollen. Aber jetzt war es zu spät, mit Bus würde ich auf keinen Fall mehr rechtzeitig ankommen. Und der erste Eindruck war wichtig. Ich würde den Job zwar sowieso nicht lange haben, aber das war kein Grund, nachlässig zu sein. Seufzend steckte ich mein Handy weg, verlagerte mein Gewicht von einem Bein auf das andere. Dabei sah ich mich um, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. 

Mir tippte jemand auf die Schulter. Überrascht drehte ich mich nach links, nahm die Kopfhörer aus meinen Ohren. Automatisch breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. 

„Hey", sagte der süße Junge von eben, wieder oder immer noch gerötet.

„Hey", erwiderte ich grinsend.

Jemand, der meine Wartezeit erträglicher machte, perfekt. „Wie heißt du?"

„Mick. Also eigentlich Michael. Aber alle nennen mich Mick. Einige auch Micky. Aber das finde ich eigentlich gar nicht so gut."

Er redete viel. Und schnell. Bevor ich etwas sagen konnte, holte er tief Luft. „Bist du häufiger hier? Blöde Frage, ich weiß, dass du häufiger hier bist, ich habe dich schon mehrfach gesehen. Äh, wie heißt du?", stotterte Mick.

Ich verkniff mir ein Lachen. Früher bin ich auch so nervös gewesen, wenn ich jemanden angesprochen habe. Mittlerweile war das eigentlich kein Problem mehr für mich. Abgesehen davon wurde meistens ich angesprochen, wie jetzt auch. „Ich heiße Noah."

Micks Blick senkte sich und er biss auf seine Unterlippe. „Eigentlich weiß ich wie du heißt", sagte er so schnell, dass ich ihn kaum verstand, „aber wir haben uns nie vorgestellt und ich weiß auch nicht, ob du mich überhaupt mal bemerkt hast, vermutlich nicht, aber da du nur noch so selten bei Vorlesungen bist, und so schnell verschwindest hatte ich keine Möglichkeit dich anzusprechen deshalb tue ich es jetzt und hoffe dass es dir nicht mega seltsam vorkommt-" Entschlossen richtete Mick sich auf und sah mich an, er musste seinen Blick etwas heben. „Kann ich deine Nummer haben?", platzte es aus ihm heraus.

Ich musterte ihn nachdenklich, während ich seineWorte in meinem Kopf sortierte. Scheinbar studierte er ebenfalls BWL, als ob sich jemand sonst die Vorlesungen geben würde. Ich hatte ihn tatsächlich niegesehen, aber wenn ich Kommilitonen kannte, dann auch eher von Partys. Er sah gut aus, auf eine niedliche Art. Definitiv nicht mein Typ, dafür war er zu klein und schmächtig, aber er war attraktiv. Und auch wenn ich kein großes Interesse hatte, sah ich eigentlich keinen Grund, nein zu sagen. Daten konnte lustig sein.

Du bist mit den Gedanken immer woanders, ich habe nicht mal das Gefühl, dass du mich wirklich magst. Dir gefällt, wie wir zusammen aussehen, dass du etwas posten kannst. Aber du hörst nie richtig zu und denkst nur an dich.

Genervt davon, dass die Worte von meinem Ex in meinen Gedanken herumschwirrten schüttelte ich meinen Kopf.

„Nicht?", fragte Mick mit unüberhörbarer Enttäuschung, „ich meine, ich würde es dir nicht übelnehmen, aber es ist natürlich schon-"

Ich unterbrach ihn, indem ich ihm eine Hand auf die Schulter legte. Er sah mich mit großen Augen an. Ich setzte dazu an, ihm zu erklären, dass ich nicht 'nein' meinte. Doch ich stockte, als ich seinen hoffnungsvollen Blick sah. Das hier schien ihm viel zu bedeuten. Zumindest mehr als mir. Und er war echt nicht mein Typ. Ich stand darauf, wenn sie richtig muskulös waren und groß. So, dass ich hochgucken musste. So, dass man die Position im Bett nicht diskutieren musste.

Ich überlegte noch, was ich sagen sollte, als ich ein Hupen hörte. Henry, endlich.

Ich klopfte Mick kameradschaftlich auf die Schulter. „Jemand so süßes wie du findet sicher noch jemanden, Micky", sagte ich zwinkernd, bevor ich mich umdrehte und zum Auto joggte. Dem echt ranzigen Auto.

Ich schloss die Tür und während ich mich anschnallte, sagte ich: „Du bist spät. Fahr mich einfach zum Isebekkai." Im Auto roch es nach Fast Food und Bier. Angeekelt kurbelte ich das Fenster runter.

„Dir auch einen guten Morgen, du Arsch. Die Tussi von letzter Nacht ist doch noch aufgewacht und hat mich aufgehalten. Drama und so. Da hast du es schon besser mit Kerlen. Wenn Titten nur nicht so geil wären..."

Er startete den Wagen, redete weiter und ich versuchte Henrys Gelaber so gut wie möglich auszublenden. Wann ist das letzte Mal gewesen, dass wir nüchtern eine Unterhaltung gehabt haben? Wenn ich so drüber nachdachte, war ich mir nicht mal sicher, ob das überhaupt jemals vorgekommen war. Betrunken war er weniger... unausstehlich? Sexistisch? Manchmal sogar richtig nett. Aber vielleicht war er auch genauso und ich nahm ihn nur anders wahr.

„Scheiße Mann, warum arbeitest du eigentlich freiwillig? Und warum bei einem Bootsverleih? "

Henry fluchte laut über jemanden, der nicht schnell genug an der Ampel wieder losfuhr. Ich hatte völlig verdrängt, wie aggressiv er werden konnte.

Er nahm jemandem die Vorfahrt und zeigte dem hupenden Autofahrer den Mittelfinger. Der Wagen beschleunigte noch mehr. Die Geräusche, die ich hörte erweckten allerdings den Eindruck, dass das Auto darüber alles andere als glücklich war.

Als ich nach dem Tacho sah, welcher definitiv höher war als er sein sollte, fiel mir die rote Kontrollleuchte ins Auge. Ich hätte wirklich den Bus nehmen sollen, viel höhere Überlebenschancen.

„Ey Mann, was antwortest du nicht?" Henry sah zu mir. Warum konnte er seine Augen nicht auf der Straße lassen?!

Ich hoffte inständig, dass das Auto noch Airbags hatte. Und dass ich es nie herausfinden würde. „Luca ist für eine Weile im Ausland, so drei Monate etwa. Und er hat mir angeboten, seinen Job für die Zeit zu übernehmen. Sein Chef meinte, er wäre froh niemanden suchen zu müssen. Ich kann Geld gebrauchen und Boote verleihen ist so gut wie Kellnern oder im Supermarkt an der Kasse zu sitzen", sagte ich gezwungen ruhig. Ich bekam noch Taschengeld, es war nicht mal wenig. Aber ich liebte es, Geld auszugeben. Also konnte ein wenig extra nicht schaden.

„Scheiße Mann, warum fängst du mit deiner Zeit nichts besseres an? Wenn du Geld brauchst schnorr doch einfach. Boah Wichser! Der hat mir doch absichtlich den Weg abgeschnitten!" Henry hupte Aggressiv.

Etwas besseres anfangen? Ich könnte meine Freundschaften überdenken.

Wörter: 1378

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Danke an TwentyOneFuckNoddles fürs betalesen ♡

Und (nur falls das nicht eh klar sein sollte): Die Ansichten und Meinungen der Charaktere sind die der Charaktere und stimmen nicht zwingend mit meinen Ansichten und Meinungen überein.

Never enoughWhere stories live. Discover now