Kapitel 12

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Sobald ich bei Markus angekommen war, ging ich ins Bad. Kurz überlegte ich, meinem Drang zu duschen nachzugeben, aber das käme mir dann doch etwas seltsam vor. So gut kannte ich Markus nun auch wieder nicht, mal abgesehen davon, dass ziemlich viele Leute in diesem Haus waren. Also müsste fürs erste das Waschbecken reichen.

Der Spiegel bestätigte meine Befürchtungen: Ich hatte zwei abartige Knutschflecken auf meinem Hals. Einer war halb unterm Saum verborgen, aber der andere war mehr als präsent. Entschlossen drehte ich den Wasserhahn auf und schrubbte den Speichel von dem Perversling ab. Vergeblich versuchte ich, jede Erinnerung an diesen Abend im Abfluss runterzuspülen. Das mein T-Shirt bei diesem Prozess nass wurde, war mir egal. Immer wieder hielt ich meine Hand unter den Wasserstrahl, rieb ein weiteres Mal über die fleckigen Stellen. Es reichte nicht. Ich sah praktisch seine Lippen auf meinem Hals.

Nach kurzem Zögern suchte ich in den Schränken nach einem Handtuch, welches ich nass machte, um über die farbigen Stellen zu schrubben. Als ob das etwas bringen würde. Als ob es das Geschehene rückgängig machen könnte. Ein Schauer durchlief mich. Ich konnte nicht glauben, wie kurz ich davor gewesen bin, nachzugeben.

'so wie du es verdienst, du kleine Schlampe' Scheinbar hatte er damit gar nicht so falsch gelegen. Und wofür das ganze? Weil ich es nötig hatte, mir von anderen meinen Wert bestätigen zu lassen. Das war so... ich konnte mich nicht zwischen abstoßend und bedauernswert entscheiden.

Seufzend spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, aber mein Kopf fühlte sich immer noch so an, als würde er gleich explodieren. Gerade, als ich wieder nach dem Handtuch griff, wurde die Tür aufgerissen. Erschrocken blickte ich auf. Zwei Mädchen kamen reingestürmt, eine schluchzte laut.

Ihre Freundin stieß mich Richtung Tür. „Raus hier!"

Überrumpelt stolperte ich auf den Flur. Jetzt hatte ich nicht mal mehr das Bad. Da mein Shirt eh schon nass war, benutzte ich es, um mein Gesicht abzutrocknen. Unentschlossen blieb ich noch einen Augenblick stehen, dann erinnerte ich mich, weshalb ich überhaupt hergekommen war. Nächste Station: Küche.

Normalerweise hätte ich die Chance genutzt, mit den anderen Leuten hier zu reden, unabhängig davon, ob ich sie bereits kannte oder nicht. Feiern ging ich in erster Linie wegen den Menschen. Aber gerade war mir nicht danach. Ich spürte noch die Berührungen von was-auch-immer-sein-Name-war, jedes Mal sandte es einen unangenehmen Schauer über meinen Rücken. Nein, mir war definitiv nicht nach Nähe Anderer.

Deshalb war in der Küche bleiben auch keine Option. Momentan war zwar niemand hier, aber das würde sich bestimmt jeden Augenblick ändern. Bevor ich nach Getränken zum Mitnehme suchte, griff ich nach der Wodkaflasche und einem roten Plastikbecher. Da ich noch fast nüchtern war, mischte ich Cola mit rein, dann schmeckte es immerhin nicht ganz so furchtbar. In einem Zug hatte ich den Becher leer getrunken. Cola. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal Cola getrunken hatte.

Einem Reflex folgend suchte ich nach der Kalorienzahl auf der Flasche. Doch bevor ich die bestimmt viel zu hohe Zahl gefunden hatte, stellte ich die Flasche entschlossen weg. Wen interessierte es? Wieso gab ich mir überhaupt die Mühe? Mich wollte nur gruselige, eklige Typen und wenn es mal doch ein nicht gruseliger, nicht ekliger Typ war, verbockte ich es. Ich würde mir einfach noch fünf, ach was, zehn weitere Katzen holen und einsam sterben.

Eine Gruppe Mädchen kam in die Küche. Zeit für mich zu gehen, bevor sie mich in ein Gespräch verwickeln konnten. Schnell griff ich mir zwei Flaschen Bier, einen Energydrink, die halbvolle Flasche Wodka und weil ich nicht anders konnte auch noch die Cola. Es war nicht leicht zu balancieren, aber irgendwie schaffte ich es in den zweiten Stock, ohne etwas fallen zu lassen. Ich wollte nicht riskieren, in eines der Zimmer zu gehen, also setzte ich mich ans Ende des Flurs.

Never enoughWhere stories live. Discover now